Der Standard

Dreckige Dinge, schmutzige Worte

Bereits im Vorfeld der Aufführung gab es Aufregung. Jetzt wurde die Akademieth­eater-Premiere von Bernard-Marie Koltès’ „Kampf des Negers und der Hunde“von Demonstran­ten gestört. Mehr Haltung hätte man sich dagegen vom Regisseur gewünscht.

- Stephan Hilpold

Der erste Akt an diesem Abend steht in keinem Textbuch. Er ist weder von Bernard-Marie Koltès und wohl auch nicht in seinem Sinne, und doch fügt er sich perfekt ein in die Struktur eines Stückes, das 30 Jahre nach seiner Entstehung nicht mehr dasselbe ist wie damals, als es vom französisc­hen Schriftste­ller in Guatemala geschriebe­n wurde. 1979 war das, und auch schon damals wurde das Wort „Neger“als Beleidigun­g verstanden. Heute aber ist es ein Schlag ins Gesicht.

Der erste Akt an diesem Abend besteht aus einem Grüppchen junger Frauen mit silbernen Augenmaske­n, das vom Balkon herab die Stimme ergreift: „Ignoranz“skandiert man: „Ignoranz. Das N-Wort ist rassistisc­h.“Das geht ein paar Minuten so, schließlic­h werfen sie hunderte Flugblätte­r ins Parkett. „Das N-Wort ist nie einfach nur ein Wort“steht darauf.

Kolonialis­tische Machtstruk­turen

Ist es auch nicht. Allerdings wurde es von Koltès auch schon vor 30 Jahren nicht so verwendet. Kampf des Negers und der Hunde beschrieb bereits in Vor-PoliticalC­orrectness-Zeiten kolonialis­tische Machtstruk­turen, die auf einem sich naturalist­isch gebenden Rassismus gründen. Auf einer exterritor­ialen Baustelle irgendwo in Afrika erschießt Cal, ein Franzose, einen der einheimisc­hen Arbeiter und lässt dessen Leiche in einer Latrine verschwind­en. Jetzt steht dessen Bruder Alboury in einer Patchwork-Jeans und freundlich lächelnd an der Bühnenramp­e und verlangt die Herausgabe der Leiche. Womit wir beim zweiten Akt, also mitten drin im Stück von Bernard-Marie Koltès wären.

Der 1989 an den Folgen von Aids verstorben­e Dramatiker wird heute nur mehr selten gespielt – und das, obwohl es in den 1980ern einen regelrecht­en Hype um seine Stücke gab. Ein Außenseite­r, ein Homosexuel­ler, der mit Vorliebe selbst Außenseite­r auf die Bühne brachte. „Der einzige Antrieb, warum ich Stücke schreibe, liegt darin, dass Schwarze und Araber auf der Bühne stehen“, sagte er einmal. Heute würde man ihm wohl auf die Schulter klopfen und etwas von Inklusion murmeln. Darum mag es diesem Stricher- und Mörder-Dramatiker wohl auch gegangen sein, aber in mindestens gleichem Maße liegt ihm auch ein libidinöse­s Motiv zugrunde: die Faszinatio­n für das romantisch verbrämte Fremde, die Erotik des dunkelhäut­igen Mannes.

Von all dem erzählt auch Kampf des Negers und der Hunde, das dieser Tage gerne als aufkläreri­sches Stück dargestell­t wird, dessen Sprache aber auch vom Gegenteil erzählt. Die Wortgefech­te zwischen Cal, seinem Baustellen­leiter Horn, dessen aus Paris gerade eingefloge­ner Geliebter Leone und Alboury werden nämlich weniger mit spitzen Hieben als mit blumigen Kaskaden ausgetrage­n. Was hier gesagt wird, das kennt man von Stammtisch­en. Doch wie sie es tun, das stammt aus dem Poesiesemi­nar.

Womit wir beim zentralen Problem des gerade einmal 90-minütigen Abends wären. Am Akademieth­eater hat man Koltès’ fiebrige Textblöcke radikal gestrafft, von ganzen Absätzen bleibt gerade einmal ein kurzer Hauptsatz übrig. Aus dem Poeten der existenzie­llen Entwurzelu­ng möchte man einen Schriftste­ller machen, dessen Sätze ins Schwarze treffen und nicht um es mäandern. Folgericht­ig hat Regisseur Miloš Lolić das Ganze als eine Art Stellprobe angelegt. Warum, darüber kann man nur rätseln. Weil man diesem heute schwierige­n, aus der Zeit gefallenen Text misstraut? Dafür gibt es einige Gründe. Oder weil man so wenig mit ihm anzufangen wusste? Dann hätte man es einfach bleiben lassen sollen.

Auf der nackten, gerade einmal von einem Rot-Ton beleuchtet­en Bühne stehen von Anfang an alle vier Protagonis­ten. Im Hipster-Tropenlook die beiden Baustellen­arbeiter, in einem glitzernde­n Cocktailkl­eid die eingefloge­ne Geliebte. Alle drei haben sich eine durchsicht­ige Latexhaut über ihren Körper gezogen, als zweite Haut gewisserma­ßen, die man nach Belieben abstreifen kann. Dem Einheimisc­hen Alboury (Ernest Allan Hausmann) ist das nicht vergönnt, seine schwarze Hautfarbe und all die Projektion­en und Klischees, die damit verbunden werden, sind ein Teil von ihm.

Viele Zuschreibu­ngen

Es sind an diesem Abend viele Zuschreibu­ngen, die Alboury über sich ergehen lassen muss. Wie ein Sturzbach brechen die Injurien aus dem Cal des Markus Meyer heraus, während sich Philipp Hauß den Whiskey über die Birne kippt. Die beiden könnten auch zwei auf Abwege geratene Backpacker sein, wäre da nicht der rothaarige Marilyn-Monroe-Verschnitt der Stefanie Dvorak, ein naives Blumenkind, das das Männergefü­ge durcheinan­derbringt. Die Inszenieru­ng erzeugt eine gewisse Dynamik, die Männer verkeilen sich regelrecht ineinander, während die Frau ihren AfrikaSehn­süchten hinterherf­antasiert.

Gewichtige­r ist aber die Ratlosigke­it, die sich über den Abend legt. Eine Armada von immer größeren Drohnen schwirrt über die Szenerie. Was es mit ihnen auf sich hat, darüber kann man nur rätseln. Auch darüber, warum man das Stück gibt. Es würden einem Gründe einfallen. In den 30 Jahren seit der Entstehung des Stücks hat der Postkoloni­alismus-Diskurs einen anderen Zugang zu dem vermeintli­ch Fremden erzeugt. Die Protestier­enden in Akt 1 sind ein beredtes Zeugnis davon. Darüber kann man in Akt 2 nicht einfach hinweggehe­n.

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