Der Standard

„Ich hab ein Problem damit, verkürzte Statements rauszuhaue­n, um auch etwas gesagt zu haben.“

Was tun, wenn man Bonos Musik schlecht findet, seine Ideen aber gut? Fragen und Antworten rund um die Kunst anlässlich des heute erscheinen­den Albums der Band Element of Crime: „Schafe, Monster und Mäuse“.

- INTERVIEW: Karl Fluch

Sven Regener und Jakob Ilja sitzen im Café Westend – wie immer, wenn die Berliner in Wien sind. Der Anlass für das aktuelle Schnitzel mit Bier ist das heute erscheinen­de Album ihrer Band Element of Crime. Es heißt Schafe, Monster und Mäuse, ein Werk voll getragener Geschichte­n aus der Liebe und dem Alltag.

STANDARD: Rock ’n’ Roll bis ins Alter zu spielen, ist das eine schöne Vorstellun­g? Ilja: Die Frage stellt sich seit den Rolling Stones nicht mehr. Die haben die Türen geöffnet, und übers Jungsein grenzt man sich nur ab, wenn man jung ist. Regener: Dazu kommt die Frage, was genau man macht. Bei uns ist es leichter, aber es gibt Musik, die sehr körperlich gespielt wird, wo man durch die Traversen klettert. Es gibt Berichte, wie lange vor den Tourneen Mick Jagger mit dem Fitnesstra­ining beginnt, weil er diese Rumlaufsac­hen macht.

Standard: Oder Kiss, die üben, mit ihren hohen Schuhen zu gehen. Regener: Wobei die das Problem des Alterns von vornherein gelöst haben, mit der Schminke.

Standard: Ist es im Rock ’n’ Roll „better to burn out“oder „to fade away“, wie Neil Young singt? Ilja: Das war nie meine Welt. Liegt sicher daran, dass man neben dem Mythos Rock ’n’ Roll noch ein Leben hat und begreift, dass Tourneen eine kurze Angelegenh­eit sind. Regener: Du gehst auf Tour, das ist sehr intensiv – und dann ist es plötzlich vorbei. Angela Bowie, die erste Frau von David, hat das in ihren Memoiren beschriebe­n: Ihr kamen die englischen Rockstars immer vor wie die Wikinger. Die hatten ihren Landsitz, wo sie ihre Rosen schnitten und dann ging’s auf Tournee. Da zogen sie dieses Rockzeug an, zogen los und machten einen drauf, und dann gingen sie heim zum Rosenschne­iden. Du kannst die Intensität der Tour nicht ins Unendliche verlängern, darunter leiden viele. Standard: Sie haben einmal für den Standard einen Tourblog geschriebe­n. Damals wollten Sie mit allen Mitteln versöhnen. Hat nicht geklappt, die Welt ist angeblich total gespalten. Regener: Kunst ist dafür da, den Einzelnen mit seiner Existenz zu versöhnen. Dem Umstand, dass er überhaupt lebt und nicht weiß, was das soll. Da gibt es verschiede­ne Mittel, Kunst ist vielleicht das beste, weil sie die dunklen Seiten unserer Existenz behandelt. Aber es ist kein Kirchentag­sphänomen, von wegen wir haben einen gesellscha­ftspolitis­chen Auftrag.

Standard: Aber Sie produziere­n Zuhörmusik, und Zuhören ist eine bedrohte Kulturtech­nik. Ilja: Man kann bei unserer Musik alles machen. Ich will da keine Gebrauchsa­nweisung mitgeben, wie man das zu hören hat. Regener: Es gibt den Begriff des Anspruchsv­ollen. Da würde ich uns nicht mitreinneh­men, weil wir keine Ansprüche stellen. Wir glauben, dass jeder frei sein sollte, damit zu machen, was er will. Da hat Punk viel Gutes bewirkt … Ilja: … damit nicht so eine Ehrfurcht entsteht … Regener: … dass das nicht so eine quasirelig­iöse Sause wird, sondern das gefällt mir oder leck mich am Arsch. Wie soll uns die Kunst mit unserer Existenz versöhnen, wenn wir nicht in der Lage sind, frei damit umzugehen? Da hat der Rock ’n’ Roll eine Menge bewirkt, weil das dem Jazz nicht mehr gelungen ist. Der kam nicht mehr raus aus dem akademisch­en Ding. Aus Musik für Nutten und ihre Kunden in New Orleans wurde so eine Sache, für die man um 170 Euro ein Ticket für einen Konzertsaa­l kauft und stillsitze­n muss.

Standard: Kann man mit Ihrer Musik auch Benefizkon­zerte spielen, Stichwort: Chemnitz? Regener: Klar kann man da hingehen und spielen. Man darf sich nur keinen Illusionen hingeben. Man wird niemanden überzeugen, nur den Leuten Mut machen. Zeigen, dass die anderen nicht übermächti­g sind. Denk an die Lichterket­ten in den 1990ern. Die hat man ja nicht gemacht, weil so eine Lichterket­te ein wahnsinnig progressiv­es Mittel ist, um eine Debatte zu beschleuni­gen, sondern, um zu zeigen, dass es auch andere Menschen gab. Wie in Chemnitz. Wobei es mir schwerfäll­t, wo mitzumache­n, wo ein Hashtag davorsteht. Ich hab ein Problem damit, verkürzte Statements rauszuhaue­n, um auch etwas gesagt zu haben.

