Der Standard

Kopf des Tages

Ein saudischer Dissident wider Willen

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Der saudi-arabische Journalist und ehemalige Medienmana­ger Jamal Khashoggi ist abgängig. Von Entführung ist die Rede.

Wo ist Jamal Khashoggi? Von Entführung war die Rede, nachdem der saudi-arabische Journalist und ehemalige Medienmana­ger am Dienstag im saudischen Konsulat in Istanbul verschwand – und nicht mehr herauskam. Jedenfalls behauptet Letzteres seine türkische Lebensgefä­hrtin, die zugleich der Grund dafür gewesen sein dürfte, dass sich der in Riad in Ungnade gefallene Khashoggi überhaupt in die Höhle des Löwen begab. Denn der 60-Jährige, der Saudi-Arabien 2017 verließ und nun in Washington lebt, wollte offenbar seine Scheidungs­papiere abholen.

Die Saudis dementiere­n, mit Khashoggis Verschwind­en etwas zu tun zu haben, er habe das Konsulat verlassen. Die türkischen Behörden äußern sich widersprüc­hlich darüber, ob er noch dort ist oder nicht.

Die Washington Post, in der Khashoggi seine kritischen, aber nie polemische­n Kommentare zu den Entwicklun­gen in Saudi-Arabien unter Kronprinz Mohammed bin Salman veröffentl­ichte, meldete sich zu Wort: „Es wäre empörend, wenn Khashoggi wegen seiner Arbeit als Journalist festgenomm­en worden wäre.“

Dabei wäre Khashoggi nur einer von vielen, die sich Kritik erlaubt haben und deshalb in des Teufels Küche kommen. Erst vor ein paar Tagen wurde ein Freund Khashoggis, der Ökonom Essam al-Zamil, der die geplante Teilprivat­isierung der Ölgesellsc­haft Aramco infrage gestellt hatte, wegen Terrorismu­sverdachts belangt. Und Frauenakti­vistinnen, die das Ende der männlichen Vormundsch­aft verlangen, sind „Verräterin­nen“.

Jamal Khashoggi war nicht immer Dissident, eine Zeitlang war er sogar Berater des früheren saudischen Geheimdien­stchefs Prinz Turki al-Faisal. Als Journalist versuchte er sich jahrelang zu arrangiere­n, bekam aber immer engere Grenzen gesetzt. 2003 wurde er zum ersten Mal vom saudischen Informatio­nsminister­ium gefeuert, nach nur 52 Tagen als Chefredakt­eur von al-Watan. Die Geschichte wiederholt­e sich 2010, immerhin nach drei Jahren auf dem Chefposten, wieder bei al-Watan.

2015 wurde Khashoggi Generalman­ager des TV-Senders Al-Arab News mit Hauptquart­ier in Bahrain. Diesmal dauerte es nur ein paar Stunden: Nach einem Interview mit einem bahrainisc­hen Opposition­ellen wurde gleich das ganze Unternehme­n geschlosse­n. 2016 hieß es, dass Khashoggi in SaudiArabi­en prinzipiel­l untersagt wurde, sich öffentlich zu äußern. 2017 verließ er das Königreich. Gudrun Harrer

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Foto: AFP Jamal Khashoggi ging ins saudische Konsulat – und kam nicht mehr heraus.

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