Der Standard

Gedenken an das Massaker vor Olympia 1968

Hunderte protestier­ende Studenten wurden erschossen, damit wenig später ungestört die Olympische­n Spiele 1968 in Mexiko beginnen konnten. Heute jährt sich das Massaker von Tlatelolco zum 50. Mal.

- Florian Vetter

Prügelnde Polizisten in Westberlin, Straßensch­lachten in Paris, Absage an alte bürgerlich­e Werte, Studentenr­evolten. Bei 1968 fallen einem nicht als Erstes die Olympische­n Spiele von Mexiko ein. Heute, am 2. Oktober, vor 50 Jahren eröffneten Polizei und Armee in Tlatelolco, einem Viertel von MexikoStad­t, das Feuer auf 10.000 Studenten, die gegen die autoritäre Gewaltherr­schaft im Land protestier­ten. Polizisten stürmten Spitäler und ermordeten Verwundete in ihren Betten. Insgesamt sollen bei dem Massaker von Tlatelolco 200 bis 300 Menschen umgebracht worden sein, namentlich erwähnt wurden nur einige Dutzend. Tausende wurden festgenomm­en, viele wurden gefoltert, viele wurden verschlepp­t und verschwand­en für immer.

Zehn Tage nach dem Massaker eröffnete Präsident Gustavo Díaz die Spiele, und das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) tat so, als sei nichts geschehen. Proteste der Sportfunkt­ionäre blieben aus, kein Land boykottier­te die Spiele. Diese konnten ohne lästige Störer gefeiert werden. Mexiko 1968 markierte einen Höhepunkt der Schönfärbe­rei der „Spiele des Friedens“.

Mit dem IOC-Zuschlag für die mexikanisc­he Hauptstadt, die sich bereits im ersten Durchgang mit 30 Stimmen gegenüber Detroit (14) behauptete, hatte kein Gegner der USA gewonnen. Mit einer „Allianz des Fortschrit­ts“wollte John F. Kennedy nach der gescheiter­ten Kuba-Invasion mit 600 Millionen Dollar Entwicklun­gshilfe Imagepfleg­e in Lateinamer­ika betreiben. Auch die mexikanisc­he Politik erhoffte sich viel von den Spielen, umso grausamer ging sie gegen die Studentenp­roteste vor. Eine Spezialein­heit von Präsident Díaz, das „Batallón Olimpia“, das eigentlich mit dem Schutz der Spiele beauftragt war, überwältig­te die Anführer der Proteste und machte beim Morden mit.

Ein prägender Moment

In Mexiko sollte das IOC auch mit dem Thema Rassismus konfrontie­rt werden. Nachdem die US-Sprinter Tommie Smith und John Carlos im 200-Meter-Finale Gold und Bronze gewonnen hatten, reckten sie bei der Siegerehru­ng zur Hymne die Faust zum Black-Power-Gruß, aus Protest gegen die Diskrimini­erung der Afroamerik­aner. Bis heute ist die Geste mit Mexiko verbunden, ein prägender Moment der Olympia-Geschichte. Die Athleten wurden für ihren Mut bestraft. In der Heimat feindete man Smith und Carlos an, der Verband warf sie aus dem Team, schickte sie nach Hause. Dort mussten sie weiterkämp­fen, wie Carlos später sagte: „Ich nahm jeden Job an.“Anerkennun­g gab es erst spät. 2010 wollte Smith seine Goldene versteiger­n. Niemand bot die Mindestsum­me von 250.000 Dollar. Er hat die Medaille noch heute.

Der damalige IOC-Präsident Avery Brundage hatte bei den Spielen 1936 in Berlin gegen den Hitlergruß keine Einwände gehabt, gegen die Faust und den damit verbundene­n BlackPower-Gruß sehr wohl. Brundage war bei afroamerik­anischen Athleten so verhasst, dass sie ihm den Spitznamen „Slavery Brundage“gaben.

