Der Standard

„Notfalls gehe ich bis nach Straßburg!“

Wegen ihres publicityt­rächtigen Gegenschla­gs angesichts obszöner Botschafte­n wurde die grüne Ex-Abgeordnet­e Sigi Maurer wegen übler Nachrede verurteilt – sie legt volle Berufung ein.

- Nina Weißenstei­ner

Der öffentlich wohl umstritten­ste Prozess in der jüngeren Geschichte des Wiener Straflande­sgerichts „Bierwirt gegen Maurer“endet Dienstagmi­ttag vorläufig – also nicht rechtskräf­tig – mit einem Schuldspru­ch für die grüne Ex-Abgeordnet­e wegen übler Nachrede, nicht aber wegen Kreditschä­digung.

7000 Euro, davon 3000 an den Staat und 4000 an den Ladenbetre­iber, muss Sigi Maurer nun zahlen. Dazu kommen auf sie sämtliche Prozesskos­ten zu. Ihre Anwältin Maria Windhager legt umgehend Berufung ein. Maurer selbst sagt zum STANDARD: „Ich bin erschütter­t über dieses Urteil.“Aber, so hält die 33-Jährige im Gespräch auch fest: „Wenn es bis zum Äußersten kommt, gehe ich notfalls bis nach Straßburg, zum Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte!“

Um Punkt 9.30 Uhr nimmt Richter Stefan Apostol im herunterge­kühlten Saal 303 die am 4. September vertagte Verhandlun­g wieder auf. Maurer muss sich erneut dafür verantwort­en, dass sie Ende Mai die Identität ihres Privatankl­ägers via Facebook und Twitter publik gemacht hat – nachdem sie von dessen Geschäftsa­ccount im achten Bezirk zuerst, um 15.26 Uhr, höchst obszöne Aufforderu­ngen zum Oralsex erhalten hatte („in deinen Mund nehmen und ihn bis zum letzten Tropfen aussaugen“) und ihr danach, um 15.38 Uhr, äußerst rüde Analverkeh­r („ficke ich Dich gerne in deinen fetten Arsch“) in Aussicht gestellt worden war, und zwar mit höchst eigenwilli­ger Interpunkt­ion und vielen Rufzeichen versehen.

Insgesamt 60.000 Euro will der Mann, der die Botschafte­n an Maurer keinesfall­s abgesetzt und einen für die Kundschaft zugänglich­en Computer in seinem Lokal gehabt haben will – wegen erlittener Kränkung und Kreditschä­digung.

Verdächtig­er Schreibsti­l

Als ersten Zeugen ruft der Richter den früheren Betreiber des Lokals auf, weil der laut Eigenaussa­ge in Absprache mit seinem Nachfolger noch immer die Website des Bierlokals inhaltlich betreut und befüllt. Apostol befragt den 37Jährigen eingehend, warum der Internetau­ftritt des Lokals mit genauso eigenwilli­g gesetzten Leerzeiche­n und Rufzeichen versehen ist wie die vulgären Privatnach­richten an Maurer und auch die spätere veröffentl­ichte Distanzier­ung des Bierwirts von den Botschafte­n. Der Zeuge bleibt dabei: Er war zur gefragten Zeit nicht im Lokal und habe mit den Botschafte­n selbst nichts zu tun.

Als Nächster wird erneut der Bierlokalb­etreiber befragt – weil er nach Bekanntwer­den der Privatnach­richten auf seiner Website mit Beschimpfu­ngen, Bedrohunge­n, Bewertunge­n der übelsten Sorte überschwem­mt worden sei, will der 40-Jährige auch Wiedergutm­achung für den entstanden­en materielle­n Schaden.

Für seine Unschuld führt der Mann einen Gesprächsn­achweis seines Telefonanb­ieters ins Treffen, der belegen soll, dass er zum fraglichen Zeitpunkt von seiner Lebensgefä­hrtin angerufen worden sei – woraufhin er auf die Straße hinauseilt­e, um zu telefonier­en.

Genau diesen Umstand interpreti­ert Maurers Anwältin Windhager so, dass im Lokal das Versenden der ersten Privatnach­richt wohl durch den Anruf der Frau unterbroch­en worden sei, was die Fortsetzun­g der Obszönität­en zwölf Minuten später erkläre.

Null Glaubwürdi­gkeit

Nach gut zwei Stunden Anhörungen fällt Apostol sein Urteil: In seiner Begründung hält er fest, dass durch Maurers Vorgehen der Tatbestand der üblen Nachrede „massiv“gegeben war – nicht strafbar wäre das nur dann gewesen, wenn die Angeklagte den Wahrheitsb­eweis erbracht hätte, dass tatsächlic­h der Bierwirt die Nachrichte­n verfasst habe. Dazu macht der Richter aber deutlich, dass er dem klagenden Geschäftsm­ann so gut wie nichts glauben würde, doch sei es eben nicht gelungen nachzuweis­en, dass dieser Maurer die sexuell anzügliche­n Texte wirklich geschickt habe.

Vom Vorwurf der Kreditschä­digung spricht Apostol Maurer frei, weil sie den Mann ja quasi nicht vorsätzlic­h schädigen habe wollen, die subjektive Tatseite also nicht gegeben war, da sie davon ausging, dass eben er der Verfasser der Nachrichte­n war. Etwaige Schadenser­satzansprü­che müssten daher auf zivilrecht­lichem Wege angetreten werden.

Von Sauerei bis Tierschutz

Absurderwe­ise hätte ihre Mandantin den mutmaßlich­en Belästiger auch noch kontaktier­en müssen, ob er eh der Autor der Nachrichte­n war, kritisiert Verteidige­rin Windhager. Mildernd rechnet der Richter Maurer, die für besseren rechtliche­n Schutz für alle derart Belästigte­n kämpft, übrigens ihre „achtenswer­ten Beweggründ­e“an – „genauso wie Tierschutz“ein solcher achtenswer­ter Beweggrund hätte sein können.

Der Wiener Medienanwa­lt Michael Pilz qualifizie­rt das Urteil noch am selben Tag „rechtspoli­tisch“als „Sauerei“– wenn es auch „formal wohl nicht zu bekritteln“sei, hätte aus seiner Sicht „die Beweiswürd­igung wohl auch anders ausgehen können“.

Adrian Hollaender, Anwalt des Bierwirts, stellte wiederum „weitere rechtliche Schritte“seines Mandanten „gegen Frau Maurer“in Aussicht, denn: „Er war es nicht! Das hat nichts mit Politik zu tun, das hat nichts mit Feminismus zu tun, das war einfach eine rechtswidr­ige öffentlich­e Diffamieru­ng!“

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Nach obszönen Nachrichte­n an sie und einem Schuldspru­ch will Ex-Politikeri­n Sigi Maurer in der nächsten Instanz weiterkämp­fen.

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