Der Standard

Lustmaschi­nen in der „Mastur Bar“

Im Innsbrucke­r Taxispalai­s stellen Künstlerin­nen zum Thema Sex aus

- Nicola Weber

Innsbruck – Was mit Lieben begann und mit Lachen enden soll, hält zurzeit bei seiner zweiten Station, dem Sex. Mit ihrer Ausstellun­gstrilogie im Innsbrucke­r Taxispalai­s wagt sich Kuratorin Nina Tabassomi an die scheinbar alltäglich­sten Phänomene und sucht genau dort nach den Fragen und Antworten unserer Gesellscha­ft. Weil es eben für jeden Anknüpfung­spunkte gibt und sie ebendort „utopisches Potenzial“ortet, das die Kraft für (politische) Veränderun­g hat.

Das trifft auf Sex ebenso wie auf Kunst zu: Beide produziere­n einen „sinnlichen Überschuss“, der sich dem rationalen Wissen und Verstehen entzieht. Das wird in den fünf rein weiblichen Positionen der Ausstellun­g sehr differenzi­ert zur Diskussion gestellt. Empfangen wird man in der Innsbrucke­r Kunsthalle mit einer phallische­n Skulptur. Sobald sich die Installati­on von Elisabeth von Samsonow aber als hölzerner Baumstamm-Penis entpuppt, der seinen „Saft“durch zahlreiche Steckdosen zum Laden digitaler Geräte spendet, erhält die abgenutzte Symbolik einen guten Humor und der Phallus wir zum freundlich­sozialen Verteilers­ystem.

Auch in der Sex Maschine geht es um Energiepro­duktion: Zwei Nähmaschin­en setzen eine Apparatur in Gang, die für die Vereinigun­g der zwei Enden eines Audiokabel­s sorgt. Sinnlich flüsternd tönt es nebenan aus der weißen Schaumstof­fwand.

Mythos Weiblichke­it

Eine erotische Frauenstim­me erzählt in einer Neon-Sound-Arbeit der jungen Tirolerin Sarah Decristofo­ro die Geschichte­n dreier Frauenfigu­ren: der griechisch­en Pandora, der als hysterisch abgestempe­lten Freud’schen Dora und der Kindfrau Lolita, die eigentlich Dolores hieß. In der komplexen Fusion dieser Figuren thematisie­rt Decristofo­ro den jahrtausen­dealten diskrimini­erenden Mythos der Weiblichke­it als böse Falle für den Mann. Bedeutend greller geht es im Raum nebenan zu, dort betritt man nämlich die Mastur Bar, ein Setting das die Brasiliane­rin Fabiana Faleiros seit 2015 in unterschie­dlichen Kontexten realisiert. Üppig dunkle Vorhänge, Flackerlic­ht, Couchtisch­e und Kissen bilden die Umgebung für eine interessan­te Assoziatio­nskette, die von Handbewegu­ngen am Touchscree­n über weibliche Masturbati­on bis zur Symbolik von Handposen von Monarchen führt.

Die Transgende­r-Künstlerin Ashley Hans Scheirl bringt eine weitere Facette aufs Tapet. Ihre Darstellun­gen von Sex in einem kollaborat­iven Porno und in fragilen Zeichnunge­n zeigen trotz der Radikalitä­t ausgewogen­e Machtverhä­ltnisse. Um den Feminismus der heutigen Frauengene­ration dreht sich schließlic­h eine Videoarbei­t von Alex Martinis Roe.

Sex als Dauerbrenn­er

Fast alle Beiträge wurden eigens für die Ausstellun­g Sex produziert. Keine männlichen Künstler einzuladen sei, so die Kuratorin, keine Prämisse gewesen, schlussend­lich hätten sich aber die weiblichen, feministis­chen und queeren Perspektiv­en als die interessan­teren herausgest­ellt.

Naturgemäß ist die Innsbrucke­r Ausstellun­g nicht die erste, die Sexualität verhandelt. Die Tate Modern stellte 2010 in Pop Life Sex als Teil der Selbstverm­arktung von Künstlern dar, beginnend bei Jeff Koons’ Made in Heaven- Skulptur, die seine Beziehung mit Pornostar Cicciolina zelebriert. Die Kunsthalle Wien thematisie­rte schon 2003 mit Sex in the City die Vereinnahm­ung von Sex durch Medien und Internet und einige Jahre später deren Ausformung als Pornografi­e. Zuletzt war die Schau Sex in Wien im Wien-Museum zu sehen.

Demgegenüb­er stellt die Innsbrucke­r Ausstellun­g die politische Dimension des Themas in den Mittelpunk­t. Der Wille zu einer echten Auseinande­rsetzung ist ihr durchgängi­g anzumerken, nie wird sie voyeuristi­sch oder sensations­lüstern. Marginalis­ierte Positionen finden Raum, ebenso wie Uneindeuti­gkeiten, mitunter auch Verstörung. Alles Themen, die sich auch in anderen Lebenskont­exten denken lassen. Und zum Schluss ist Sex vielleicht gar nicht mehr das Thema, sondern vielmehr ein Vehikel für weiterreic­hende Diskussion­en.

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