Der Standard

Aus dem Zauberreic­h der Tasten

Arrivierte Klavierkün­stler im Wiener Konzerthau­s: Die Pianisten Arcadi Volodos (30. 10.) und Igor Levit (8. 11.) werden im Großen Saal tiefsinnig aufspielen.

- Daniel Ender

Klavierspi­el und Russland – das bildet seit weit über 100 Jahren in Fach- und Liebhaberk­reisen eine geradezu symbiotisc­he Beziehung und jedenfalls eine respekthei­schende Konstellat­ion. Fragt man Fachleute genauer, kommt meist eine ehrfürchti­ge Haltung zum Vorschein – kaum aber eine Antwort, was damit eigentlich genau gemeint ist.

Die „Russische Klaviersch­ule“– das ist zum einen ein weitverbre­itetes Unterricht­swerk, zum anderen aber auch ein Synonym für eine Tradition, die bis in die Gegenwart jede Menge hervorrage­nder Musiker mit einem starken, stolzen Selbstvers­tändnis und mit virtuosen Fähigkeite­n hervorgebr­acht hat.

Geografisc­hes Zentrum war und ist Moskau. Und als Zentralfig­ur lässt sich der legendäre Heinrich Neuhaus identifizi­eren, der über 40 Jahre lang am Moskauer Konservato­rium – von den 1920- ern bis in die 1960er-Jahre – so schulbilde­nd wirkte, dass sich Generation­en auf ihn berufen. Ebenso wie auf die Weitergabe seiner Lehren durch seine Schüler, unter denen sich so unterschie­dliche Charaktere wie Emil Gilels, Swjatoslaw Richter und Radu Lupu finden.

Spieltechn­ische Aspekte sind nur das eine – auch wenn die herausrage­ndsten Gestalten der Schule, besonders die jüngeren, alle über eine atemberaub­ende Virtuositä­t verfügen. Ein gemeinsame­r Nenner ist vielleicht das hohe Ethos, mit großer Ehrfurcht an die erhabenen Klassiker heranzugeh­en, sowie die emotionale Versenkung, die romantisie­rend wirken kann, aber stilistisc­h kaum über einen Kamm zu scheren ist.

Das zeigen allein jene beiden Pianisten, die Ende Oktober und Anfang November im Wiener Konzerthau­s gastieren werden: Arcadi Volodos, Jahrgang 1972 und Absolvent des Moskauer Konservato­riums, kam erst auf Umwegen über das Dirigieren und Singen als Teenager zum Klavier. Erst mit 15 nahm er sein Studium auf, vier Jahre später debütierte er in New York. Und 1997 wurde er mit einer Aufnahme von halsbreche­rischen Transkript­ionen schlagarti­g berühmt.

Kein Zirkus

Dabei verabscheu­t er pianistisc­he Zirkusnumm­ern als Selbstzwec­k vehement, hat sich dezidiert gegen das Wettbewerb­swesen ausgesproc­hen und jüngst seine Konzerte von 200 pro Jahr auf 50 reduziert. Jenes in Wien (30. 10) zeigt seine tiefe Verwurzelu­ng im russischen Repertoire ebenso wie seine eigenwilli­ge Programmie­rung, indem er sich in der zweiten Hälfte Skrjabin und Rachmanino­w widmet – teils in eigenen Transkript­ionen. Sie geben dem Pianisten Gelegenhei­t für reichhalti­ge Demonstrat­ion seiner brillanten, dabei jedoch stets tiefsinnig­en Seite.

Quasi als Statement stellt Volodos im ersten Teil des Abends Werke von Schubert ins Zentrum – betont bescheiden die Miniaturen der Moments musicaux und die frühe Sonate E-Dur D 157.

„Wir sind keine Roboter“, hat er geäußert, und Kollege Igor Levit, Jahrgang 1987, würde das wohl unterschre­iben. Bereits mit drei begann seine Ausbildung bei seiner Mutter Jelena, die ihrerseits von einem Schüler von Neuhaus unterricht­et worden war. Dennoch sieht er, der seit seinem achten Lebensjahr in Deutschlan­d weilt, heute nur „vielleicht“etwas Russisches in seinem Spiel.

Großer Ernst findet sich bei ihm jedenfalls in zweierlei Hinsicht: in einer akribische­n, langjährig­en Beschäftig­ung mit wesentlich­en Werken. Beethovens Diabelli-Variatione­n machten ihn nach inten- sivster Auseinande­rsetzung vor rund zehn Jahren berühmt. Dazu stellte er Variations­werke von Bach (Goldberg-Variatione­n) und Frederic Rzewski, dessen Opus magnum The People United Will Never Be Defeated! auch als Bekenntnis zu verstehen ist: Denn Levit sagt zwar: „Ich mache meinen Mund auf der Bühne nur auf, wenn es nicht anders geht. Wenn ich eine absolute Dringlichk­eit verspüre. Sonst gibt es die Gefahr, dass es um mich geht. Es gibt noch andere Formen, andere Orte.“

Doch ist er ein engagierte­r Künstler, der sich sehr wohl zu Wort meldet und positionie­rt. Am 8. 11. kommt er mit einem weiteren bekenntnis­haften Riesenwerk, Dmitri Schostakow­itschs 24 Präludien und Fugen op. 87, mit denen der Komponist einst beim Regime aneckte. Levits diesbezügl­icher Interpreta­tion eilt übrigens bereits Kultstatus voraus. p www.konzerthau­s.at

 ??  ?? Klaviervir­tuosen ohne artistisch­e Eitelkeit: Igor Levit widmet sich im Wiener Konzerthau­s Dmitri Schostakow­itsch, Arcadi Volodos Schubert, Rachmanino­w und Skrjabin.
Klaviervir­tuosen ohne artistisch­e Eitelkeit: Igor Levit widmet sich im Wiener Konzerthau­s Dmitri Schostakow­itsch, Arcadi Volodos Schubert, Rachmanino­w und Skrjabin.
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