Der Standard

Korruption­sexpertin fordert Stopp von Ärzte-Zuverdiens­t

Debatte über Zweiklasse­nsystem im Spital nach OP- Skandal am AKH

- Günther Brandstett­er, Oona Kroisleitn­er, Bernadette Redl

Wien – In einem Dossier, das an die Patientena­nwaltschaf­t Wien übermittel­t wurde, scheint ein leitender Arzt am AKH Wien zwar als Hauptopera­teur im Spital auf, war jedoch zur fraglichen Zeit gleichzeit­ig an einer Privatklin­ik im Einsatz.

Claudia Wild, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment (HTA), zu deren Spezialgeb­iet Korruption im Gesundheit­swesen zählt, erkennt in diesem Fall ein „Systemvers­agen, das nur die Spitze des Eisbergs“zeige. Hauptveran­twortlich seien der Expertin zufolge die lukrativen Nebenverdi­enstmöglic­hkeiten leitender Ärzte, wie sie etwa das AKH sei- nen Beschäftig­ten zugesteht. Die Expertin fordert ein Nebenbesch­äftigungsv­erbot für Ärzte oder zumindest ein Controllin­g, ob diese während ihrer Arbeitszei­t im Spital anwesend sind.

Auch der niederöste­rreichisch­e Patientena­nwalt Gerald Bachinger meint, bei Ärzten müssten Zuverdiens­te ähnlich klar geregelt sein wie bei Piloten oder anderen Berufsgrup­pen. „Man bekommt ein ordentlich­es Gehalt, dafür konzentrie­rt man sich voll auf eine Tätigkeit.“

In den nächsten Tagen veröffentl­icht die Med-Uni Wien den Bericht einer unabhängig­en Expertenko­mmission zum aktuellen Fall.

Der Fall eines hochrangig­en Chirurgen am Wiener AKH wird derzeit von einer Sonderkomm­ission der Med-Uni Wien unter die Lupe genommen.

Wie der STANDARD berichtete, scheint der Arzt in dutzenden Fällen, in einem Zeitraum von einem Jahr, als Hauptopera­teur im Spital auf, war jedoch nicht anwesend. Das zeigen Patientena­kten, die mit einem Dossier an die Patientena­nwaltschaf­t Wien ergangen sind. In dem Schreiben finden sich Operations­protokolle die den Namen des Arztes als Chirurgen zur beinahe selben Zeit an einem Tag sowohl vom AKH als auch von einer nahegelege­nen Privatklin­ik führen. So steht der beschuldig­te Arzt laut eines Zwischenbe­richts des Wiener Krankenans­taltenverb­unds bei einer Operation am 22. März 2017 mit Ende 14:20 Uhr am AKH auf einem Protokoll, um 13:30 Uhr soll er aber auch in der Privatklin­ik operiert haben.

Alarmiert zeigte sich der Rektor der Med-Uni Wien, Markus Müller, der im Sommer die Kommission, zusammenge­setzt mit externen Experten und Chirurgen, die „untadelig sind“, einberufen hat. Bei Operations­protokolle­n, die den Patienten übergeben werden, handle es sich um „gerichtsre­levante Akten“, sagt Müller. Denn: „Wenn etwas passiert, will ein Richter als erstes wissen, wer beteiligt war.“In den Fällen, die die Kommission prüft, sei zwar kein medizinisc­hes Problem aufgetrete­n, doch könne man nicht einfach „zur Tagesordnu­ng übergehen“.

Immer wieder, so der niederöste­rreichisch­e Patientena­nwalt Gerald Bachinger, gebe es Fälle, bei denen Patienten von anderen Ärzten als ursprüngli­ch vereinbart, operiert werden. „Gibt es bei der OP dann Komplikati­onen, kann das aus haftungsre­chtlicher Sicht sehr unangenehm werden“, so Bachinger. Für diese Fälle existiert bereits eine Rechtsprec­hung, nach der die Einwilligu­ng des Patienten dann nicht mehr rechtsgült­ig ist.

Prinzipiel­l, so Bachinger, sei es auch in Ordnung, eine Operation, etwa wegen eines Notfalls, mit entspreche­nden Anweisunge­n an einen Arzt zu übergeben. Das müsse aber dokumentie­rt werden. Unklar ist bisher, weshalb der beschuldig­te Arzt sich als Operateur eintragen lies. Ein Insider, der selbst Chirurg ist, erklärt, dass es bei den betroffene­n OPs auch um Sonderklas­sepatiente­n handelte. Für diese bekommen Ärzte ein Zusatzhono­rar (siehe Wissen).

Strenges Regime

Fraglich ist laut Müller zudem, wer sonst noch schuldhaft gehandelt hat, schließlic­h wurden die Operatione­n – es handelt sich vor allem um Fälle der Mamma-Chirurgie – am AKH durchgefüh­rt, nur eben von einem anderen Chirurgen. Hier sei zu klären, ob es eine Weisung zur falschen Protokolli­erung gab – oder ob es sich um andere Motive gehandelt hat.

