Laut OECD ist Wien beim Wohlstand stark zurückgefallen
Bei Wirtschaftsleistung 20 Ränge verloren Burgenland holte dagegen massiv auf
Paris/Wien – Wien zählt in einer neuen Untersuchung der Industriestaatenorganisation OECD zu den größten Absteigern. Bei der Berechnung der Wirtschaftsleistung pro Kopf hat die Bundeshauptstadt seit dem Jahr 2000 genau 20 Ränge eingebüßt und rangiert unter 329 Ballungsräumen nur noch auf Platz 104, geht aus der Studie der OECD hervor. Explizit wird darauf hingewiesen, dass die Jugendarbeitslosigkeit über dem Durchschnitt der Industriestaaten liege.
Genauere Ursachen für die schlechte Entwicklung Wiens finden sich in der Untersuchung nicht, jedoch hat das Wirtschaftsforschungsinstitut einen Erklä- rungsansatz parat. Der Experte Matthias Firgo sieht in der hohen Zuwanderung den Hauptgrund für die Entwicklung. Viele der Migranten – insbesondere Flüchtlinge – seien nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Die Einwohnerzahl steige, die Bruttowertschöpfung aber nicht, erklärt Firgo dem Standard.
Während Wien zurückfällt, holt das Burgenland auf – das BIP ist seit 2000 um ein Fünftel gestiegen. Allerdings zeigen sich immer noch strukturelle Schwächen. Die Steiermark gibt fünfmal so viel für Forschung und Entwicklung aus wie das Burgenland. Insgesamt hat sich das regionale Gefälle in Österreich in den letzten Jahren reduziert. (red)
Mississippi im Süden und Massachusetts im Nordosten der USA haben auf den ersten Blick viel gemeinsam. Die Menschen sprechen die gleiche Sprache, sie zahlen ihre Einkäufe mit derselben Währung, und im Fernsehen laufen am Abend die gleichen Serien. Doch die soziale Realität ist eine ganz andere.
In Massachusetts ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf zweimal mal so hoch wie in Mississippi. Die Menschen in dem nördlichen Bundesstaat werden im Schnitt fast 80 Jahre alt und leben um fünf Jahre länger als die Bürger in Mississippi. Die Arbeitslosigkeit dort ist dafür um ein Viertel höher. Ein Land, zwei Welten.
Die großen regionalen Unterschiede innerhalb von Staaten sind in den vergangenen Jahren in den öffentlichen Fokus gerückt. Der Wahlsieg Donald Trumps 2016 in den USA hat offensichtlich gemacht, welche politische Bedeutung die innerstaatliche Kluft spielen kann. Während Trump in den Metropolen im Osten und Westen, in New York und Los Angeles, kaum Unterstützer fand, triumphierte er in ländlichen Gebieten.
Wenige Experten hatten das erwartet, weshalb Trumps Sieg eine Flut an Forschung ausgelöst hat. Wie jede Modeerscheinung aus den USA hat das Phänomen auch Europa erfasst, wo angeblich oder tatsächlich abgehängte Regionen nun ebenfalls mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Doch wie groß ist die regionale Kluft tatsächlich? Die Industriestaatenorganisation OECD hat diesem Thema nun einen umfassenden Bericht gewidmet, der am Dienstag veröffentlicht wurde.
Von Einkommen über Produktivität und Arbeitslosigkeit bis hin zu Migrationsbewegungen wurden Regionen innerhalb von 30 OECD-Mitgliedsländern, darunter Österreich, verglichen. Die Studie zeigt, dass es keinen globalen Trend gibt: Während in einigen Ländern eine extreme regionale Kluft herrscht, die auch noch größer wird, ist das Phänomen in anderen Staaten nur eine Randerscheinung. In vielen europäischen Ländern, etwa in Österreich, Finnland und Belgien, aber auch in Kanada, Australien und Japan ist die Differenz zwischen ärmeren und reicheren Regionen kleiner geworden. 15 Gegenden in den 30 untersuchten Ländern schließen zu den wohlhabenderen auf.
Die Kluft größer geworden ist im Untersuchungszeitraum 2011 bis 2016 dagegen in Irland, Großbritannien, den USA und Italien. Die größten Unterschiede bei Wohlstand und Wirtschaftsleistung gibt es im Vereinigten Königreich, in Deutschland, den USA, in Frankreich und der Schweiz.
Ein Extrembeispiel: In der City of London ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf 23-mal höher als auf der Insel Anglesey vor der Küste von Wales. Im OECD-Schnitt ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf in der reichsten Region eines Landes im Schnitt viermal so hoch wie in der ärmsten. Auch ein Blick auf verfügbaren Einkommen in armen und reichen Gegenden (siehe Grafik) offenbart, dass die Gegensätze von Land zu Land unterschiedlich bedeutend sind.
Eine interessante Sonderauswertung gemacht hat die OECD zu Österreich. Von den 30 untersuchten Ländern zählt Österreich zu den zehn Staaten mit vergleichsweise kleinen regionalen Unterschieden bei der Wirtschaftsleistung (BIP). Dass die Kluft kleiner geworden ist, liegt am Burgenland und an den EU-Fördergeldern für das ärmste heimische Bundesland: Zwischen 2000 und 2016 ist das BIP im Burgenland um 20 Prozent gestiegen, während das BIP in Salzburg, dem reichsten Bundesland, stagniert ist. Manche Unterschiede sind dennoch bis heute gravierend: In der Steiermark wird zum Beispiel mehr als fünfmal so viel für Forschung und Entwicklung ausgegeben als im Burgenland.
Wien stürzt ab
Einen dramatischen Absturz im Ranking hingelegt hat Wien. In puncto kaufkraftbereinigtes BIP pro Kopf hat die Hauptstadt seit dem Jahr 2000 im Ranking 20 Positionen eingebüßt. Im Vergleich von 329 Ballungsräumen liegt Wien bei dem Wohlstandsindikator nur noch auf Rang 104. Die OECD erwähnt auch, dass sich die Jugendarbeitslosigkeit in der Hauptstadt nachteilig entwickelt hat und inzwischen knapp über dem Schnitt in der Industriestaatengemeinschaft liegt.
Aber weshalb der Absturz? Regionalökonom Matthias Firgo vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo vermutet, dass der hohe Bevölkerungszuzug in die Hauptstadt die Erklärung liefert. In den vergangenen Jahren ist die Bevölkerung der Hauptstadt stark gestiegen. Neben Zuwanderern aus Osteuropa und Zuzüglern aus anderen Bundesländern sind auch tausende Asylwerber und anerkannte Flüchtlinge nach Wien gezogen. „Viele von ihnen sind noch nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Durch diese Menschen steigt die Einwohnerzahl, während sie noch nichts zur Bruttowertschöpfung beitragen“, sagt Firgo. Ebenfalls eine Rolle spielen dürfte laut dem Ökonomen, dass osteuropäische Städte aufholen und Wien überholt haben.