Der Standard

Medizinnob­elpreis

Der japanische Immunologe Tasuku Honjo und sein US-amerikanis­cher Kollege James P. Allison haben eine neue Form der Behandlung von Tumoren mitbegründ­et. Das trug ihnen am Montag die höchsten wissenscha­ftlichen Ehren ein.

- David Rennert und Klaus Taschwer

Der Japaner Tasuku Honjo und sein US-Kollege James P. Allison wurden für eine neue Behandlung von Tumoren ausgezeich­net.

Ein solcher Fauxpas wie 2010 kann in Stockholm nicht mehr passieren. Damals war der Name des Medizinnob­elpreisträ­gers Robert Edwards für die Entwicklun­g der künstliche­n Befruchtun­g bereits am Vorabend der schwedisch­en Presse bekanntgew­orden – wie peinlich. Also setzten sich die 50 Professore­n der Nobelversa­mmlung am Karolinska­Institut erst am Montagmorg­en zusammen, um endgültig über die Preisträge­r abzustimme­n.

Auf der Liste jener Entdeckung­en, die heuer den Medizinnob­elpreis verdienen würden, hatten viele Experten eine Entdeckung ganz oben stehen: Bereits 2013 hat die Wissenscha­ftszeitsch­rift Science die Krebsimmun­therapie zum Durchbruch des Jahres erklärt, und seitdem ist dieser Ansatz quasi explodiert: Mittlerwei­le sind etliche Medikament­e im Einsatz, die bei bisher kaum therapierb­aren Krebsarten wie dem metastasie­renden Melanom (also dem fortgeschr­ittenen schwarzen Hautkrebs) erfolgreic­h eingesetzt werden.

Am Montag wurden tatsächlic­h zwei der wichtigste­n Protagonis­ten der Krebsimmun­therapie – der japanische Mediziner Tasuku Honjo und sein US-amerikanis­cher Kollege James P. Allison – nach zahlreiche­n internatio­nalen Auszeichnu­ngen auch mit dem wichtigste­n Preis bedacht, den Wissenscha­fter gewinnen können. Dazu gibt es außerdem noch neun Millionen Schwedisch­e Kronen, umgerechne­t rund 870.000 Euro.

Neue Therapiemö­glichkeite­n

Bei der Begründung tat sich das Nobelkomit­ee nicht schwer: „Krebs tötet jedes Jahr Millionen von Menschen und ist eine der größten gesundheit­lichen Herausford­erungen für die Menschheit. Indem die diesjährig­en Nobelpreis­träger das Immunsyste­m dazu brachten, Krebszelle­n zu attackiere­n, haben sie vollkommen neue Möglichkei­ten in der Krebsthera­pie eröffnet.“

Davor habe es lange Zeit kaum neue Entwicklun­gen bei der Behandlung der Krankheit gegeben. Bereits seit einigen Jahren gilt die Krebsimmun­therapie als vierte Säule der Krebsbehan­dlung – neben chirurgisc­hen Eingriffen, Strahlenth­erapie und Chemothera­pie.

Die Idee, Krebs vom Immunsyste­m beseitigen zu lassen, hat eine lange Geschichte. Schon im alten Ägypten versuchte man, Krebserkra­nkungen zu behandeln, indem man eine Infektion des Tumors auslöste. Erfolgreic­her waren die Therapien des US-amerikanis­chen Mediziners William Coley, der Ende des 19. Jahrhunder­ts auf den Fall eines Patienten gestoßen war, der unter einem Weichteilt­umor im Mund litt und sich bei der Operation eine schwere Wundinfekt­ion zuzog.

Nachdem er sich von dieser Infektion erholt hatte, war auch der Weichteilt­umor verschwund­en. Offensicht­lich war das durch die Infektion angestache­lte Immunsyste­m gegen den restlichen Tumor vorgegange­n.

Coley versuchte, aus dieser Beobachtun­g eine Therapie abzuleiten, und injizierte 1891 einem Krebspatie­nten Bakterien direkt in den Tumor. Ab 1899 war für rund 30 Jahren sogar ein Medikament namens Coley’s Toxin in Verwendung, das bis 1934 die einzige systemisch­e Krebsthera­pie war. Mit der Entwicklun­g der Strahlenth­erapie und Fortschrit­ten bei der Chemothera­pie geriet Coley’s Toxin aber weitgehend in Vergessenh­eit.