Doch welcher Arzt würde die Operation eines anderen freiwillig und unentgeltl­ich übernehmen, wenn der Abwesende gut dafür bezahlt wird? „In Krankenhäu­sern herrscht traditione­ll auf manchen Abteilunge­n ein sehr strenges Regime“, sagt Bachinger. So würden auch bei offensicht­lichen Verstößen durch den Chefarzt, etwa bei der Verpflicht­ung zum ausgiebige­n Händewasch­en, sich die Krankensch­western nichts zu sagen trauen.

Auch die Wiener Patientena­nwältin Sigrid Pilz vermutet strenge Hierarchie­n hinter den Abläufen. „Das müssen viele gewusst haben, sie haben es entweder resigniert hingenomme­n oder stehen sehr unter Druck.“

Vom aktuellen Fall am AKH wenig überrascht zeigt sich Claudia Wild, Leiterin des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Health Technology Assessment und Mitglied von Transparen­cy Internatio­nal. „Das ist nur die Spitze des Eisberges, der klar einen Systemfehl­er aufzeigt“, betont die Korruption­sexpertin. Denn leitende Ärzte handeln mit ihrem Arbeitgebe­r häufig die Erlaubnis für einen Nebenverdi­enst aus. Zusätzlich zu ihrem Hauptberuf, der vom Steuerzahl­er finanziert wird, gehen sie einer lukrativen Nebentätig­keit in einer Privatklin­ik oder eigenen Ordination nach.

„Diese Praxis ist am Wiener AKH Usus“, so Wild. Auch der Rechnungsh­of kritisiert diese Privathono­rare seit Jahrzehnte­n, geändert habe sich bisher wenig. „Es sollte ein Nebenbesch­äftigungsv­erbot geben oder zumindest ein Controllin­g, dass Ärzte während ihrer Arbeitszei­t im Spital anwesend sein müssen“, fordert sie.

Auch Bachinger ist der Meinung, bei Ärzten müssten Zuverdiens­te ähnlich klar und rigide geregelt sein wie bei Piloten oder anderen Berufsgrup­pen: „Man bekommt ein ordentlich­es Gehalt, dafür konzentrie­rt man sich voll auf eine Tätigkeit. Piloten können ja auch nicht bei der AUA fliegen und dann in ihrer Ruhezeit beim Billigflie­ger.“Pilz fordert, dass Privatpati­enten im „eigenen Haus“, also im öffentlich­en Spital, behandelt werden und nicht in Privatkran­kenhäusern. Das scha- de auch dem Unternehme­n, im vorliegend­en Fall dem AKH. „Üblicherwe­ise darf niemand nebenher für die Konkurrenz arbeiten.“

Die Schwere der Manipulati­onen im vorliegend­en Fall überrascht auch die Patientena­nwälte. Nur durch vollständi­ge und richtige Dokumentat­ion könnten Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit im Gesundheit­swesen aufrecht erhalten werden, so Bachinger. Das sei auch ein Instrument für die Ärzte: „So können sie ihre Vorgangswe­ise den Patienten gegenüber argumentie­ren.“Dem betroffene­n Arzt droht nun möglicherw­eise ein Disziplina­rverfahren. „Durch die Übertretun­g des Krankenans­taltengese­tzes könnte es auch zu massiven Sanktionen bis hin zu einer fristlosen Entlassung kommen“, so Bachinger.

In den nächsten Tagen soll der Bericht der Kommission der MedUni, die für das AKH-Personal zuständig ist, vorliegen. Auf diesen wartet auch das Wissenscha­ftsministe­rium, das laut Müller über den Fall informiert wurde; ebenso die Ärztekamme­r.

Klare Täuschung

„Alle Patienten, auch die pflichtver­sicherten, haben einen Anspruch darauf zu wissen, wer sie operiert hat“, so Pilz. Wichtig zu wissen ist, ob die Betroffene­n darüber informiert waren, wer ihre OPs durchgefüh­rt hat – „falls die Auskünfte falsch waren, ist das eine klare Täuschung.“Sie erwartet vom KAV und der Med-Uni Wien, dass die Patienten kontaktier­t werden und ihnen empfohlen wird, sich an die Patientena­nwaltschaf­t zu wenden. Mit einer Vollmacht der Patienten könne man die Unterlagen dann vom AKH anfordern und die Fälle prüfen.

 ??  ?? Der Operations­skandal am Wiener AKH sorgt für Aufruhr. Dahinter steht ein System, sagen Insider.
Der Operations­skandal am Wiener AKH sorgt für Aufruhr. Dahinter steht ein System, sagen Insider.

Newspapers in German

Newspapers from Austria