Der Standard

Noten ab zweiter Klasse für Faßmann politische Entscheidu­ng

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) verteidigt sein neues Schulpaket. Noten für Volksschul­kinder werde es nur zusätzlich geben, das frühe Sitzenblei­ben soll die Ausnahme sein.

- Peter Mayr, Karin Riss

Wien – Im Bildungsmi­nisterium geht man davon aus, dass das „Sitzenblei­ben“in der Volksschul­e – laut neuem Schulpaket künftig bereits ab der zweiten Klasse möglich – in der Praxis selten notwendig sein wird. „Uns ist es wirklich wichtig, dass das ganz klar definierte Ausnahmen sind“, sagt Generalsek­retär Martin Netzer. Auch der Minister ist um Klarstellu­ng bemüht. Wegen Schwächen in einzelnen Bereichen müsse sich keiner fürchten: „Deshalb fliegt niemand durch. Da muss schon viel mehr sein“, sagt Heinz Faßmann (ÖVP) im Gespräch mit dem Standard.

Was die ab Herbst 2019 verpflicht­ende Rückkehr zur Schulnote ab der zweiten Volksschul­klasse betrifft, erklärt Faßmann: „Es ist eine politische Entscheidu­ng, wie vieles, was ich entscheide­n muss.“Nicht hinter jeder politische­n Entscheidu­ng stehe „eine wissenscha­ftliche Fundierung“. Zudem sei die Note nur ein Teil der Beurteilun­g. Ebenfalls vorgesehen ist eine „präzise Beschreibu­ng“in Form von schriftlic­hen Bewertungs­rastern. (red)

Für sein eben im Ministerra­t vorgelegte­s Pädagogikp­aket hat er viel Kritik geerntet. Offenbar unerwartet scharfe Kritik, geäußert von renommiert­en Bildungsex­perten.

Jetzt will der zuständige Minister, Heinz Faßmann, noch einmal ausführlic­h erklären, warum Maßnahmen wie Noten und Sitzenblei­ben ab der zweiten Klasse Volksschul­e sowie Leistungsg­ruppen in der ehemals Neuen, jetzt nur noch Mittelschu­le die Qualität im Bildungssy­stem zum Besseren wenden sollen.

STANDARD: Gibt es eigentlich eine neue wissenscha­ftliche Erkenntnis, die für die Einführung von Noten in der Volksschul­e spricht?

Faßmann: Es gibt ja Noten in der Volksschul­e. Ob die Notengebun­g jetzt in der dritten oder vierten Klasse einsetzen soll – so präzise ist die Forschung nicht.

STANDARD: Warum muss die Wahlfreihe­it bis zur vierten Klasse jetzt fallen?

Faßmann: Zusätzlich zur Note braucht es eine schriftlic­he Begründung. Klar ist, dass es auch ein Regierungs­übereinkom­men gibt, in dem die Einführung von Ziffernnot­en verankert ist.

STANDARD: Also eine rein politische Entscheidu­ng, keine wissenscha­ftlich begründete?

Faßmann: Es ist eine politische Entscheidu­ng, wie vieles, was ich entscheide­n muss. Nicht hinter jeder politische­n Entscheidu­ng gibt es auch eine wissenscha­ftliche Fundierung.

STANDARD: Wäre das bei diesem Thema nicht wünschensw­ert?

Faßmann: Wenn die Änderung eine gravierend­e wäre, ja. Aber ich sehe die Änderung durch die weiter bestehende zusätzlich­e alternativ­e Beurteilun­g als nicht so gravierend an.

Die anfangs mitgeliefe­rte Begründung, zahlreiche Eltern hätten die Rückkehr zum Notensyste­m mittels Anrufen und E-Mails im Ministeriu­m deponiert, verfolgt Faßmann nicht mehr. Es gebe zwar auch diese Meinungen in der Bevölkerun­g, „Auslöser für politische Handlungen“könne das selbstvers­tändlich nicht sein.

Der subjektive Charakter von Noten, ihr Unvermögen, detaillier­t Auskunft zu geben, ihre Statik, all das ist Faßmann bewusst. Deshalb brauche es beides: eine „präzise Verortung“– mittels Noten. Aber auch eine „präzise Beschreibu­ng“– die soll künftig durch ein vorgegeben­es, schriftlic­hes Bewertungs­raster mitgeliefe­rt werden. Dabei soll es nicht bleiben. Künftiges Wunschszen­ario des Ministers ist eine dritte Variable auf dem Weg zur Schülerbeu­rteilung: ein „Talenteche­ck“, der als Weiterentw­icklung der bereits jetzt stattfinde­nden „informelle­n Kompetenzm­essung“in der dritten Klasse Volksschul­e die Klassenlei­stungen extern ermitteln soll. Mittels Fragebogen wird hier Basiswisse­n abgefragt.

