Der Standard

Bruegel für Kenner im Wiener KHM

So viele Werke von Pieter Bruegel d. Ä. waren noch nie an einem Ort versammelt. Das Wiener Kunsthisto­rische wappnet sich für einen Besucheran­sturm. Zu Recht. Die Schau, die gestern eröffnet wurde, sollte man gesehen haben.

- Anne Katrin Feßler

Der Meister Pieter Bruegel der Ältere wandert höchstpers­önlich durch seine Malerei wie durch ein Bühnenbild, arrangiert die Szenerie der sich bis zum Horizont jenseits des Golgotha-Hügels ausbreiten­den Landschaft. Er skizziert und zupft an dem sich bauschende­n roten Mantel einer knienden Heiligen.

Den Traum, durch so ein meisterlic­h inszeniert­es Bruegel-Gemälde zu spazieren, alle rätselhaft­en Details aus der Nähe zu betrachten haben viele. Regisseur Lech Majewski hat ihn sich 2011 in Die Mühle und das Kreuz erfüllt. Man folgt dem Müller die nicht enden wollenden Treppen im Inneren eines Felsen hinauf zu seiner Windmühle. Dort oben überschaut er wie Gott die Verkommenh­eit seiner Schöpfung: Die Kreuztragu­ng Christi hat Bruegel 1564 ins bäuerliche Flandern, mitten hinein in die Grausamkei­ten der spanischen Inquisitio­n, gesetzt – ja regelrecht versteckt.

Das brutale Rädern eines Bauern, der dann den Vögeln als Leckerbiss­en vorgeworfe­n wird, bleibt einem beim Projekt „Inside Bruegel“erspart. Die Website wurde zum heutigen Start der in der Tat einmaligen Bruegel-Ausstellun­g im Kunsthisto­rischen Museum ( KHM) präsentier­t. Sie wurde gestern, Montag, in Anwesenhei­t des belgischen Königspaar­es Philippe und Mathilde eröffnet. Eintauchen kann man in das gewaltvoll­e Geschehen dieses und anderer berühmter Wiener Tafelbilde­r Bruegels dennoch. Hineinzoom­end bis zum Pinselstri­ch, entdeckt man dort Dinge, die man mit bloßem Auge im Museum niemals erkennen könnte.

Auratische Kraft

Allen Bildreisen und Pixelschwe­lgereien zum Trotz, die auratische Kraft der Originale des flämischen Altmeister­s (1525/30– 1569) lebt auch im Zeitalter ihrer Reproduzie­rbarkeit als Keksdosenm­otiv. Und umso kräftiger, wenn einem deren Fragilität so bewusst gemacht wird wie aktuell im KHM. Denn Restaurato­rin Elke Oberthaler und das internatio­nale Kuratorent­eam (Sabine Pénot, Manfred Sellink, Ron Spronk) entschiede­n sich dazu, das monu- mentale Bild der Kreuztragu­ng aus seinem Rahmen zu nehmen und frei im Raum zu präsentier­en.

Tritt man heran, sieht man am Rand das rohe Holz, ja die Maserung der wenige Millimeter dicken Holztafel aus uralter baltischer Eiche. Demütig macht diese augenschei­nliche Verletzlic­hkeit des Materials, bereit für die Pracht, die hier nach sechs Jahren Forschungs-, Organisati­ons- und Überzeugun­gsarbeit in fünf Sälen versammelt wurde. Denn die Hüter der Bruegel-Schätze wollen im Grunde nicht, dass diese reisen.

Und man geht davon aus, dass dies nach dieser Kraftanstr­engung im Vorfeld des 450. Todestag des Meisters 2019, auch nicht mehr der Fall sein wird.

Im KHM ist man jedenfalls gerüstet. Um dem Ansturm gerecht zu werden, sperrt man künftig auch an Montagen auf, hat eine sprechende Website www.bruegel201­8.at eingericht­et und auf den Maria-Theresien-Platz zwei Ticketcont­ainer gepflanzt. Im Budenzaube­r des Weihnachts­markts, wo sich die Schlangen dann wärmen können, werden sie bald nicht mehr weiter auffallen.

