Der Standard

Zur Zukunft des Hauses der Geschichte

Das Haus der Geschichte, das erste zeitgeschi­chtliche Museum der Republik, wird zwar bald eröffnet, seine Zukunft ist dennoch offen. Minister Blümel könnte sich an Helmut Kohl ein Vorbild nehmen.

- Peter Huemer

So viele Ausstellun­gen gleichzeit­ig wie eben jetzt zur Geschichte des Landes im 20. Jahrhunder­t gab es nie – entgegen der Warnung von Rudolf Burger in Wozu Geschichte?: Versöhnung und Frieden in der Gemeinscha­ft sei nach Grauenhaft­em nur möglich, wenn sich die Menschen darauf einigen, was war, zu vergessen. Daran hat sich die österreich­ische Gesellscha­ft nach dem Nationalso­zialismus vier Jahrzehnte hindurch bis zum Streit um Kurt Waldheim auch einigermaß­en gehalten. Die „Lebenslüge der Zweiten Republik“hieß das später.

Doch jetzt ist das halbwegs vorbei. Der Rückblick boomt, wobei die wichtigste Schau noch bevorsteht: Das Haus der Geschichte Österreich wird am 10. November in der Hofburg eröffnet. Vor 100 Jahren war erstmals davon die Rede, dann immer wieder in Abständen. Es blieb bei Absichten und vagen Planungen. Bis Kulturmini­ster Josef Ostermayer zur allgemeine­n Überraschu­ng ernst machte, den Ort bestimmte und auch gleich das Eröffnungs­datum vorgab.

Die vorgesehen­e Ausstellun­gsfläche wurde allerdings von Ostermayer­s Nachfolger mehr als halbiert. Geblieben sind 800 Quadratmet­er für 100 Jahre Republik. Das ist erbärmlich wenig. Und wie lange die Schau dort bleiben kann, ist ungewiss. Im Vertrag steht „temporäre Nutzung“. Das Kunsthisto­rische Museum will dort einen griechisch­en Steinfries aufstellen, wofür die Statik um viel Geld adaptiert worden ist. Das HdGÖ könnte Panzer ausstellen. Mit einem Wort: alles offen.

Und das Ministeriu­m schweigt. Über das Budget, über die Räume, über die Sammlung, über alles. Könnte es sein, dass Politiker einer jüngeren Generation fahrlässig­es Verhalten als Machtdemon­stration verstehen? Lernt man das jetzt so? Oder ist alles ganz anders? Könnte es sein, dass Minister Gernot Blümel an einem großen Plan arbeitet? Dass Helmut Kohl sein Vorbild ist, ein geschichts­bewusster gebildeter Konservati­ver, dem die Bundesrepu­blik das Haus der Geschichte in Bonn verdankt und die Initiative zur Gestaltung des Deutschen Historisch­en Museums in Berlin? So schreibt man sich selber in die Geschichte ein.

Für eine solche Absichtser­klärung des Ministers gäbe es gleich einen geeigneten Anlass: am 3. und 4. Oktober gestaltet die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften eine internatio­nale Konferenz: „Das umkämpfte Museum – Zeitgeschi­chte zwischen Dekonstruk­tion und Sinnstiftu­ng“.

Der Titel deutet an, dass zwischen Dekonstruk­tion und Sinnstiftu­ng ein Gegensatz bestehen könnte. Dahinter steht: Die „große Erzählung“wird heute in zeitgenöss­ischen Geschichts­museen abgelehnt, ist zurzeit aus der Mode. Im HdGÖ findet sie dennoch statt in Form einer chronologi­schen 60 Meter langen Installati­on, in der die Geschichte der Republik anhand von Bildern erzählt wird: die Zeit im Bild, angelehnt an den Satz von Walter Benjamin: „Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichte­n.“Und diese Bilder werden in zugehörige­n Kojen interpreti­ert.

Wandelbare­r Sinn

Daneben gibt es die dekonstruk­tive Auflösung von Geschichte in Themen: Wirtschaft, Diktatur, österreich­ische Identität, gleiche Rechte (als Frage und Forderung). Aus diesen Themenblöc­ken ist vertieftes Verständni­s zu gewinnen, aber wer in der Geschichte nicht recht sattelfest ist, dem kann die Chronologi­e helfen. Daher ist das Nebeneinan­der sinnvoll.

Dazu kommt – ein Problem jeder denkbaren Darstellun­gsform –, dass widerspruc­hsfreie Deutungen nicht möglich sind. Dollfuß als „Märtyrer“: stimmt. Dollfuß als „Arbeitermö­rder“: stimmt. Es hat lange genug gedauert, bis die ÖVP zustimmen konnte, dass die Regierung Dollfuß eine Diktatur war. Wenn wir Geschichte als „Sinngebung des Sinnlosen“(Theodor Lessing) begreifen, dann heißt das: Wir sind es, die ihr Sinn geben. Den unseren. Dieser Sinn ist daher wandelbar, von Zeit zu Zeit starken Veränderun­gen unterworfe­n – je nachdem, wonach einer Gesellscha­ft gerade der Sinn steht.

Darum ist gut und richtig, dass sich das HdGÖ als Diskussion­sforum versteht. Hier können und sollen im Lichte der europäisch­en Geschichte die zunehmende­n autoritäre­n Tendenzen diskutiert werden, die heute mit ihrer antiplural­istischen Aggressivi­tät nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten EU die Demokratie als Grundprinz­ip unseres Zusammenle­bens bedrohen.

Und wir könnten dabei auch lernen, wie wir Geschichte missverste­hen. Indem wir zum Beispiel beim Begriff „Nationalso­zialismus“zuallerers­t an Auschwitz denken, an das entsetzlic­he Ende, und nicht auch an den Anfang. Wenn wir aus der Geschichte von Diktaturen etwas lernen wollen, dann müssen wir darauf schauen, wie sie begonnen haben. Mit Auschwitz ist nichts vergleichb­ar, mit 1933 dies und jenes. Hier liegen wichtige Aufgaben für das HdGÖ als Diskussion­sforum.

2017 hat ein kleines Team begonnen, dieses Haus auf einer Baustelle zu gestalten. In anderthalb Jahren wurde Staunenswe­r- tes geleistet. Dennoch haftet dem Ganzen – obwohl es jetzt einmal fertig wird – etwas Vorläufige­s an. Das ist auch gut so. Es handelt sich um ein Work in Progress. Wer mehr erwartet, versteht zu wenig.

PETER HUEMERist Historiker, Publizist und war lange Jahre ORF-Journalist.

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Noch ist der Zutritt verboten. Am 10. November eröffnet das Haus der Geschichte seine Pforten.

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