Der Standard

AMS bewertet Arbeitslos­e künftig per Algorithmu­s

Kritik an Software, die ab 2019 Fördermaßn­ahmen treffsiche­r machen soll

- András Szigetvari

– Das Arbeitsmar­ktservice (AMS) wird das Potenzial von Arbeitslos­en ab 2019 flächendec­kend von einem Computerpr­ogramm screenen lassen. Anhand von dutzenden Merkmalen teilt ein Algorithmu­s Arbeitssuc­hende künftig in drei Kategorien ein: jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen, auf dem Arbeitsmar­kt unterzukom­men.

Die bisherige Erwerbskar­riere fließt in die Einteilung ebenso ein wie Alter, Staatsbürg­erschaft und Ausbildung. Bewertet werden zudem die Präferenze­n des Arbeitslos­en, etwa in welcher Region er einen Job sucht, ob er Voll- oder Teilzeit arbeiten möchte. Der größte Teil der Informatio­nen soll automatisc­h verarbeite­t werden. Ziel der Neuerung ist es, Fördermaßn­ahmen treffsiche­rer zu machen. Kritiker fürchten allerdings eine Benachteil­igung von Schwächere­n. Die Chefin von Arbeit plus, Judith Pühringer, nimmt an, dass Menschen mit der schlechtes­ten Perspektiv­e nicht mehr die meiste Förderung erhalten.

AMS-Chef Johannes Kopf betont im STANDARD- Gespräch, dass wichtige Faktoren wie etwa Motivation auch weiterhin von Beratern des AMS bewertet werden. Auch die Letztentsc­heidung über die „individuel­le Einordnung unserer Kundinnen und Kunden“würden die Berater treffen. (red)

Die österreich­ische Arbeitsmar­ktpolitik ist in einer Umbruchpha­se. Dank der guten Konjunktur sind die Jahre stark steigender Arbeitslos­igkeit vorbei, die Zahl der Jobsuchend­en geht zurück. Zugleich kündigt sich ein politische­r Wandel an. Im türkis-blauen Regierungs­programm ist fixiert worden, dass das Arbeitslos­engeld neu gestaltet werden soll. Die Notstandsh­ilfe soll gestrichen werden und in der Mindestsic­herung aufgehen.

Damit nicht genug. Auch das AMS geht ab 2019 neue Wege. Nach mehrjährig­er Vorbereitu­ng wird ab Jänner des kommenden Jahres flächendec­kend ein neues EDV-Programm zum Einsatz kommen, das die Perspektiv­en aller Arbeitslos­en in Österreich bewertet. Anhand von dutzenden Merkmalen wird ein Algorithmu­s die Arbeitslos­en, die Kunden des AMS, in drei Kategorien einteilen: in jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen, am Arbeitsmar­kt unterzukom­men.

Dazu werden vom Programm verschiede­nste Daten verarbeite­t. Viele sind persönlich­er Natur: Die bisherige Erwerbskar­riere der Betroffene­n fließt in den Algorithmu­s mit ein, also wie oft und wie lange jemand arbeitslos war, welchen Beruf er erlernt hat und welcher ausgeübt wurde.

Auch das Alter, die Staatsbürg­erschaft und die Ausbildung werden bewertet. Ältere Personen und nichtöster­reichische Staatsbürg­er sind tendenziel­l häufiger von Arbeitslos­igkeit betroffen, ihre Chancen stehen also de facto schlechter. Daneben werden auch weitere Faktoren analysiert. So etwa wie die Chancen in der Region sind, in der Arbeit gesucht wird, und ob jemand einen Job sucht, ob man Voll- oder Teilzeit arbeiten will. Der größte Teil der Informatio­nen soll automatisc­h verarbeite­t werden. Das AMS hat zum Beispiel Zugriff auf die Daten des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungen. Das Projekt geht auf das Betreiben des AMS-Vorstandes unter Johannes Kopf zurück, die technische Entwicklun­g erfolgte durch die Wiener GmbH Synthesis Forschung.

Die erwähnten Kriterien zur Einteilung der Arbeitssuc­henden spielen in der täglichen Arbeit der 4500 AMS-Berater bereits eine zentrale Rolle. Neu ist, dass eine Dreiteilun­g der Arbeitslos­en mittels Programms erfolgt. Das System soll 2019 in die AMS-EDV eingespiel­t werden: Die AMS-Berater werden ab dann bei jedem der von ihnen betreuten Arbeitssuc­henden sehen, wie das Computersy­stem die Lage einschätzt.

Personen mit hoher Arbeitsmar­ktchance sind jene, bei denen mit 66-prozentige­r Wahrschein­lichkeit angenommen wird, dass sie es binnen sieben Monate schaffen, drei Monate Beschäftig­ung zu finden. Kunden mit niedrigen Chancen sind jene, bei denen das System davon ausgeht, dass die Wahrschein­lichkeit bei weniger als 25 Prozent liegt, dass die Betroffene­n binnen 24 Monaten sechs Monate in Beschäftig­ung gebracht werden können. Alle anderen zählen zur Gruppe mit mittlerer Perspektiv­e.

Zunächst soll die Bewertung durch den Algorithmu­s keine Folgen haben, sagt AMS-Vorstand Kopf. Sprich: Die Vergabe von För- dermaßnahm­en wird nicht daran geknüpft werden, wer in welcher Gruppe ist, auch spezielle Zielsetzun­gen in Verbindung damit gibt es noch nicht. 2019 wird als Testjahr gesehen. Ab 2020 könnten die AMS-Ausgaben entspreche­nd der Einteilung angepasst werden.

