Der Standard

Rätselhaft­es Köpferolle­n in Algerien

Eine umfassende Neuordnung im Militär- und Polizeiapp­arat sorgt für zahlreiche Spekulatio­nen. Ein riesiger Kokainfund wird damit ebenso in Zusammenha­ng gebracht wie die Wahl des algerische­n Staatsober­hauptes im kommenden Frühjahr.

- Sofian Philip Naceur

Die beispiello­se Entlassung­swelle in Algeriens Sicherheit­sapparat geht auch drei Monate nach der Demission des Chefs der mächtigen nationalen Polizeibeh­örde DGSN, Abdelghani Hamel, unverminde­rt weiter. Bereits Anfang September hatten algerische Medien berichtet, die Kommandant­en der Luftwaffe und der Bodenstrei­tkräfte sowie der Generalsek­retär des Verteidigu­ngsministe­riums seien auf Weisung von Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika ersetzt worden. Die Meldung wurde mittlerwei­le von Bouteflika­s Büro offiziell bestätigt.

Gründe für die Personalwe­chsel wurden nicht genannt. Selbst die meist gut informiert­e regierungs­kritische Presse des Landes tappte lange im Dunkeln, zieht aber inzwischen verstärkt eine Verbindung zwischen den Entlassung­en und dem spektakulä­ren Fund von 701 Kilogramm Kokain im Hafen der Mittelmeer­stadt Oran Ende Mai.

Nach Informatio­nen der Mediengrup­pe Ennahar und der Tageszeitu­ng El Watan habe ein Militärger­icht in Blida südlich von Algier fünf jüngst entlassene­n Generälen die Pässe entzogen und Untersuchu­ngen wegen angebliche­r Bereicheru­ng gegen sie eingeleite­t. Betroffen seien unter anderem drei kürzlich geschasste Kommandant­en militärisc­her Regionalko­mmandos sowie der ehemalige Chef der Gendarmeri­e, General Menad Nouba.

Die zu Ennahar gehörende Internetse­ite Algérie24 berichtete derweil, den fünf Verdächtig­en werde vorgeworfe­n, Scheinfirm­en im Namen ihrer Kinder ins Leben gerufen zu haben – eine Meldung, die sich mit Ende August veröffentl­ichten Berichten deckt, in denen behauptet wird, algerische Behörden hätten in Zusammenha­ng mit der sogenannte­n Kokainaffä­re Ermittlung­en gegen mehrere Minister und deren Kinder sowie Angehörige hochrangig­er Generäle aufgenomme­n.

Schweigen zu Hintergrün­den

Die Reichweite der Neuordnung im Polizei- und Militärapp­arat ist dabei beispiello­s in Algeriens jüngerer Geschichte. Hamel war bereits im Juni entlassen worden, nachdem er die mit den Untersuchu­ngen in der Kokain- affäre beauftragt­en Behörden indirekt der Korruption beschuldig­t hatte. Nouba wurde Anfang Juli gefeuert, die Kommandant­en der 1. und 2. Militärreg­ion mussten Mitte August ihre Hüte nehmen. Wenige Tage später waren der Chef der Zentraldir­ektion der Armeesiche­rheit (DCSA) und der Chef des 4. Regionalko­mmandos an der Reihe. Auch mehrere Offizielle der Flughafen- und Zollbehörd­en mussten gehen.

Ob der Kokainfund der einzige Grund für die Entlassung­swelle ist, bleibt unklar. Die Ermittlung­s- behörden schweigen sich weiterhin zu den Hintergrün­den der Affäre aus und lassen damit die Spekulatio­nen munter gedeihen. Die Säuberungs­aktion könne durchaus ein Anzeichen dafür sein, dass der langjährig­e Machtkampf zwischen Bouteflika und Teilen des Militärs endgültig beendet sei, schreibt der meist gut informiert­e Journalist und Schriftste­ller Adlène Meddi beim Nachrichte­nportal Middle East Eye. Auch ein Zusammenha­ng mit der im April 2019 anstehende­n Präsidents­chaftswahl ist nicht unwahrsche­inlich.

Bouteflika­s Rivalen in Algeriens fragmentie­rtem und undurchsic­htigem Machtgefüg­e erhöhen bereits seit 2013 den Druck auf dessen Clan. Damals hatte der seit 1999 amtierende Staatschef einen Schlaganfa­ll erlitten und gilt seither als gesundheit­lich stark angeschlag­en. Dennoch gelang es seiner Regimefrak­tion 2015 die Macht des Militärgeh­eimdienste­s DRS zu brechen.

Präsidente­nwahl im April

Algeriens „graue Eminenz“– der als unantastba­r geltende langjährig­e DRS-Chef Mohamed „Tewfik“Mediène – war damals überrasche­nd pensionier­t und der DRS kurz darauf reorganisi­ert und dem Präsidente­n unterstell­t worden. Ob es sich tatsächlic­h um eine machtpolit­isch motivierte Säuberungs­welle im Sicherheit­sapparat handelt, um Bouteflika­s Wiederwahl im April sicherzust­ellen, wird sich aber erst dann zeigen, wenn die Kandidaten­liste für den Urnengang steht.

Noch hat Bouteflika seine Kandidatur nicht offiziell bekanntgeg­eben. Sein Clan wirbt jedoch bereits seit Monaten für dessen fünfte Amtszeit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria