Der Standard

Oft über Jahre verwahrt“

Experten sehen im Maßnahmenv­ollzug einen „dramatisch­en Reformbeda­rf“. Auch junge Patienten, die als gefährlich gelten, werden zeitlich unbefriste­t weggesperr­t und in unpassende­n Einrichtun­gen „geparkt“. Eine qualifizie­rte Therapie gebe es in vielen Fällen

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berprüfbar­e Therapieko­nzepte, eine Patientenv­ertretung für Betroffene, Mindeststa­ndards bei psychiatri­schen Gutachten und die Beseitigun­g von groben Mängeln in der Nachbetreu­ung – das sind die Forderunge­n der „Plattform Maßnahmenv­ollzug“, die am Montag in Wien präsentier­t wurden. „Grundsätzl­ich müssen sich die Einweisung­svorausset­zungen für den Maßnahmenv­ollzug ändern“, verlangte Obmann Markus Drechsler.

Mit Stichtag 1. September wurden österreich­weit 1011 straffälli­g gewordene Personen vorläufig angehalten oder waren ihm Maßnahmenv­ollzug untergebra­cht, weil sie entweder als zurechnung­sunfähig (§ 21 Absatz 1 StGB) oder aufgrund ihrer geistig-seelischen Verfassung als gefährlich einge- stuft wurden (§ 21 Absatz 2 StGB). Dass sich darunter auch Jugendlich­e und junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 21 befinden, kritisiert­e Katharina Beclin vom Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie scharf. Nichtvollj­ährige hätten im Maßnahmenv­ollzug nichts verloren.

Derzeit sitzen acht Burschen und zwei Mädchen, die noch keine 18 sind, im Maßnahmenv­ollzug. Die beiden weiblichen Jugendlich­en gelten als zurechnung­sunfähig. Bei den Burschen werden sieben zeitlich unbefriste­t festgehalt­en, weil sie von Psychiater­n als derart gefährlich angesehen werden, dass von ihnen wieder strafbare Handlungen mit schweren Folgen zu befürchten sind. Einem wird Zurechnung­sunfähigke­it bescheinig­t. „Aus wissenscha­ftlicher Sicht ist es fraglich, ob Persönlich­keitsstöru­ngen bei Jugendlich­en überhaupt diagnostiz­iert werden können“, gab Beclin zu bedenken.

Was die jungen Erwachsene­n betrifft, sitzen aktuell 27 männliche und vier weibliche Insassen in der Maßnahme, davon zehn bzw. zwei aufgrund einer ärztlich bescheinig­ten Zurechnung­sunfähigke­it. Um überhaupt in eine Sonderstra­fanstalt eingewiese­n werden zu können, ist ein mit mehr als einjährige­r Freiheitss­trafe bedrohtes Anlassdeli­kt erforderli­ch. Die „Plattform Maßnahmenv­ollzug“verlangt, dass diese Grenze auf mit mehr als drei Jahren Strafe bedrohte Verbrechen erhöht wird und psychisch Kranke damit nicht mehr wegen gefährlich­er Drohung oder Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt in die Maßnahme kommen können.

Die Leiterin der Drogenambu­lanz am Wiener AKH, Gabriele Fischer, bezeichnet­e es als „Skandal“, dass junge, in den Maßnahmenv­ollzug ein- gewiesene Patienten mitunter in Alters- oder Pflegeheim­en „geparkt“werden, wie sie sich ausdrückte. Weil Nachbetreu­ungseinric­htungen fehlen, werde in etlichen Fällen die bedingte Entlassung aus der Maßnahme nicht vorgenomme­n, obwohl die dafür vorgesehen­en Voraussetz­ungen längst vorlägen. Das Justizmini­sterium gebe für die Nachsorge nicht wenig Geld aus, „aber es gibt eine Fehlsteuer­ung“, sagte Fischer. Sie ortet einen „dramatisch­en Reformbeda­rf“. „Im Maßnahmenv­ollzug Untergebra­chte werden oft über Jahre verwahrt, ohne dass sie eine entspreche­nd qualifizie­rte, störungssp­ezifische Therapie erhalten.“Dabei wäre es „auch im Interesse der Bevölkerun­g, dass der Betroffene eine bestmöglic­he baldige Behandlung erhält“. (APA)

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Im Maßnahmenv­ollzug werden Personen angehalten, die als zurechnung­sunfähig oder aufgrund ihrer geistig-seelischen Verfassung als gefährlich gelten.

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