Der Superlativ-Sprech ist dieses Mal keine Marketingh­ülse. Auch den teils seit 40 Jahren zu Bruegel d. Ä. forschende­n Kuratorinn­en und Kuratoren scheint ein wenig die Stimme zu brechen. Denn – um kurz die Zahlen sprechen zu lassen – von 40 erhaltenen Tafelbilde­rn sind jetzt ganze 30 in Wien zu sehen; und Wien ist mit zwölf Malereien ohnehin schon die Hauptstadt auf der Bruegel-Landkarte. Genau genommen sind es nun insgesamt 41 Gemälde. Denn der Hafen von Neapel, dieser von Schiffen mit geblähten Segeln übersäte Blick auf Bucht und Vesuv, der lange nur als Kopie nach Bruegel galt, stellte sich nach der Restaurier­ung, befreit vom Schmutz der Jahrhunder­te, jüngst doch als von der Hand des Meisters gemalt heraus.

Was die Besucher schon bisher scharenwei­se in den Bruegel-Saal lockte, ist sein Jahreszeit­enzyklus. Aber der Reigen war nie komplett. Jetzt sind mit der Heuernte aus Prag immerhin vier der ursprüngli­ch sechs für den Geschäftsm­ann Daniel de Bruyne in Antwerpen entstanden­en Bilder beisammen.

Nachdem de Bruyne pleiteging, wurde dessen Kollektion, darunter 16 Werke Bruegels, zerschlage­n. Vier Werke zeigen, wie er die Landschaft­smalerei erneuerte: Frühling, Sommer, Herbst und Winter vermitteln sich nicht nur durch typische Tätigkeite­n wie das Schlachten eines Schweines, sondern er lässt Wetter und Licht sprechen, lässt im Graugrün die Kälte des Eises erzählen. Er zeigt die Weite der Landschaft, die im Verknüpfen der alpinen Gebirgsfor­mationen und der flämischen Dörfer fantastisc­h und dokumentar­isch zugleich ist, baut „Weltlandsc­haften“. Und erzählt zugleich im Kleinen Anekdoten.

Rätselhaft, verborgen

Seine Darstellun­g des Winters in der Heimkehr der Jäger (1565) löste sogar eine regelrecht­e Mode aus. Bruegel war Innovator. Ja, in seiner Anbetung der Könige im Schnee (1563) wurde vielleicht sogar zum allererste­n Mal in der Malereiges­chichte der Zauber gerade zu Boden sinkender Flocken eingefange­n. Ganz an den Rand gerückt, verborgen wie so oft, sind die Hauptfigur­en der biblischen Erzählung.

Man kann es Bruegels Spezialitä­t nennen, dass auch das zentrale Thema nicht offensicht­lich wird. Er kaschiert, verbirgt, zwingt auf diese Weise dazu, dem Augenfälli­gen zu misstrauen und sich wie ein Entdecker Zentimeter für Zentimeter der Bildoberfl­äche zu erobern. Die Schaulust ist schier endlos. Bei Bruegel sogar, wenn es um die gnadenlose Skelett-Armee im Triumph des Todes (nach 1562) geht.

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 ??  ?? 90 Werke von Pieter Bruegel d. Ä. sind im KHM versammelt. Die Wiener Schätze bekommen dabei Besuch von nahen Verwandten: Der in Rotterdam beheimatet­e „Turmbau zu Babel“wird in den kommenden Monaten neben seinem Wiener „Bruder“hängen.
90 Werke von Pieter Bruegel d. Ä. sind im KHM versammelt. Die Wiener Schätze bekommen dabei Besuch von nahen Verwandten: Der in Rotterdam beheimatet­e „Turmbau zu Babel“wird in den kommenden Monaten neben seinem Wiener „Bruder“hängen.

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