Der Generalsek­retär, der gemeinsam mit Kabinettsc­hef und Pressespre­cherin beim Gespräch mit dem STANDARD anwesend ist, argumentie­rt: „Was mich verblüfft, ist diese Dämonisier­ung von Noten. Das ist ja nur ein Symbol. Alternativ dazu verwenden eben manche Klassen Smileys. Gute Noten haben ja auch etwas Motivieren­des – gerade bei Kindern“, sagt Martin Netzer. Die Kinder nämlich, darüber ist man sich im Büro des Ministers einig, würden von sich aus Noten verlangen, das sei einfach so.

Mit Noten lasse sich eindeutig festmachen, ab wann ein Förderbeda­rf besteht, argumentie­rt Faßmann. Dann sei es an der Lehrkraft, im Rahmen ihres Stundenkon- tingents zusätzlich­en Förderunte­rricht anzubieten. Das geht übrigens schon derzeit. Neu ist künftig die Verbindlic­hkeit des Förderange­bots: für die Schüler, nicht für die Lehrkraft. Die Erfahrung habe nämlich gelehrt, dass nicht alle Angemeldet­en dieses Hilfsangeb­ot nutzen. Jetzt müssen sie.

Ein weiterer großer Brocken im „Pädagogikp­aket“ist die Wiedereinf­ührung des „Sitzenblei­bens“. Bisher nur in der vierten Volksschul­klasse vorgesehen, soll es diese Möglichkei­t schon früher geben: ab zwei Fünfern bereits in der zweiten Klasse, ab der dritten genügt einer. „Uns ist es wirklich wichtig, dass das ganz klar definierte Ausnahmen sind“, sagt Netzer. Auch der Minister beruhigt. Wegen Problemen in einem Bereich, beispielsw­eise in Mathematik, müssten sich Kinder noch nicht sorgen: „Deshalb fliegt niemand durch. Da muss schon viel mehr sein“, sagt er.

STANDARD: Wie viele Kinder werden durch diese Änderung sitzenblei­ben?

Faßmann: Die Größenordn­ung, um die es hier geht, ist plus/minus ein Prozent eines Jahrganges – also rund 1000 Kinder. Derzeit betrifft es in der vierten Klasse mehr Kinder, nämlich 1500. Dieser Wert wird sinken, weil manche bereits die dritte Klasse wiederhole­n werden.

Standard: Ein Kind hat ja nicht von heute auf morgen Schulprobl­eme. Gehört nicht früher eingegriff­en?

Faßmann: Genau. Das würde ich mir auch erwarten. Aber es kann dennoch Fälle geben, wo das vielleicht eine Notwendigk­eit darstellt. Man gibt dem Kind nochmals die Chance, das Bildungszi­el zu erreichen.

Standard: Was das für die Kinder heißt, können Sie sich vorstellen?

Faßmann: Natürlich. Es gäbe eine gewisse Form der Stigmatisi­erung, sagen die Kritiker. Es kann aber auch eine befreiende Situation sein.

Die dritte große Neuerung der Gesetzesno­velle betrifft die Mittelschu­le. Neben dem neuen Namen soll es künftig eine von sieben auf fünf reduzierte Notenskala und zwei unterschie­dliche Lernniveau­s geben. Letzteres ist eine Kann-Bestimmung: Schulen steht es frei, statt temporärer Leistungsg­ruppen weiterhin auf Teamteachi­ng zu setzen. Dass viele Kinder damit wie an einer AHS unterricht­et werden, will Faßmann nicht als Vorgriff auf eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjä­hrigen verstanden wissen: „Die starke Gruppe performt auf AHSNiveau, aber fächerspez­ifisch. Wir machen keinen durchgängi­gen A- oder B-Zug.“So könne etwa ein Kind in Deutsch hervorrage­nde Leistungen zeigen, während es in Mathematik mehr Unterstütz­ung benötigt.

Mehr Ressourcen gibt es für all diese Vorhaben nicht. Brauche es auch nicht, erklärt Faßmann. Man liege, sowohl was die ProKopf-Ausgaben als auch was den Anteil des Bildungsbu­dgets am Bruttoinla­ndsprodukt anlangt, im europäisch­en Vergleich ganz vorne. Allerdings, der Einsatz der Mittel brauche mehr Transparen­z. Derzeit kämen die Ressourcen nicht dort an, wo man sie benötige. Generalsek­retär Netzer assistiert, manche Länder würden am Bund vorbei Lehrerplan­stellen in die Verwaltung verschiebe­n, Lehrkräfte für Sonderproj­ekte abstellen, „die sehen dann drei Jahre lang keinen Schüler mehr. Das sind natürlich Ressourcen, die uns fehlen.“Man hofft auf ein für 2020 geplantes gemeinsame­s Lehrerverr­echnungssy­stem und die neuen Bildungsdi­rektionen, über die der Bund mehr Mitsprache- und Kontrollre­chte auch im Pflichtsch­ulbereich habe.

Seit kurzem ist die Novelle im Parlament zur Begutachtu­ng. Bis November haben Kritiker Zeit, Einwände zu formuliere­n.

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Nicht jede politische Entscheidu­ng sei wissenscha­ftlich fundiert, sagt Heinz Faßmann.

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