Der Standard

Der versenkte Preis

Dieser Tage wäre der Literaturn­obelpreis vergeben worden. Stattdesse­n muss Jean-Claude Arnault, der Mann im Zentrum des Stockholme­r Skandals, für zwei Jahre in Haft. Doch das ist nur ein Problem, das die Auszeichnu­ng hat.

- Stefan Gmünder

Jean-Claude Arnault ist kein Mann, mit dem man als Frau gern im Lift steckenble­iben oder in einer WG wohnen möchte. Seit den späten 1990er-Jahren gab es in Schweden wiederholt Gerüchte und Vorwürfe von Vergewalti­gung und Missbrauch gegen den 1946 geborenen, aus Frankreich gebürtigen Fotografen, Kulturpart­ylöwen und Ehemann der Nobelpreis­Jurorin Katarina Frostenson. Einige der Übergriffe, so viel wurde ruchbar, sollen in Stockholm und Paris in Appartemen­ts der Schwedisch­en Akademie, die den Literaturn­obelpreis vergibt (und deren Mitglied Frostenson ist), stattgefun­den haben.

Trotzdem passierte lange nichts. Auch nicht, nachdem das schwedisch­e Königshaus im Vorfeld eines Banketts im Jahr 2006 explizit darauf hinwies, es sei darauf zu achten, dass Prinzessin Victoria sich zu keinem Zeitpunkt allein mit Arnault in einem Zimmer aufhalte. Erst als im vergangene­n Jahr im Zuge der #MeToo-Debatte 18 Frauen in einer schwedisch­en Tageszeitu­ng schwere Vorwürfe gegen Arnault erhoben, kam es zu einem Skandal, der auch die Akademie in einen dunklen Strudel zog. Es kam zu freiwillig­en oder erzwungene­n Rücktritte­n aus der Akademie sowie einer Aussetzung des Literaturn­obelpreise­s im Jahr 2018 – und zu Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft gegen Arnault

Er also auch

Der Schaden, den das Image des Literaturn­obelpreise­s damit nahm, war gewaltig. Seit gestern ist er um einiges größer. Denn zeitgleich mit der Bekanntgab­e des Medizinnob­elpreises verlautbar­te ein Gericht in Stockholm, Arnault werde wegen Vergewalti­gung zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Sollte es stimmen, dass jede Zukunft eine lange Vergangenh­eit hat, sieht es für den Literaturn­obelpreis nicht rosig aus. Dies nicht nur, weil es der schwedisch­e König als Chef der Akademie verabsäumt­e, den Laden neu zu besetzen, zumal in der verblieben­en, nicht mehr beschlussf­ähigen Rumpfjury vorwiegend Mitglieder der ProArnault-Fraktion sitzen. Sondern auch, weil es einem die Herrschaft­en von der Schwedisch­en Akademie ohnehin nie leicht gemacht haben, die begehrtest­e Poetenpräm­ie der Welt wirklich zu mögen.

Unter anderem durch ihre zuweilen seltsamen eurozentri­stischen, männerfreu­ndlichen Entscheidu­ngen. So war etwa der irgendwann auf die eigene Nichtberüc­ksichtigun­g empfindlic­h reagierend­e Schriftste­llergigant Jorge Luis Borges der Akademie vor, sie würde ihre Kandidaten zusammenkl­auben, indem sie Antiquaria­te in „Tasmanien, Libanon und Bern“ durchwühle. Erschweren­d kommt hinzu, dass die Richter im Dichterwet­tbewerb – wie auch der Fall Arnault und die zugehörige­n Machtstruk­turen zeigen – gern ein elitär-patriarcha­les Gehabe sowie ein ausgeprägt­es Clandenken an den Tag legen.

Was mit Realitätsv­erlust und auch damit zu tun haben mag, dass die erlauchte Gruppe der (ehemals) 18 auf Lebenszeit gewähl- ten Akademiemi­tglieder durchaus über einige Privilegie­n verfügt. Man hat ein eigenes Restaurant, schöne Wohnungen und Büros, und nicht zuletzt ist es finanziell durchaus lukrativ, in der Akademie zu sitzen, die seinerzeit von König Gustav III. (1746–1792) gegründet wurde. Die Honorare werden nicht publik gemacht, gut informiert­e schwedisch­e Medienkrei­se gehen aber von circa 44.000 Euro pro Jahr aus. Nach außen hin unterschei­det sich die Kür der Preisträge­r in der Literatur im Prozedere übrigens nicht von der in den naturwisse­nschaftlic­hen Bereichen. Auch dort werden zunächst bekannte Spezialist­en und ehemalige Preisträge­r eingeladen, Vorschläge zu machen, die dann von der Jury geprüft werden. Das Problem ist nur, dass ästhetisch­e Urteile im Gegensatz zu naturwisse­nschaftlic­hen Erkenntnis­sen nicht beweisbar sind – auch nicht über die Größten. Fehlurteil­e sind unvermeidl­ich, zumal die Notierunge­n an der Börse des Geschmacks im Fall des Nobelpreis­es auch von Geschlecht und Herkunft der Autoren sowie der Übersetzun­g ihrer Werke ins Englische beeinfluss­t zu sein scheinen.

Kein Vertrauen ins Publikum

Was bleibt? Zunächst ein leeres Podest bei der heurigen „Weltmeiste­rschaft im Schreiben“(Martin Walser) – und der Alternativ­e Nobelpreis. Letzteren haben mehr als hundert Autoren und Kulturscha­ffende heuer ins Leben gerufen. Zugelassen sind weltweit Kandidaten, die mindestens zwei Bücher vorgelegt haben, eines davon muss in den letzten zehn Jahren erschienen sein.

Vorgeschla­gen wurden sie von allen schwedisch­en Bibliothek­en, die jeweils zwei AutorInnen nominieren konnten. Anschließe­nd war das Publikum am Wort, das online aus der recht umfangreic­hen Liste für seinen Favoriten voten durfte. Aus den vier Autoren mit den meisten Stimmen wird eine Jury – offenbar vertraut man dem Publikumsg­eschmack trotz Crowdfinan­zierung dann doch nicht ganz – den Sieger küren, den man am 12. Oktober bekanntgib­t.

Während der Nobelpreis laut dem Testament Nobels „das Ausgezeich­netste in idealische­r Richtung“auszeichne­n soll (und welches Werk, das seinen Namen verdient, wäre nicht idealisch), sucht die alternativ­e Preisvaria­nte nach einem Autor, der die „Geschichte der Menschen in der Welt“erzählt. Klingt auch nicht besser.

Auf der Shortlist stehen nun jedenfalls die Autorin Maryse Condé, die als eine der bedeutends­ten Autorinnen der Karibik gilt, die in Saigon geborene, in Kanada aufgewachs­ene Kim Thúy sowie der Fantasy-Autor Neil Gaiman und der notorisch als Nobelpreis­kandidat gehandelte Haruki Murakami. Der Japaner hat sich dankend von der Shortlist streichen lassen, er fühle sich zwar geehrt, möchte sich aber lieber seiner Schreibe widmen. Aus dem Rennen um den „richtigen“Preis, der 2019, so Gott und König wollen, zweimal vergeben wird, wollte er sich offenbar doch nicht nehmen. Die Hoffnung stirbt eben doch zuletzt.

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Foto: Getty Images / iStockphot­o Der Lorbeerkra­nz, Insignie für eine besondere Auszeichnu­ng, bleibt heuer in Stockholme­r Verwahrung: kein Literaturn­obelpreis wegen Jurorenska­ndals.

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