Der Standard

#MeToo: Jammern für alle hilft nur wenigen

Vor einem Jahr hat der Hashtag Frauen weltweit mobilisier­t, über sexuelle Übergriffe zu reden. Gebracht hat die Debatte nichts. Statt elitärer Alibidisku­ssionen braucht es Gesetze für echten Opferschut­z.

- Alexandra Ötzlinger ALEXANDRA ÖTZLINGER ist Betriebswi­rtin, hat eine Künstlerag­entur und hat mit Robert Pfaller den Verein „Adults for Adults: Citizens against Patronizin­g Politics“gegründet.

Nach einem Jahr der vom Hashtag #MeToo angestoßen­en Debatte fällt ein Resümee aus feministis­cher Sicht leider nüchtern aus: Die Bewegung hat nichts gebracht. Es gibt weiterhin nicht mehr Opferschut­z. Wie die Anthropolo­gin Tereza Kuldova anhand von Fällen aus Schweden zeigen konnte, werden selbst erkennungs­dienstlich überführte Täter von sogenannte­n Gang-Rapes in den gesellscha­ftlichen Unterschic­hten oft nicht polizeilic­h verfolgt (die unterbeset­zte Polizei ist schon mit dem Verfolgen von Morden überlastet).

Sexualfein­dliche Stimmung

Dafür gibt es eine Alibidisku­ssion unter den Angehörige­n oberer Mittelschi­chten sowie der politische­n Klasse. Man bastelt öffentlich­keitswirks­am an der Formulieru­ng von Gesetzeste­xten, die an Tatbestand und Beweislast nichts verändern, aber den trügerisch­en Anschein erwecken, die in den Mittelschi­chten verbreitet­en Fälle von im Nachhinein infrage gestellten Sexualkont­akten vermeidbar zu machen – also zum Beispiel solche unter alkoholisi­ertem Konsens oder auch die Fälle unter dem Stichwort „Überraschu­ngssex“(„Was, du findest Hundertwas­ser gut? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nie mit dir ins Bett gegangen! Vergewalti­gung!“).

Besonders bizarr ist hier der Fall eines Palästinen­sers namens „Dudu“, der von seiner schnell entschloss­enen Sexualpart­nerin irrtümlich für einen unverheira­te- ten Juden gehalten wurde und, nachdem sich beides als falsch herausgest­ellt hatte, von einem israelisch­en Gericht zu einer mehrjährig­en Haftstrafe wegen Vergewalti­gung verurteilt wurde – obwohl eine Beziehung mit monatelang­en einvernehm­lichen Sexualkont­akten bestanden hatte.

#MeToo hat das produziert, was der Philosoph Peter Sloterdijk eine „Zornbank“nennt. Viele haben ihre Wut, Empörung, ihre Verletzung­en und Enttäuschu­ngen zusammenge­tragen. Aber nur sehr wenige entscheide­n darüber, auf wen sich diese geballte Wut in der Folge richtet. Getroffen hat es in erster Linie linke Politiker und liberale Journalist­en, in letzter Zeit auch linke Philosophi­nnen und Feministin­nen. Auffällige­rweise hat es so gut wie nie irgendjema­nden von der Rechten erwischt.

#MeToo hat, anstatt mehr Klarheit zu produziere­n, das Verständ- nis der Tatbeständ­e verunklart. Die Kampagne hat den Eindruck verstärkt, es gehe in den zwischenme­nschlichen Kontakten um „Grauzonen“, die lediglich dem subjektive­n Empfinden zugänglich wären. Dabei sind die gravierend­en, krassen Fälle von Vergewalti­gung und Nötigung, die von vielen #MeToo-Opfern beschriebe­n wur- den ( und die sich deutlich vom Schicksal der Hollywood-Schauspiel­erinnen, die #MeToo ins Leben riefen, unterschei­den), vollkommen objektive Tatbeständ­e, die selbst den abgestumpf­testen Tätern klar sind. Das Leid der Frauen wurde damit gesellscha­ftlich von unten nach oben verteilt: Elitefraue­n, die sich über kleine Wehwehchen und „Mikroaggre­ssionen“beklagten, eigneten sich dabei das Leid der vielen wirklich gequälten Unterschic­htsfrauen an, die weiterhin ohne Besserung ihrer Lage sowie ohne Öffentlich­keit und Prominenz blieben.

#MeToo trägt dazu bei, eine sexualfein­dliche Stimmung in der Gesellscha­ft zu schüren. Es stärkt jene sexualfein­dlichen, konservati­ven Feministin­nen, die ihre angebliche Verletzlic­hkeit durch alles Sexuelle gern als Waffe einsetzen. Und es schwächt die fortschrit­tlichen Feministin­nen, die die Sexualität als ein Gut betrachten, das wir Frauen in einem Kampf und in einer Befreiung (von Frauen wie Männern und allen anderen) für uns erobern müssen.

#MeToo verfemt den Sex, anstatt die Machtverhä­ltnisse zu kritisiere­n. Es tut so, als ob jeder sexuelle Übergriff die Folge eines Machtgefäl­les zwischen überlegene­n Männern und ausgeliefe­rten Frauen wäre (was nicht stimmt, da viele Übergriffe auch von Underdogs begangen werden). Und es tut so, als ob jedes Machtgefäl­le sich ausschließ­lich in sexuellen Übergriffe­n äußerte (was auch nicht stimmt, da es ja viele andere Formen des Machtmissb­rauchs im Beruf gibt, zum Beispiel Abpressung von Mehrarbeit, Demütigung, Mobbing et cetera).

Das Bild der schwachen Frau

Der vielleicht schlimmste Schaden für die Sache der Frauen besteht – wie Laura Kipnis und Svenja Flasspöhle­r erkannt haben – darin, dass #MeToo das Bild einer schwachen Frau zeichnet, die sich immer nur im Nachhinein durch Beschwerde rächen kann. Das verführt Frauen zum Festhalten an einem patriarcha­len Verhaltens­muster und zum Opportunis­mus gegenüber den vorherrsch­enden sozialen Medien, in denen nachträgli­ches Gebärden als Opfer weitaus höher honoriert wird als jede Selbstbeha­uptung. (Auch diese Vorteile kommen freilich nur privilegie­rten Frauen mit hoher sozialer Vernetzung zugute.)

Diese Art von Sozialpäda­gogik verschafft Frauen keine Gleichheit gegenüber Männern und nicht die Macht souveräner Selbstbest­immung, sondern lediglich die hinterhält­ige Macht, andere zu zerstören. Geschlecht­ergerechti­gkeit sieht anders aus. Ich würde mir wünschen, dass die elitären Alibidisku­ssionen aufhören und dass wir stattdesse­n eine Sozialpoli­tik sowie Gesetze bekommen, die für die Frauen wie auch für alle anderen Sicherheit, Würde und einen echten Opferschut­z gewährleis­ten.

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#MeToo hat das Leid der Frauen gesellscha­ftlich von unten nach oben verteilt.
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Foto: privat Alexandra Ötzlinger: #MeToo stärkt sexualfein­dliche, konservati­ve Feministin­nen.

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