Noten ab zweiter Klasse für Faßmann politische Entscheidung
Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) verteidigt sein neues Schulpaket. Noten für Volksschulkinder werde es nur zusätzlich geben, das frühe Sitzenbleiben soll die Ausnahme sein.
Wien – Im Bildungsministerium geht man davon aus, dass das „Sitzenbleiben“in der Volksschule – laut neuem Schulpaket künftig bereits ab der zweiten Klasse möglich – in der Praxis selten notwendig sein wird. „Uns ist es wirklich wichtig, dass das ganz klar definierte Ausnahmen sind“, sagt Generalsekretär Martin Netzer. Auch der Minister ist um Klarstellung bemüht. Wegen Schwächen in einzelnen Bereichen müsse sich keiner fürchten: „Deshalb fliegt niemand durch. Da muss schon viel mehr sein“, sagt Heinz Faßmann (ÖVP) im Gespräch mit dem Standard.
Was die ab Herbst 2019 verpflichtende Rückkehr zur Schulnote ab der zweiten Volksschulklasse betrifft, erklärt Faßmann: „Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss.“Nicht hinter jeder politischen Entscheidung stehe „eine wissenschaftliche Fundierung“. Zudem sei die Note nur ein Teil der Beurteilung. Ebenfalls vorgesehen ist eine „präzise Beschreibung“in Form von schriftlichen Bewertungsrastern. (red)
Für sein eben im Ministerrat vorgelegtes Pädagogikpaket hat er viel Kritik geerntet. Offenbar unerwartet scharfe Kritik, geäußert von renommierten Bildungsexperten.
Jetzt will der zuständige Minister, Heinz Faßmann, noch einmal ausführlich erklären, warum Maßnahmen wie Noten und Sitzenbleiben ab der zweiten Klasse Volksschule sowie Leistungsgruppen in der ehemals Neuen, jetzt nur noch Mittelschule die Qualität im Bildungssystem zum Besseren wenden sollen.
STANDARD: Gibt es eigentlich eine neue wissenschaftliche Erkenntnis, die für die Einführung von Noten in der Volksschule spricht?
Faßmann: Es gibt ja Noten in der Volksschule. Ob die Notengebung jetzt in der dritten oder vierten Klasse einsetzen soll – so präzise ist die Forschung nicht.
STANDARD: Warum muss die Wahlfreiheit bis zur vierten Klasse jetzt fallen?
Faßmann: Zusätzlich zur Note braucht es eine schriftliche Begründung. Klar ist, dass es auch ein Regierungsübereinkommen gibt, in dem die Einführung von Ziffernnoten verankert ist.
STANDARD: Also eine rein politische Entscheidung, keine wissenschaftlich begründete?
Faßmann: Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung.
STANDARD: Wäre das bei diesem Thema nicht wünschenswert?
Faßmann: Wenn die Änderung eine gravierende wäre, ja. Aber ich sehe die Änderung durch die weiter bestehende zusätzliche alternative Beurteilung als nicht so gravierend an.
Die anfangs mitgelieferte Begründung, zahlreiche Eltern hätten die Rückkehr zum Notensystem mittels Anrufen und E-Mails im Ministerium deponiert, verfolgt Faßmann nicht mehr. Es gebe zwar auch diese Meinungen in der Bevölkerung, „Auslöser für politische Handlungen“könne das selbstverständlich nicht sein.
Der subjektive Charakter von Noten, ihr Unvermögen, detailliert Auskunft zu geben, ihre Statik, all das ist Faßmann bewusst. Deshalb brauche es beides: eine „präzise Verortung“– mittels Noten. Aber auch eine „präzise Beschreibung“– die soll künftig durch ein vorgegebenes, schriftliches Bewertungsraster mitgeliefert werden. Dabei soll es nicht bleiben. Künftiges Wunschszenario des Ministers ist eine dritte Variable auf dem Weg zur Schülerbeurteilung: ein „Talentecheck“, der als Weiterentwicklung der bereits jetzt stattfindenden „informellen Kompetenzmessung“in der dritten Klasse Volksschule die Klassenleistungen extern ermitteln soll. Mittels Fragebogen wird hier Basiswissen abgefragt.
Der Generalsekretär, der gemeinsam mit Kabinettschef und Pressesprecherin beim Gespräch mit dem STANDARD anwesend ist, argumentiert: „Was mich verblüfft, ist diese Dämonisierung von Noten. Das ist ja nur ein Symbol. Alternativ dazu verwenden eben manche Klassen Smileys. Gute Noten haben ja auch etwas Motivierendes – gerade bei Kindern“, sagt Martin Netzer. Die Kinder nämlich, darüber ist man sich im Büro des Ministers einig, würden von sich aus Noten verlangen, das sei einfach so.
