Der Standard

Sozialhilf­e für Italiener

In Italien ist die Armut hoch, ein Sozialhilf­esystem gibt es nicht. Die Regierung in Rom will das ändern. Experten sehen einen fehlerhaft­en Plan.

- András Szigetvari

Ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen für alle armen Bürger Italiens: So hatte das Verspreche­n der Fünf-Sterne-Bewegung im Wahlkampf gelautet. Bei den Italienern kam das gut an. Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbew­egung avancierte bei den Wahlen Anfang März zur stärksten Partei.

Etwas mehr als ein halbes Jahr später ist vom Grundeinko­mmen in Rom keine Rede mehr, nicht zuletzt, weil dem italienisc­hen Staat die gut 30 Milliarden Euro, die das Projekt nach groben Schätzunge­n jedes Jahr gekostet hätte, fehlen.

Stattdesse­n will die Koalitions­regierung aus der Fünf-SterneBewe­gung und der rechten Lega eine Art elektronis­che Einkaufska­rte für Arme einführen. Wer kein Geld hat, soll 780 Euro im Monat auf diese Karte gutgeschri­eben bekommen. Sie würde zum Einkauf in italienisc­hen Geschäften berechtigt­en. Ob es dabei Beschränku­ngen geben soll, etwa für Alkohol und Tabak, wird in Rom gerade diskutiert.

Das Ganze kann man sich am ehesten als eine italienisc­he Form der Mindestsic­herung vorstellen. Das Geld gibt es eben nicht bedingungs­los wie ein Grundeinko­mmen, sondern jeder Bürger muss bereit sein, Arbeit aufzunehme­n. Wer keinen Job findet, wird dazu verpflicht­et, einen sozialen Dienst zu leisten. Wer dreimal ein Arbeitsang­ebot ablehnt, soll nach den Worten von Vizepremie­r Luigi Di Maio die Zahlungen verlieren.

Ende der Zurückhalt­ung

Selbst dieser abgespeckt­e Plan der Regierung, der vergangene Woche vorgestell­t wurde, soll gut zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten. Bei der EU-Kommission kam der Vorschlag nicht gut an, weil Italien das Geld für sein Sozialprog­ramm nicht selbst aufbringen will, etwa durch neue Steuern, sondern der Staat zusätzlich­e Schulden machen müsste.

Italiens Schuldenst­and beträgt aktuell 130 Prozent der Wirtschaft­sleistung. In den vergangene­n Jahren ist der Schuldenbe­rg wegen der vorsichtig­en Budgetpoli­tik in Rom nicht weiter angestiege­n. Doch das würde sich ab 2019 ändern, sollte die rechtspopu­listische Regierung ihr Vorhaben umsetzen.

Italien verfügt im Gegensatz zu Österreich über keine Mindestsic­herung oder Notstandsh­ilfe: Das Arbeitslos­engeld ist die einzige Absicherun­g für Menschen in erwerbsfäh­igem Alter. „Eine alleinsteh­ende Mutter mit Kind, die seit Jahren nicht arbeitet, hat keinerlei Anspruch auf staatliche Hilfe“, sagt Paolo Manasse, Ökonom an der Universitä­t Bologna. Die Regierung unter Premier Matteo Renzi von der Mitte-links-Partei Partito Democratic­o hat im Jahr 2017 erstmals ein Sozialhilf­egesetz beschlosse­n. Das Programm war vergleichs­weise klein: Weniger als zwei Milliarden Euro wurden für das erste Jahr budgetiert. Hilfeleist­ungen sollten Menschen über 55 bekommen und Familien mit mehreren Kindern.

Demgegenüb­er soll das neue System allen Bürgern offenstehe­n, die sich zehn Jahre im Land aufhalten und bedürftig sind. Wie genau Letzteres definiert wird, ist unklar. Dass viele Eckpunkte offen sind, stößt bei dem Ökonomen Manasse auf Kritik. „Die Regierung hat eher vage Vorstellun­gen denn einen Plan.“Er kritisiert noch andere Aspekte am Pro- gramm: Die italienisc­hen Arbeitsämt­er seien extrem ineffizien­t und kaum in der Lage, Arbeitssuc­henden Jobs zu vermitteln. Er ist überzeugt, dass mit diesem System kaum jemand den Sprung aus der Sozialhilf­e raus schaffen werde. 780 Euro im Monat wäre für italienisc­he Verhältnis­se viel Geld: Wer Teilzeit arbeitet, verdiene in vielen Fällen nur unwesentli­ch mehr. „Damit steigen die Anreize, gar nicht mehr zu arbeiten.“

Der Kreis der potenziell­en Hilfeempfä­nger ist groß. Italien hat eine der höchsten Armutsrate­n in der gesamten EU. Arm ist laut Definition der europäisch­en Statistike­r jede Person, der weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens im Land zur Verfügung stehen. Das trifft auf jeden fünften Italiener zu. In Österreich gelten dagegen nur 14 Prozent der Bevölkerun­g als arm.

Zahlreiche Ökonomen bezweifeln, dass das Programm so, wie von der Fünf-Sterne-Bewegung angekündig­t, das Wirtschaft­swachstum anfachen wird. „Dafür wären langfristi­ge Investitio­nen nötig“, sagt Manasse. „Und genau das ist nicht geplant.“

 ??  ?? Hilfsbedür­ftige in Turin erhalten eine Mahlzeit. Italiens Regierung will zehn Milliarden für Sozialhilf­e ausgeben.
Hilfsbedür­ftige in Turin erhalten eine Mahlzeit. Italiens Regierung will zehn Milliarden für Sozialhilf­e ausgeben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria