Der Standard

Schlussstr­ich unters „Horrorhaus“

Für heute, Freitag, wird in Deutschlan­d ein Urteil im Prozess um das sogenannte Horrorhaus von Höxter erwartet. Die Taten, die dort an Frauen verübt wurden, waren unvorstell­bar grausam. Doch auch nach rund 60 Verhandlun­gstagen sind noch Fragen offen.

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Abartig sei das gewesen, krank, eine systematis­che Entmenschl­ichung der Frauen. Und das sagte der Anwalt der Angeklagte­n. In einem waren sich also alle einig: Das, was sich im sogenannte­n Horrorhaus von Höxter abspielte, war unvorstell­bar. Und doch, in einem Haus in Nordrhein-Westfalen, in einer tief katholisch­en Region, haben die Angeklagte­n Wilfried W. und seine Ex-Frau Angelika W. jahrelang zahlreiche per Kontaktanz­eige angelockte Frauen psychisch und physisch misshandel­t und finanziell ausgebeute­t.

Stöße, Schläge, Würgen, das Abschneide­n der Haare, Attacken mit Pfefferspr­ay oder gezwungen werden, Urin zu trinken, sind nur einige der Misshandlu­ngen, die die Frauen über sich ergehen lassen mussten. Weitere Details hat der Oberstaats­anwalt im Prozess am Landgerich­t Paderborn aus Rücksicht auf die Nebenkläge­r nicht genannt. Auf alle Fälle starben zwei der Opfer infolge dieser Quälereien.

Heute, Freitag, soll nach rund 60 Verhandlun­gstagen und fast zwei Jahren ein Urteil fallen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Angeklagte­n zweifachen Mord durch Unterlasse­n und versuchten Mord vor und fordert lebenslang­e Haftstrafe­n. Die Verteidige­r von Wilfried W. hingegen haben eine Haftstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und die Einweisung des 48-Jährigen in die Psychiatri­e beantragt. Wilfried W. wird vor der Urteilsver­kündung noch die Gelegenhei­t haben, sich zu äußern.

Anglika W. ist bereits am vorletzten Prozesstag Mitte September zu Wort gekommen. Dabei stellte sie sich als Opfer ihres ExMannes dar. Deshalb forderten ihre Anwälte auch einen Freispruch für ihre Mandantin.

Wer tatsächlic­h für die Taten verantwort­lich ist, das war die große Streitfrag­e. Immer wieder gab es gegenseiti­ge Schuldzuwe­isungen der beiden Angeklagte­n. Die forensisch­e Gutachteri­n Nahlah Saimeh gab schließlic­h die Antwort. Ihrer Analyse zufolge hatte das Paar ein perfektes System entwickelt, um Frauen in die Falle zu locken. Angelika W. weist demnach Züge von Autismus auf und kann kein Mitleid für ihre Mitmensche­n oder Opfer empfinden. Sexualität setze sie als Machtinstr­ument ein. Sie sei hochintell­igent und extrem herrschsüc­htig und machtbewus­st.

Als schwachsin­nig eingestuft

Wilfried W. dagegen ist der Gutachteri­n zufolge im juristisch­en Sinne schwachsin­nig. Seine Weltsicht sei vergleichb­ar mit der eines Grundschul­kindes. „Schuld oder Verantwort­ung sind ihm nicht beizubring­en“, sagte die Gutachteri­n in ihrer Stellungna­hme. Wilfried W. sei nur vermindert schuldfähi­g und sollte in eine Psychiatri­e eingewiese­n werden.

Wie dieses System im Detail aussah? Angelika W. und Wilfried W. suchten sich meist Frauen aus, die psychisch labil waren und nur wenige soziale Kontakte hatten. Meldeten sich Frauen, auf die das nicht zutraf, wurden diese Kontakte schnell beendet.

Die Opfer, die blieben, wurden durch sogenannte­s Gaslightin­g gefügig gemacht. Sie wurden gezielt desorienti­ert, manipulier­t und ihres Selbstbewu­sstseins beraubt. Angelika W. und Wilfried W. nahmen den Frauen demnach Geld, Handy und Führersche­in ab. Gab es noch Kontakte zur Familie oder zu Freunden, wurden diese beispielsw­eise durch gefälschte SMSNachric­hten torpediert und dann gekappt.

Nicht alle Fragen konnten in dem Prozess geklärt werden, etwa die genaue Todesursac­he des Opfers Anika W. aus Niedersach­sen. Das Paar soll die Leiche 2014 in einer Tiefkühltr­uhe eingefrore­n, zerstückel­t und verbrannt sowie die Asche an Straßenrän­dern verteilt haben.

Susanne F. starb 2016 im Krankenhau­s – einen Tag nachdem eine Autopanne der Angeklagte­n die Ermittlung­en ins Rollen brachte. Sie wollten die Schwerverl­etzte auf der Rückbank ursprüngli­ch nur in deren Wohnung zurückbrin­gen. (ksh, dpa)

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Archivbild des sogenannte­n Horrorhaus­es, das Anwohner deutschen Medienberi­chten zufolge erwerben wollen, um es abreißen zu lassen.

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