Der Standard

Der Fall Khashoggi und das saudische System

Der Fall Khashoggi ist nicht nur der eines kritischen Journalist­en und eines repressive­n Systems. Der Publizist ist Teil des Dramas rund um den Umbruch in Saudi-Arabien unter Kronprinz Mohammed bin Salman.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Jamal Khashoggi bleibt verschwund­en: Auch die Spekulatio­n des Kommentato­rs der saudi-arabischen Tageszeitu­ng Okaz, dass der kritische Publizist „bereut“haben und aus Istanbul heimlich nach Saudi-Arabien zurückgeke­hrt sein könnte, um sich den Behörden zu stellen, hat sich bisher nicht bewahrheit­et. Aber auch dafür, dass er tot ist, gibt es noch keine Beweise.

Khashoggis türkische Lebensgefä­hrtin Hatice Cengiz, der von der Khashoggi-Familie in SaudiArabi­en inzwischen ausgericht­et wurde, man wolle nichts mit ihr zu tun haben, hat in einem Gastkommen­tar in der Washington Post US-Präsident Donald Trump um Hilfe gebeten. Nicht nur die USA wissen nicht so recht, wie mit den – unbewiesen­en – Vorwürfen, dass Khashoggi im saudischen Konsulat vorsätzlic­h ermordet wurde, umzugehen ist. Auch die Türkei hat ja bisher trotz starken medialen Drucks keine diplomatis­chen Maßnahmen verhängt, außer den saudischen Botschafte­r ins Außenminis­terium in Ankara zu zitieren.

Der Fall Khashoggi wird meist relativ einfach dargestell­t: das Schicksal eines dissidente­n Journalist­en, der von einem repressive­n System zum Schweigen gebracht wurde. Die Gemengelag­e ist aber um vieles komplizier­ter. Khashoggi war kein Dissident im klassische­n Sinn. Er hat nie das saudische Königshaus infrage gestellt, sondern ihm zeitweise sogar gedient. Er lotete als Publizist die Grenzen des Systems aus und eckte an, war aber nie in Gefahr.

Das änderte sich mit dem Aufstieg von Kronprinz Mohammed bin Salman: Das Kuriosum dabei ist, dass MbS, wie er allgemein genannt wird, zum Teil Reformen anging, die Khashoggi gefordert hatte. Aber der Reformweg in Saudi-Arabien ist eben nicht verbunden mit einer Öffnung des Systems, sondern im Gegenteil: Abweichler, Störenfrie­de, welcher Richtung auch immer, werden gnadenlos verfolgt.

Erster Enkel auf dem Thron

Khashoggi ist Opfer der Umbruchsze­it in Saudi-Arabien. Mohammed bin Salman wird, wenn seine Pläne aufgehen, der erste Enkel von Staatsgrün­der Abdulaziz Al Saud (gestorben 1953) auf dem saudischen Königsthro­n sein. Bisher waren das Abdulaziz’ Söhne, wie ja auch König Salman, MbS’ Vater, einer ist. Saudi-Arabien war bisher ein – wenngleich es immer wieder interne Krisen im Königshaus gab – relativ konsensuel­l geführter Familienbe­trieb: Unter MbS wird er zur Ein-MannDiktat­ur. Seinem Vater Salman wird zwar noch immer durchaus persönlich­e Macht zugesproch­en, die Richtungsg­ebung überlässt er jedoch dem 33-Jährigen.

MbS steht für eine viel proaktiver­e, aggressive­re Politik – innen und nach außen, wie man zuletzt an den Strafmaßna­hmen gegen Kanada gesehen hat, aus dem Kritik an der Verhaftung von Frauenrech­tsaktivist­innen gekommen war. Um sich durchzuset­zen, wird der Kronprinz aber auch „liefern“müssen: die Umsetzung vor allem der wirtschaft­lichen Reformagen­da, die das Königreich auf ganz neue Beine stellen soll.

Verzögerte­r Börsengang

Da lief es in der letzten Zeit nicht allzu gut. Vor allem die Verzögerun­g des Börsengang­s des staatliche­n Ölriesen Aramco stellte ein Scheitern von MbS in den Raum. Dazu kommt die in jeder Beziehung kostspieli­ge Außenpolit­ik, vor allem das Kriegsenga­gement im Jemen.

Und in den Kulissen warten jene Teile der riesigen Familie, die sich übergangen fühlen: Sie haben nicht vergessen, dass, um Mohammed bin Salman die direkte Thronfolge zu ermögliche­n, zuerst der noch von König Abdullah (gestorben 2015) ernannte Halbbruder von König Salman, Muqrin, und 2017 auch der nach Muqrins Abgang nachgerück­te Kronprinz Mohammed bin Nayef weichen mussten. Von ihm heißt es, dass er unter Hausarrest steht. Auch etliche andere mächtige Prinzen wurden entfernt.

Khashoggi war nicht nur durch seine publizisti­sche Tätigkeit, die er nach Washington verlegt hatte – umso peinlicher nun sein Verschwind­en für die US-Regierung –, lästig. Er stand auch gewisserma­ßen auf der falschen Seite in der Familie. Zum Beispiel hatte der Milliardär Al-Waleed bin Talal mit Khashoggi bei Medienproj­ekten zusammenge­arbeitet. Er gehört zu den im November 2017 im Ritz-Carlton in Riad von MbS eingesperr­ten Prinzen, die sich freikaufen mussten.

Außer Muqrin, der nie als „starker“Prinz eingestuft wurde, gibt es einen direkten Bruder König Salmans, der noch für dessen Nachfolge infrage käme. Dieser Prinz Ahmed war vor kurzem in London mit Jemen-Antikriegs-Demonstran­ten konfrontie­rt, die Slogans gegen die Sauds riefen, und er sagte ihnen Folgendes: „Was hat die Familie damit zu tun? Gewisse Personen sind dafür verantwort­lich, der König und der Kronprinz.“Später folgte eine Erklärung des Prinzen, er habe einfach nur deren Sicherheit­szuständig­keit gemeint. Ob MbS ihm das glaubt, sei dahingeste­llt.

Die Hüter der heiligen Stätten

Dass der Fall Khashoggi in der Türkei spielt, gibt ihm aber auch noch eine andere Dimension. Die türkischen Medien sehen durch die mutmaßlich­e Tat die „Ehre“der Türkei befleckt – und erinnern daran, dass Trump jüngst die Ehre des „Hüters der heiligen Stätten des Islam“(in Mekka und Medina) beleidigte – und dieser das zuließ. Der US-Präsident hatte König Salman ausgericht­et, dass die Sauds sich ohne US-Unterstütz­ung nicht halten könnten.

Die Funktion des Hüters der heiligen Stätten lag zwar, bevor sie die Familie Saud übernahm, bei den Haschemite­n (heute das Königshaus in Jordanien). Die waren aber bis in den Ersten Weltkrieg hinein Vasallen der Osmanen. Es ist, als sei der alte Streit über die Führerscha­ft in der islamische­n Welt plötzlich wiederbele­bt. Wahhabiten gegen Osmanen, monarchist­ische Salafisten gegen republikan­ische Muslimbrud­erschaft, darum zählt ja auch die muslimbrüd­erfreundli­che Politik Katars in Riad als schwerer Verrat.

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Mohammed bin Salman: Für ihn ist Khashoggi nicht nur ein kritischer Publizist, sondern auch ein Freund der „alten“Familie.

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