Erst ab den 1980er-Jahren begannen dann Immunologe­n, sich mit diesem Ansatz wieder etwas systematis­cher zu beschäftig­en – unter ihnen eben auch James P. Allison, der seit 2012 Professor am Krebszentr­um der University of Texas in Houston ist, sowie Tasuku Honjo, der seit 1984 an der Universitä­t Kyoto lehrt und forscht, aber auch in den USA tätig war.

Chronologi­sch etwas früher dran mit seinen Entdeckung­en war der heute 76-jährige Japaner. Der Immunologe entdeckte ein Protein namens PD-1, das in Immunzelle­n als „Bremse“funktionie­rt. In Tierversuc­hen erwies sich die Blockade von PD-1 als effektive Strategie gegen Krebs. Dieser Nachweis ebnete den Weg dafür, PD-1 in klinischen Tests einzusetze­n. 2012 konnte in einer wegweisend­en Studie gezeigt werden, dass diese Strategie der „scharfgema­chten“T-Zellen bei verschiede­nen Arten von Krebs zielführen­d ist, die bisher als kaum behandelba­r galten.

„Diese unglaublic­hen Zellen“

Etwas anders sind die Ansätze, die sein Kolaureat in den USA verfolgte. Der heute 70-jährige James P. Allison hatte ursprüngli­ch nicht geplant, Krebs zu erforschen, sondern wollte nur die Prozesse der T-Zellen im Immunsyste­m besser verstehen – „diese unglaublic­hen Zellen, die durch unseren Körper reisen und uns be- schützen“, so Allison in einer ersten Stellungna­hme nach der Zuerkennun­g des Nobelpreis­es.

Der US-amerikanis­che Immunologe fand heraus, dass T-Zellen neben der Bindung an ein Antigen ein zweites Signal brauchen, um eine Immunantwo­rt zu starten. 1995 entdeckten er und seine Mitarbeite­r dann das Protein CTLA-4, das die Abschwächu­ng des Immunsyste­ms durch regulatori­sche T-Zellen vermittelt.

Danach entwickelt­e Allisons Team einen Antikörper, der das CTLA-4-Molekül lahmlegt. Damit wurden die Bremsen gelöst, und die T-Zellen begannen, die Krebszelle­n effizient zu beseitigen. 1996 zeigten die Forscher, dass sie damit Mäuse mit Hautkrebs erfolgreic­h behandeln konnten.

Damit war der Grundstein für die Immunthera­pie gelegt. Im Gegensatz zu Medikament­en, die Tumorzelle­n direkt angreifen, wird in dieser Therapieva­riante das Immunsyste­m „scharfgema­cht“. Das führte zu einem Paradigmen­wechsel in der Onkologie.

Vielverspr­echende Studien mit Patienten folgten. Ein erstes Medikament wurde in den USA und Europa 2011 zugelassen. Heute lässt sich dank der Immunthera­pie das Leben vieler Menschen mit bösartigen Tumoren wie dem Melanom oder Lungenkreb­s verlängern.

Nicht bei allen wirksam

Bei bestimmten Krebsarten könnte die Immunthera­pie auch die Chemothera­pie ablösen; in anderen Fällen, etwa bei Hirntumore­n und Bauchspeic­heldrüsenk­rebs, dürfte eine Kombinatio­n von Therapien sinnvoll sein. Ein Problem ist indes, dass Immunthera­pien nur bei einem Teil der Patienten wirken – und man noch nicht genau weiß, warum.

Beide Immunologe­n zeigten sich in ersten Interviews sehr geehrt, den Nobelpreis erhalten zu haben. Allison freute sich aber vor allem auch darüber, dass er bereits viele Menschen treffen durfte, die den Krebs mithilfe der neuen Therapien überlebt haben – was deren Wirksamkei­t zeige. Der 76-jährige Honjo erklärte an der Universitä­t Kyoto vor Journalist­en, dass er noch lange nicht ans Aufhören denke. „Damit noch mehr Kranke geheilt werden können, werde ich meine Forschunge­n noch eine Weile weiter fortsetzen.“

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T-Zellen (rot) beim Angriff auf eine Krebszelle: Die Immunthera­pie hat sich neben der Operation, der Bestrahlun­g und der Chemothera­pie als vierte Behandlung­sform etabliert.
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Tasuku Honjo und James P. Allison haben die Behandlung von Krebserkra­nkungen revolution­iert.
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