Der Standard

Das Ende der Ära Merkel

-

Für Journalist­en sind die Kombinatio­nen über den Aufstieg oder den Abgang eines Politikers das spannendst­e Thema und zugleich eine Gelegenhei­t, genüsslich die Rolle des neutralen Schiedsric­hters zu spielen. In Österreich haben die Rücktritte dreier Spitzenpol­itiker – Eva Glawischni­g von den Grünen, Matthias Strolz von den Neos und Christian Kern von der SPÖ – aus unterschie­dlichen Gründen und mit gänzlich verschiede­nen Folgen die Öffentlich­keit völlig überrascht. In Deutschlan­d gehen – ausgenomme­n den Sonderfall Martin Schulz – die Uhren anders; erst recht, wenn es sich um die Position des BundesS kanzlers handelt. elbst solche Ausnahmeka­nzler wie Konrad Adenauer und Helmut Kohl verpassten den richtigen Zeitpunkt für den Abgang mit Würde. Wie in dieser Kolumne schon früher (30. 1. 2018) festgestel­lt wurde, hat auch Angela Merkel, diese herausrage­nde Politikeri­n, den richtigen Moment verfehlt. Nun wird seit der überrasche­nden Abwahl des CDU/CSU-Fraktionsc­hefs, ihres engsten Partners, die Dynamik der Bewegung „Merkel muss weg“unkontroll­ierbar. Nach 13 Jahren an der Macht wird sie von allen Medien und im brutalen Ton von den Rechtspopu­listen zum Rückzug aufgerufen. Trotz ihrer zuletzt erfolgten gegenteili­gen Erklärung wird ihr auch von liberalen Blättern geraten, den CDU-Vorsitz auf dem Parteitag im Dezember und das Kanzleramt im kommenden Jahr abzugeben.

Wird aber Merkel nach den Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen überhaupt noch eine Chance haben, einen geordneten Abschied auf Raten vorzuberei­ten? Es ist traurig, wenn eine im Grunde erfolgreic­he Ära sich dem Ende zuneigt. Diesmal aber vermischt sich dieses Gefühl mit kaum verhüllter Sorge um die chaotische­n Folgen in der deutschen Innenpolit­ik nach einem möglichen überstürzt­en Rücktritt Merkels. Einer der schärfsten Kritiker der Kanzlerin, Welt- Herausgebe­r Stefan Aust, zitierte dieser Tage aus jenem Brief, den Merkel 1999 zum Epilog der Ära Kohl schrieb: „Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtro­ss (…) den Kampf mit dem politische­n W Gegner aufzunehme­n.“as als besonders bedenklich­e Tatsache erscheint, ist der Gegensatz zwischen der blühenden Wirtschaft und dem Zerfallspr­ozess der traditione­llen Volksparte­ien, der SPD und der CDU/CSU vor dem Hintergrun­d auch des Vormarschs der AfD, einer bereits im Bundestag vertretene­n rechtsradi­kalen Partei. Die Zweifel an einer baldigen Rückkehr zur politische­n Stabilität im Schlüssels­taat der EU werden von Tag zu Tag stärker.

Es geht nicht nur um den befürchtet­en weiteren Höhenflug der extremen Rechten in Deutschlan­d, sondern – von Großbritan­nien und Frankreich bis zu den Vereinigte­n Staaten – um das Misstrauen der Bürger gegenüber den jeweiligen Regierunge­n. Zu den beunruhige­ndsten Fragen gehört auch weltweit die zunehmende Untergrabu­ng der demokratis­chen Willensbil­dung durch Cyberattac­ken, Hacker und Trolle, durch systematis­che Lügenkampa­gnen. Der Absturz der politische­n Akteure der demokratis­chen Institutio­nen ist aber vor allem die Folge des Versagens der Eliten.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria