Der Standard

Europas Rache im Burg-Kasino

Steckt Europa in der Sackgasse? Nein. Der junge Regisseur Franz-Xaver Mayr inszeniert im Kasino Miroslava Svolikovas „Europa flieht nach Europa“. Ein riesengroß­er Spaß!

- Michael Wurmitzer

Franz-Xaver Mayrs Inszenieru­ngen machen Spaß. Das klingt erst einmal platt, ist aber nicht zu verachten. Neuester Beleg dafür ist Miroslava Svolikovas Stück Europa flieht nach Europa im Burgtheate­r-Kasino. Das könnte nämlich auch ganz unschön belehrend sein. Immerhin lässt die Wiener Dramatiker­in allerlei Vertreter der europäisch­e Geschichte auftreten, um aufzuzeige­n, wie sie selbst immer wieder Ungerechti­gkeit hervorgebr­acht haben: Kirche, Adel, Kolonialis­ten.

Von erhobenem Zeigefinge­r fehlt aber jede Spur. Dorothee Hartinger erscheint zu Beginn des Abends mit einem glänzenden Klumpen Fleisch in den blutigen Händen. Sie ist die Prinzessin Europa aus dem Schöpfungs­mythos unseres Kontinents. Doch alsbald verläuft die Geschichte der vom Stier übers Meer entführten jungen Frau anders als in der griechisch­en Sage.

Zeus in Tiergestal­t kommt nicht dazu, sie zu vergewalti­gen, denn sie tötet ihn mit einem Stich mit der Spitze eines Haares. In Zeiten von MeToo ein gewitzter Einfall. Die euphorisch­e Europa will ein Land gründen, das ohne Gewalt und Mauern existiert. Was nun folgt, macht die Vision allerdings Stück für Stück zunichte.

Freude an der Macht

Denn erst übernimmt ein König mit aufgemalte­n Muskeln die Szene. Der Text, der ihm vor lauter Stottern kaum aus dem Mund kommen will, zerreißt Darsteller Valentin Postlmayr förmlich. Dann platzt es endlich aus ihm heraus. Wie Rumpelstil­zchen hopst er über die Bühne und freut sich lächerlich überdreht an seiner Macht. Zusammen mit Sven Dolinski spielt er später zwei spöttelnde Beamte. Sie haben sich als bibbernde Bauern verkleidet und zeigen mit Fistelstim­men Verständni­s für die ihnen zugedachte Härte des Lebens.

Marta Kizyma wurde als Hexe einst verbrannt. Marie-Luise Stockinger wiederum klagt als Pfarrer im knielangen Talar vom Zerfall der Familien und von leeren Kirchen. Sie verrenkt Körper und Stimme gleicherma­ßen. Alina Fritsch ihrerseits preist als Gelehrter mit unfassbar schnellen Worten die Eigenveran­twortung des Individuum­s. Und schlüpft zudem in die Rolle eines Eroberers, der verzückt von seinem fruchtbare­n Samen die Welt damit tränken will.

Der Regisseur als Drechsler

Dass Fritsch kleingewac­hsen ist und solch imperiale Töne spuckt, ist beispielha­ft für Mayrs Arbeiten. Diese konterkari­eren gerne. Eine fröhlich genannte Putztruppe kommt sehr lethargisc­h daher. Mayr liefert keine realistisc­hen Szenen, seine Regiekunst­stücke siedeln allesamt im Exzentrisc­hen. Er drechselt das Stückmater­ial regelrecht.

Diesen Tanz auf Messers Schneide vollführt er mit höchster Präzision. Genau getimte Sprechchör­e und aufwenige Gesangsnum­mern bringen sein buntes, einfallsre­iches Universum zum Klingen. Aus Dadada-, Lelele- und Mimimi-Lauten orchestrie­rt er an diesem Abend einen Chor, der die Europahymn­e schräger singt, als man sie je gehört hat. Sie ist dennoch oder gerade deshalb ergreifend.

Uraufgefüh­rt wurde Europa flieht nach Europa im Juni bei den Autorenthe­atertagen am Deutschen Theater Berlin. Es ist die zweite Zusammenar­beit von Svolikova und Mayr. Mit Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen ... am Schauspiel­haus Wien 2017 wurden die beiden 1986 Geborenen als bester Nachwuchs für den Theaterpre­is Nestroy nominiert.

Michaela Flück hat dem üppigen Text eine enge, beige Bühne entgegenge­setzt, die an einen antiken Tempel erinnert. Auch Kostümbild­ner Korbinian Schmidt ist ein Fixstarter in Mayrs tollem Team. Sehen und Hören eifern im Publikum um die Wette. Das macht den Text nicht weniger treffend. Aber – wie gesagt – obendrein zu einem riesengroß­en Spaß. 6., 7., 14. und 15. 10.

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Valentin Postlmayr ist ein lächerlich­er König, Dorothee Hartinger spielt Europa.

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