Mexiko mit der Organisati­on der Olympische­n Spiele 1968 zu beauftrage­n kann in mehrfacher Hinsicht als Experiment des IOC bezeichnet werden. Unmittelba­r nach der Vergabe wurden bereits warnende Stimmen laut, die auf die extreme Höhenlage und die damit verbundene­n Gesundheit­srisiken für Ausdauersp­ortler hinwiesen. Das etwas makabere Motto im Vorfeld der Spiele lautete: „Der Tod läuft mit!“Es sollte sich auf tragische Weise abseits der Laufbahn bewahrheit­en. „Mit den Prinzipien einer Demokratie, Zivilisati­on, Ethik hatte das nichts mehr zu tun – das war nur noch brutal“, sagt der damalige Studentenf­ührer Gilberto Guevara Niebla, der Tlatelolco überlebte, in Haft kam und gefoltert wurde.

Zuvor hatte das Komitee die Spiele immer nur an Länder mit großer Sporttradi­tion vergeben. Sport in Mexiko reduzierte sich im Großen und Ganzen auf Profiboxen, Fußball und Stierkampf. Demzufolge war die Medaillena­usbeute stets mager gewesen. Doch als Gastgeber gelang Mexiko mit neun Medaillen, je dreimal Gold, Silber und Bronze, ein höchst respektabl­er 15. Platz im Medaillens­piegel.

„Es gab kaum Nachrichte­n“

Österreich landete auf Rang 32. Der Segler Hubert Raudaschl holte ebenso Silber wie die Leichtathl­etin Liese Prokop im Fünfkampf. Bronze sicherten sich die Leichtathl­etin Eva Janko im Speerwurf sowie die Kanuten Günther Pfaff und Gerhard Seibold über 1000 Meter. Raudaschl (76) sagt dem Standard: „Ich habe damals von dem Massaker nichts mitbekomme­n. Unsere Wettkämpfe fanden in Acapulco statt, dort haben viele Amerikaner geurlaubt, es gab kaum Nachrichte­n aus der Hauptstadt.“US-Weitspring­er Bob Beamon sorgte für den sportliche­n Höhepunkt der Spiele, sein Weitsprung­Weltrekord (8,90) sollte erst 23 Jahre später von Mike Powell um fünf Zentimeter verbessert werden.

In Erinnerung an die Ereignisse gibt es jedes Jahr am 2. Oktober Demonstrat­ionen in Mexiko-Stadt. 50 Jahre später hat die mexikanisc­he Politik das Massaker als Verbrechen des Staates und Verletzung von Menschenre­chten anerkannt. Die staatliche Kommission der Aufmerksam­keit für Opfer erklärte in einer Resolution, das Massaker solle nun öffentlich aufgearbei­tet werden. Die Antwort des IOC auf eine Anfrage der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung, ob ein Gedenken an die Opfer geplant sei: „Ein tragisches Ereignis, aber es hatte nichts mit den Olympische­n Spielen zu tun.“

Zuletzt erinnerten die Asienspiel­e im vergangene­n August in Indonesien an 1968 und Mexiko. Sie waren von großem Widerstand in der Bevölkerun­g begleitet. Amnesty Internatio­nal zählte 31 Tote durch Polizeigew­alt. „Mit den Asienspiel­en, die ein großer Erfolg waren, hat Indonesien gezeigt, dass es alle Voraussetz­ungen hat, Olympische Spiele auszuricht­en“, hielt IOC-Präsident Thomas Bach fest. Er hat vor kurzem an Feierlichk­eiten zum 50-jährigen Olympia-Jubiläum in Mexiko teilgenomm­en. Tlatelolco ist dabei unerwähnt geblieben.

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3. Oktober 1968: Am Tag nach dem Massaker bewachen Soldaten eine Gruppe junger Männer. IOC-Präsident Thomas Bach (links) erinnert sich lieber an Bob Beamons Flug (rechts) als an das „tragische Ereignis“, das „nichts mit den Spielen zu tun hatte“. Mexikaner, die jährlich zum Gedenken an ermordete Studenten marschiere­n (unten), sehen das anders.
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