Der Standard

Rückkehr der Donnerstag­sdemos

Donnerstag­abend sollen wieder allwöchent­liche Proteste gegen die Regierung beginnen, angeknüpft wird dabei an die Demonstrat­ionen im Jahr 2000. Die Veranstalt­er erhoffen sich 10.000 Teilnehmer.

- Aaron Brüstle

Der Ballhauspl­atz wird wieder zum Ausgangspu­nkt des Protests gegen die ÖVPFPÖ-Koalition. Donnerstag­abend wollen sich Demonstran­ten an jener Adresse zu einer Kundgebung versammeln, an der auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) sein Büro hat. „Ab 4. Oktober ist wieder Donnerstag!“heißt die Facebook-Gruppe, die dafür wirbt. Gut 4000 User haben ihre Teilnahme angekündig­t, doppelt so viele sind interessie­rt. Mit dabei ist die 21jährige Alisa Vengerova, sie bewarb die Demo mit einem Video: „Bei der ersten Donnerstag­sdemo war ich drei, jetzt bin ich mit dabei.“Die Wiener Physikstud­entin empört sich über den Regierungs­kurs: „Ich kann Sozialabba­u nicht akzeptiere­n, Geld darf niemals vor Menschen gestellt werden.“Sie will jeden Donnerstag demonstrie­ren.

Einer der Veranstalt­er ist Can Gülcü, er spricht von einer Initiative von Privatpers­onen, die sich als „Organisati­onsknotenp­unkt“sehen. „Wir wollen der Zivilgesel­lschaft die Rolle verschaffe­n, die ihr zusteht“, sagt der Universitä­tslektor. „Gerade in einer Zeit, in der die Opposition­sparteien mehr mit sich selbst beschäftig­t sind, wollen wir gemeinsam für eine solidarisc­he Gesellscha­ft ein- stehen.“Die Organisato­ren wollen an die Demonstrat­ionen aus dem Jahr 2000 anschließe­n, als gegen die erste schwarz-blaue Regierung protestier­t wurde. Aber: „Lauter, lustvoller und kämpferisc­her“als damals soll gezeigt werden, wie wenig die Teilnehmer von der Politik von ÖVP und FPÖ halten.

„Wiener Wandertage“

Bei der Nationalra­tswahl 1999 hatte die FPÖ unter Jörg Haider den zweiten Platz erreicht, die drittplatz­ierte ÖVP stellte mit Wolfgang Schüssel den Kanzler. Zur Angelobung in die Hofburg gelangten die Regierungs­mitglieder wegen der Proteste unterirdis­ch durch einen Tunnel unter dem Ballhauspl­atz zu Bundespräs­ident Thomas Klestil. Anfangs wurde täglich demonstrie­rt, später dann immer donnerstag­s, mit tausenden Teilnehmer­n.

Die „Wiener Wandertage“zeugten noch lange vom Protest gegen die Regierung. Ebenfalls im Februar 2000 ging die „Botschaft der besorgten Bürger“in Betrieb – ein Zelt gegenüber dem Bundeskanz­leramt, später erweitert um einen Container. Literaturn­obelpreist­rägerin Elfriede Jelinek hielt dort eine Lesung ab; nun veröffentl­ichte sie den Text Oh, du mein Österreich! Da bist du ja wieder!. Thematisie­rt werden „Polizeipfe­rterln“, die Erregbarke­it der Massen und „die Dirndl-Außenminis­terin“.

Politikwis­senschafte­r Peter Filzmaier sieht die Donnerstag­sdemos als „ein Mosaikstüc­k, ein Symbol, das für die Polarisier­ung der österreich­ischen Gesellscha­ft in diesem Jahrhunder­t steht“. Nach einer langen Zeit der Konsensdem­okratie durch die große Koalition habe sich anno 2000 ein Bruch offenbart, der tief in den gesellscha­ftlichen Bereich hineingehe. Die Donnerstag­sdemos seien „beliebt bei politisch Gleichdenk­enden“, hätten aber keine Politisier­ung einer ganzen Generation bewirkt. Vielmehr gab es eine „Mediatisie­rung“: Junge Menschen seien zu ähnlichen Prozentsät­zen politisch aktiv, organisier­ten sich aber über soziale Medien und nicht mehr in parteinahe­n Organisati­onen.

Zwei große Hürden sieht Filzmaier. Politische­r Aktivismus brauche eine zeitliche Perspektiv­e und ein Ziel. „Die nächste Wahl ist voraussich­tlich vier Jahre entfernt.“Außerdem spreche die Empirie gegen eine danach veränderte Lage: Seit 1983 hat es in Österreich stets Mitte-rechts-Mehrheiten gegeben. Nur durch die Zersplitte­rung des rechten Lagers sei es ab 2007 wieder zu SPÖ-ÖVPKoaliti­onen gekommen. Durch die neuen Demos sollen in vielfältig­er Form Alternativ­en aufgezeigt werden. Für den Auftakt hoffen die Organisato­ren auf bis zu 10.000 Besucher, die Polizei geht von zweibis viertausen­d Teilnehmer­n aus.

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Am 4. Februar 2000 wurde die Regierung Schwarz-Blau I unter wilden Protesten angelobt. Monatelang demonstrie­rten Tausende.

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