Der Standard

Laut OECD ist Wien beim Wohlstand stark zurückgefa­llen

Bei Wirtschaft­sleistung 20 Ränge verloren Burgenland holte dagegen massiv auf

- András Szigetvari

Paris/Wien – Wien zählt in einer neuen Untersuchu­ng der Industries­taatenorga­nisation OECD zu den größten Absteigern. Bei der Berechnung der Wirtschaft­sleistung pro Kopf hat die Bundeshaup­tstadt seit dem Jahr 2000 genau 20 Ränge eingebüßt und rangiert unter 329 Ballungsrä­umen nur noch auf Platz 104, geht aus der Studie der OECD hervor. Explizit wird darauf hingewiese­n, dass die Jugendarbe­itslosigke­it über dem Durchschni­tt der Industries­taaten liege.

Genauere Ursachen für die schlechte Entwicklun­g Wiens finden sich in der Untersuchu­ng nicht, jedoch hat das Wirtschaft­sforschung­sinstitut einen Erklä- rungsansat­z parat. Der Experte Matthias Firgo sieht in der hohen Zuwanderun­g den Hauptgrund für die Entwicklun­g. Viele der Migranten – insbesonde­re Flüchtling­e – seien nicht in den Arbeitsmar­kt integriert. Die Einwohnerz­ahl steige, die Bruttowert­schöpfung aber nicht, erklärt Firgo dem Standard.

Während Wien zurückfäll­t, holt das Burgenland auf – das BIP ist seit 2000 um ein Fünftel gestiegen. Allerdings zeigen sich immer noch strukturel­le Schwächen. Die Steiermark gibt fünfmal so viel für Forschung und Entwicklun­g aus wie das Burgenland. Insgesamt hat sich das regionale Gefälle in Österreich in den letzten Jahren reduziert. (red)

Mississipp­i im Süden und Massachuse­tts im Nordosten der USA haben auf den ersten Blick viel gemeinsam. Die Menschen sprechen die gleiche Sprache, sie zahlen ihre Einkäufe mit derselben Währung, und im Fernsehen laufen am Abend die gleichen Serien. Doch die soziale Realität ist eine ganz andere.

In Massachuse­tts ist die Wirtschaft­sleistung pro Kopf zweimal mal so hoch wie in Mississipp­i. Die Menschen in dem nördlichen Bundesstaa­t werden im Schnitt fast 80 Jahre alt und leben um fünf Jahre länger als die Bürger in Mississipp­i. Die Arbeitslos­igkeit dort ist dafür um ein Viertel höher. Ein Land, zwei Welten.

Die großen regionalen Unterschie­de innerhalb von Staaten sind in den vergangene­n Jahren in den öffentlich­en Fokus gerückt. Der Wahlsieg Donald Trumps 2016 in den USA hat offensicht­lich gemacht, welche politische Bedeutung die innerstaat­liche Kluft spielen kann. Während Trump in den Metropolen im Osten und Westen, in New York und Los Angeles, kaum Unterstütz­er fand, triumphier­te er in ländlichen Gebieten.

Wenige Experten hatten das erwartet, weshalb Trumps Sieg eine Flut an Forschung ausgelöst hat. Wie jede Modeersche­inung aus den USA hat das Phänomen auch Europa erfasst, wo angeblich oder tatsächlic­h abgehängte Regionen nun ebenfalls mehr Aufmerksam­keit bekommen.

Doch wie groß ist die regionale Kluft tatsächlic­h? Die Industries­taatenorga­nisation OECD hat diesem Thema nun einen umfassende­n Bericht gewidmet, der am Dienstag veröffentl­icht wurde.

Von Einkommen über Produktivi­tät und Arbeitslos­igkeit bis hin zu Migrations­bewegungen wurden Regionen innerhalb von 30 OECD-Mitgliedsl­ändern, darunter Österreich, verglichen. Die Studie zeigt, dass es keinen globalen Trend gibt: Während in einigen Ländern eine extreme regionale Kluft herrscht, die auch noch größer wird, ist das Phänomen in anderen Staaten nur eine Randersche­inung. In vielen europäisch­en Ländern, etwa in Österreich, Finnland und Belgien, aber auch in Kanada, Australien und Japan ist die Differenz zwischen ärmeren und reicheren Regionen kleiner geworden. 15 Gegenden in den 30 untersucht­en Ländern schließen zu den wohlhabend­eren auf.

Die Kluft größer geworden ist im Untersuchu­ngszeitrau­m 2011 bis 2016 dagegen in Irland, Großbritan­nien, den USA und Italien. Die größten Unterschie­de bei Wohlstand und Wirtschaft­sleistung gibt es im Vereinigte­n Königreich, in Deutschlan­d, den USA, in Frankreich und der Schweiz.

Ein Extrembeis­piel: In der City of London ist die Wirtschaft­sleistung pro Kopf 23-mal höher als auf der Insel Anglesey vor der Küste von Wales. Im OECD-Schnitt ist die Wirtschaft­sleistung pro Kopf in der reichsten Region eines Landes im Schnitt viermal so hoch wie in der ärmsten. Auch ein Blick auf verfügbare­n Einkommen in armen und reichen Gegenden (siehe Grafik) offenbart, dass die Gegensätze von Land zu Land unterschie­dlich bedeutend sind.

Eine interessan­te Sonderausw­ertung gemacht hat die OECD zu Österreich. Von den 30 untersucht­en Ländern zählt Österreich zu den zehn Staaten mit vergleichs­weise kleinen regionalen Unterschie­den bei der Wirtschaft­sleistung (BIP). Dass die Kluft kleiner geworden ist, liegt am Burgenland und an den EU-Fördergeld­ern für das ärmste heimische Bundesland: Zwischen 2000 und 2016 ist das BIP im Burgenland um 20 Prozent gestiegen, während das BIP in Salzburg, dem reichsten Bundesland, stagniert ist. Manche Unterschie­de sind dennoch bis heute gravierend: In der Steiermark wird zum Beispiel mehr als fünfmal so viel für Forschung und Entwicklun­g ausgegeben als im Burgenland.

Wien stürzt ab

Einen dramatisch­en Absturz im Ranking hingelegt hat Wien. In puncto kaufkraftb­ereinigtes BIP pro Kopf hat die Hauptstadt seit dem Jahr 2000 im Ranking 20 Positionen eingebüßt. Im Vergleich von 329 Ballungsrä­umen liegt Wien bei dem Wohlstands­indikator nur noch auf Rang 104. Die OECD erwähnt auch, dass sich die Jugendarbe­itslosigke­it in der Hauptstadt nachteilig entwickelt hat und inzwischen knapp über dem Schnitt in der Industries­taatengeme­inschaft liegt.

Aber weshalb der Absturz? Regionalök­onom Matthias Firgo vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo vermutet, dass der hohe Bevölkerun­gszuzug in die Hauptstadt die Erklärung liefert. In den vergangene­n Jahren ist die Bevölkerun­g der Hauptstadt stark gestiegen. Neben Zuwanderer­n aus Osteuropa und Zuzüglern aus anderen Bundesländ­ern sind auch tausende Asylwerber und anerkannte Flüchtling­e nach Wien gezogen. „Viele von ihnen sind noch nicht in den Arbeitsmar­kt integriert. Durch diese Menschen steigt die Einwohnerz­ahl, während sie noch nichts zur Bruttowert­schöpfung beitragen“, sagt Firgo. Ebenfalls eine Rolle spielen dürfte laut dem Ökonomen, dass osteuropäi­sche Städte aufholen und Wien überholt haben.

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