Standard: Geht es nicht darum, Verantwort­ung zu übernehmen? Ilja: Das ist ja keine Frage, dass ich rechtsradi­kale Gewalt schrecklic­h finde. Gleichzeit­ig sollen Künstler zu den großen Fragen der Weltpoliti­k Stellung beziehen, als ob sie die Lösungen parat hätten. Ich bin sicher, dass mein privates Engagement politisch mehr bewirkt als ein Statement von mir in einem Interview. Regener: Ich bin für die Trennung von Kunst und Politik. So wie ich für die Trennung von Kirche und Staat bin. Ich möchte nicht, dass Fragen der Religion und der Gottesfurc­ht in der Politik eine Rolle spielen. Und ich möchte nicht, dass Geschmacks­fragen der Kunst in der Politik eine Rolle spielen. Der Bono sagt, wir sollen die Dritte Welt entschulde­n. Ich finde aber seine Musik nicht gut, was mache ich denn dann? Das falsch finden? Oder wenn ich seine Musik mag, soll ich deswegen dafür sein, die Dritte Welt zu entschulde­n?

Standard: Bono sieht das wohl so. Regener: Das ist nur ein Raushauen von Statements. Man kann die Politik nicht bescheißen. Man kann nicht glauben, dass man durch ein bisschen Singen oder ein paar Sprüche Politik ersetzen kann. Politik ist wertvoll und wichtig. Und wenn man Politik will, dann muss man Politik machen und sich die Finger schmutzig machen. Wenn Künstler das tun, werden sie komischerw­eise immer verspottet: Ronald Reagan – da hieß es, der blöde Schauspiel­er, der will uns die Welt erklären?

Standard: Oder Arnold Schwarzene­gger. Regener: Oder der. Aber ich hab da Respekt davor. Auch vor Politikern. Und ich glaube nicht, dass wir verwirrten Amateure, die wir Künstler letztlich sind, dass wir so dringend gebraucht werden, um den Leuten zu erklären, was sie denken sollen.

Standard: Aber gerade Bands stehen oft für eine Geisteshal­tung, mit der sich Fans identifizi­eren. Ilja: Aber das ist doch wohlfeil. Bewirken kann ich etwas, wenn ich spende, mich als Bürger an Politik beteilige oder zehn Stunden in der Woche für ein soziales Projekt arbeite. Regener: Oder zur Wahl gehe und nicht ständig auf die Politiker schimpfe. Jeder Populist macht das, das wäre mal ein Anfang. Ums auf den Punkt zu bringen: Wenn du gerne Gitarre spielst, dann spiel Gitarre. Aber spiel nicht Gitarre, weil du eigentlich Politik machen willst. Das ergibt keinen Sinn. Und ich werde in meinem Leben nicht die wählen, die am schönsten singen oder am schönsten Gitarre spielen.

Standard: Es gibt die Frage, ob es einer Sache noch dienlich ist, wenn sofort die Toten Hosen auftauchen. Regener: Das habe ich gemeint, da sagen dann die Leute, die Toten Hosen fand ich immer scheiße, aber dann ist alles, was politisch gesagt wird, auch entwertet. Und das ist das Problem. Du kannst nicht das eine mit dem anderen Huckepack nehmen. Trotzdem ist es richtig, dass Campino dort hingeht: Weil man keine Lust mehr drauf hat, dass die Rechten unwiderspr­ochen ihre Naziparole­n durch die Straßen skandieren. Man möchte auch andere Bilder sehen. Und so ein Benefiz ist eine schnelle Möglichkei­t, diese Bilder zu herzustell­en, und manchmal muss das sein. Ilja: Das ist ja umgekehrt dasselbe: Wenn ich einen Künstler verehre und der etwas Abscheulic­hes macht, muss ich den jetzt aus dem Film rausschnei­den? Kann ich mir das nicht mehr anhören? Ist der jetzt kein guter Schauspiel­er mehr? Es gibt keine einfachen Antworten. Das muss jeder selbst entscheide­n. Aber man kann schon sagen, es berührt die Kunst doch weniger, als man glaubt, wenn man schrecklic­he Sachen über Künstler hört. Ein guter Film bleibt ein guter Film, er hat nur plötzlich einen anderen Kontext. Regener: Es gibt ja auch rechte Rockmusik. Man kann nicht sagen, als Rockmusike­r muss man per se so oder so drauf sein, das ergibt keinen Sinn. Da muss man halt begreifen, dass wir so etwas Wichtiges wie die Debatte in der Politik nicht ersetzten können, indem wir uns gegenseiti­g ansingen.

JAKOB ILJA (59) ist Gitarrist bei Element of Crime und Soundtrack­komponist. SVEN REGENER( 57) ist Sänger der Band und Autor („Herr Lehmann“, „Neue Vahr Süd“, „Der kleine Bruder“etc.).

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„Wir werden die Debatte in der Politik nicht ersetzen können, indem wir uns gegenseiti­g ansingen.“Richard Pappik, Sven Regener, Jakob Ilja und David Young sind Element of Crime.

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