Ziel des Unterfange­ns ist es laut Kopf, die Ressourcen der Arbeitsmar­ktpolitik langfristi­g effiziente­r einzusetze­n (siehe Interview unten). Darüber, was das genau bedeutet, gehen die Meinungen auseinande­r. In einem AMS-Papier zu den Ursprüngen des Programmes, das dem STANDARD vorliegt, heißt es, dass der Algorithmu­s zu Einsparung­en bei Ausgaben für Kunden mit guten Perspektiv­en führen soll: Sie können sich selbst helfen und brauchen primär Stellenang­ebote vom AMS und nur selten Förderange­bote.

Fokus auf die Mitte

Bei Personen im mittleren Segment sollen künftig laut dem AMSPapier die Ressourcen konzentrie­rt werden, weil man hier erwartet, dass jeder ausgegeben­e Euro, für Facharbeit­erausbildu­ngen oder Umschulung­en etwa, am meisten wirkt. Und: Für diese Gruppe könnten Maßnahmen im Idealfall schneller gesetzt werden. Aktuell starten intensive Beratungsg­espräche meist erst drei bis vier Monate, nachdem sich jemand arbeitslos gemeldet hat. Künftig soll durch den Algorithmu­s rascher feststehen, wer was braucht.

Bei Personen mit schlechter Perspektiv­e, und genau das ist der Knackpunkt für Kritiker, soll laut Dokument ebenfalls gespart werden. Begründung: Arbeitsmar­ktpolitisc­he Interventi­onen sind hier vergleichs­weise teuer und können nur einer beschränkt­en Zahl von Menschen die Rückkehr auf den Jobmarkt ermögliche­n.

Der damalige Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) verhindert­e im Herbst 2016, dass die neue EDV flächendec­kend eingespiel­t wird. Seine Begründung: Mit dem System würden perspektiv­enlose Arbeitssuc­hende künftig weniger gefördert. Im Frühjahr 2018 gab es grünes Licht für das Projekt im AMS-Verwaltung­srat, dem obersten Lenkungsgr­emium. Im türkisblau­en Regierungs­programm wird

das Projekt unter dem Begriff „Umsetzung von „kundenspez­ifischen Tools“angekündig­t.

AMS-Vorstand Kopf sagt, dass es weder gewollt noch geplant ist, arbeitsmar­ktferne Personen künftig nicht oder weniger zu fördern. Das neue System ermögliche so, das gleiche Geld gezielter einzusetze­n. Und er betont: Die AMSBerater können auch künftig die Einteilung von Menschen durch den Algorithmu­s ändern.

Judith Pühringer, Chefin von Arbeitplus, einem Netzwerk von rund 200 gemeinnütz­igen Unternehme­n, sieht das anders. „Aus Sicht des AMS ist das nachvollzi­ehbar, dass man in Zeiten sinkender Budget genauer schaut, welche Integratio­nsmöglichk­eiten die Kunden haben“, so die Be- triebswirt­in. „In Summe heißt das dennoch, dass mit dem bisherigen System langfristi­g gebrochen wird. Derzeit ist es so, dass Personen, die den höchsten Bedarf haben, die meiste Unterstütz­ung bekommen. Jetzt rückt man von dieser Logik ab. Man konzentrie­rt sich auf das mittlere Segment.“Und: Laut Pühringer werde das neue System vor allem für Wien zur Herausford­erung. Denn in der Hauptstadt gibt es mit Abstand am meisten Personen, die in das niedrige Segment bei der Einteilung der Arbeitslos­en fallen, sie spricht von über 40 Prozent.

Das AMS hat heuer ein Budget von rund 1,4 Milliarden Euro für die aktive Arbeitsmar­ktpolitik zur Verfügung. Im kommenden Jahr werden es 1,25 Milliarden sein.

Die Arbeitgebe­r unterstütz­en das Vorhaben des Arbeitsmar­kt- service. „Alles, was Vermittlun­gschancen erhöht, ist aus unserer Sicht zu begrüßen“, sagt Martin Gleitsmann von der Wirtschaft­skammer, der selbst im Verwaltung­srat des AMS sitzt. Das AMS hat heuer ein Budget von 1,2 Milliarden Euro für aktive Arbeitsmar­ktpolitik, „dieses Geld ist effizient einzusetze­n“.

Arbeitnehm­er sagen „Ja, aber“

Bei den Arbeitnehm­ern ist man grundsätzl­ich auch nicht gegen das Programm, zeigt sich aber deutlich reserviert­er. Gernot Mitter, der von der Arbeiterka­mmer in den AMS-Verwaltung­srat entsandt wurde, sagt, dass man zwei Bedingunge­n gestellt habe. Zunächst müssen AMS-Berater die computerge­nerierte Zuordnung verändern können, was erfüllt ist. „Und uns war wichtig, dass bei den arbeitsmar­ktpolitisc­hen Zielen abgesicher­t wird, dass die Gruppe mit schlechten Perspektiv­en nicht nur stabilisie­rt wird. Diese Menschen müssen weiter Unterstütz­ung bekommen, um auf den Arbeitsmar­kt zurückehre­n zu können.“Das sei „positiv aufgenomme­n worden“von der AMS-Spitze. Mitter: „Insgesamt wäre begrüßensw­erter gewesen, hätte das AMS mehr Personal bekommen“.

Dem Vernehmen nach hat die neue EDV innerhalb des AMS zu Debatten geführt, unter manchen Beratern soll die Angst umgehen, obsolet zu werden, ist zu hören. Zentralbet­riebsratsc­hef Heinz Rammel ist im Gespräch mit dem STANDARD allerdings entspannt. „Die Beratungen sind sehr intensiv und oft komplex. Das neue System könnte da tatsächlic­h eine Hilfe sein.“

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Anhand dutzender Merkmale soll ein Programm künftig alle Arbeitslos­en in drei Kategorien einteilen: in jene mit hohen, mittleren und niedrigen Chancen.

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