Mit Noten lasse sich eindeutig festmachen, ab wann ein Förderbedarf besteht, argumentiert Faßmann. Dann sei es an der Lehrkraft, im Rahmen ihres Stundenkon- tingents zusätzlichen Förderunterricht anzubieten. Das geht übrigens schon derzeit. Neu ist künftig die Verbindlichkeit des Förderangebots: für die Schüler, nicht für die Lehrkraft. Die Erfahrung habe nämlich gelehrt, dass nicht alle Angemeldeten dieses Hilfsangebot nutzen. Jetzt müssen sie.
Ein weiterer großer Brocken im „Pädagogikpaket“ist die Wiedereinführung des „Sitzenbleibens“. Bisher nur in der vierten Volksschulklasse vorgesehen, soll es diese Möglichkeit schon früher geben: ab zwei Fünfern bereits in der zweiten Klasse, ab der dritten genügt einer. „Uns ist es wirklich wichtig, dass das ganz klar definierte Ausnahmen sind“, sagt Netzer. Auch der Minister beruhigt. Wegen Problemen in einem Bereich, beispielsweise in Mathematik, müssten sich Kinder noch nicht sorgen: „Deshalb fliegt niemand durch. Da muss schon viel mehr sein“, sagt er.
STANDARD: Wie viele Kinder werden durch diese Änderung sitzenbleiben?
Faßmann: Die Größenordnung, um die es hier geht, ist plus/minus ein Prozent eines Jahrganges – also rund 1000 Kinder. Derzeit betrifft es in der vierten Klasse mehr Kinder, nämlich 1500. Dieser Wert wird sinken, weil manche bereits die dritte Klasse wiederholen werden.
Standard: Ein Kind hat ja nicht von heute auf morgen Schulprobleme. Gehört nicht früher eingegriffen?
Faßmann: Genau. Das würde ich mir auch erwarten. Aber es kann dennoch Fälle geben, wo das vielleicht eine Notwendigkeit darstellt. Man gibt dem Kind nochmals die Chance, das Bildungsziel zu erreichen.
Standard: Was das für die Kinder heißt, können Sie sich vorstellen?
Faßmann: Natürlich. Es gäbe eine gewisse Form der Stigmatisierung, sagen die Kritiker. Es kann aber auch eine befreiende Situation sein.
Die dritte große Neuerung der Gesetzesnovelle betrifft die Mittelschule. Neben dem neuen Namen soll es künftig eine von sieben auf fünf reduzierte Notenskala und zwei unterschiedliche Lernniveaus geben. Letzteres ist eine Kann-Bestimmung: Schulen steht es frei, statt temporärer Leistungsgruppen weiterhin auf Teamteaching zu setzen. Dass viele Kinder damit wie an einer AHS unterrichtet werden, will Faßmann nicht als Vorgriff auf eine gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen verstanden wissen: „Die starke Gruppe performt auf AHSNiveau, aber fächerspezifisch. Wir machen keinen durchgängigen A- oder B-Zug.“So könne etwa ein Kind in Deutsch hervorragende Leistungen zeigen, während es in Mathematik mehr Unterstützung benötigt.
Mehr Ressourcen gibt es für all diese Vorhaben nicht. Brauche es auch nicht, erklärt Faßmann. Man liege, sowohl was die ProKopf-Ausgaben als auch was den Anteil des Bildungsbudgets am Bruttoinlandsprodukt anlangt, im europäischen Vergleich ganz vorne. Allerdings, der Einsatz der Mittel brauche mehr Transparenz. Derzeit kämen die Ressourcen nicht dort an, wo man sie benötige. Generalsekretär Netzer assistiert, manche Länder würden am Bund vorbei Lehrerplanstellen in die Verwaltung verschieben, Lehrkräfte für Sonderprojekte abstellen, „die sehen dann drei Jahre lang keinen Schüler mehr. Das sind natürlich Ressourcen, die uns fehlen.“Man hofft auf ein für 2020 geplantes gemeinsames Lehrerverrechnungssystem und die neuen Bildungsdirektionen, über die der Bund mehr Mitsprache- und Kontrollrechte auch im Pflichtschulbereich habe.
Seit kurzem ist die Novelle im Parlament zur Begutachtung. Bis November haben Kritiker Zeit, Einwände zu formulieren.