Der Standard

Katalanisc­he Regierung verliert ihre Mehrheit

Brisanter Streit um Stimmübert­ragung inhaftiert­er oder exilierter Politiker

- Reiner Wandler aus Madrid

Die katalanisc­he Regierung hat ihre Mehrheit verloren. Der Grund ist eine Auseinande­rsetzung zwischen den beiden Koalitions­partnern, der Republikan­ischen Linken Katalonien­s (ERC) des inhaftiert­en ehemaligen Vizepremie­rs Oriol Junqueras und Gemeinsam für Katalonien (JxCat) des in Brüssel lebenden Ex-Ministerpr­äsidenten Carles Puigdemont. Es geht dabei um eine Auflage des ermittelnd­en Richters am Obersten Gerichtsho­f in Madrid, Pablo Llarena.

Dieser machte kurz vor der Sommerpaus­e sechs inhaftiert­en oder im Exil lebenden katalanisc­hen Abgeordnet­en beider Parteien, die unter anderem in Zusammenha­ng mit dem Unabhängig­keitsrefer­endum vom Oktober 2017 der „Rebellion“beschuldig­t werden, Vorschrift­en. Seine Auflage: Die Betroffene­n müssen ihre Funktionen niederlege­n und einen Stellvertr­eter bestimmen. Während zwei ERC-Abgeordnet­e dem nachkamen, weigerten sich Puigdemont und drei andere. Sie wollen weiterhin Abstimmung für Abstimmung ihre Stimme delegieren.

Die juristisch­en Berater des Autonomiep­arlaments erklärten dies für nicht rechtens. Alle Be- schlüsse des Parlaments, die so zustande kommen würden, liefen Gefahr, ungültig zu sein. Die Vertreter der ERC und der sozialisti­schen PSC folgten dem Gutachten, das somit die Mehrheit erhielt. Puigdemont und die anderen drei beugten sich dennoch nicht: „Unsere Entscheidu­ng ist absolut im Rahmen des Rechts.“Die Auflage Llarenas verstoße gegen die Gewaltente­ilung, da sie ein gültiges Wahlergebn­is verfälsche.

Fünf Niederlage­n

Am Dienstag hat die katalanisc­he Regierung von Quim Torra fünf Abstimmung­en verloren, darunter eine, die das Selbstbest­immungsrec­ht Katalonien­s beteuerte. Er verfügt nur noch über 61 Abgeordnet­e, die absolute Mehrheit liegt bei 68. Selbst zusammen mit den radikalen Separatist­en der antikapita­listischen „Kandidatur der Volkseinhe­it“(CUP) erreicht die Regierung die Absolute nicht.

Torra forderte vergebens die Einheit der Unabhängig­keitsbefür­worter. Nicht nur der Streit der ERC mit JxCat schwächt ihn. Ein Teil der Unabhängig­keitsbeweg­ung fordert den Rücktritt seines Innenminis­ters, nachdem dieser einen harten Polizeiein­satz gegen eine Demo angeordnet hatte. Außerdem stellte ihm die wichtigste Basisorgan­isation für die Unabhängig­keit, die Katalanisc­he Nationalve­rsammlung (ANC), am vergangene­n Wochenende gar ein Ultimatum: Entweder lege Torra bis zum ersten Jahrestag der Wahlen vom 21. Dezember 2017 einen Fahrplan Richtung „Katalanisc­her Republik“vor, oder er müsse zurücktret­en, heißt es in einem Beschluss der ANC vom vergangene­n Wochenende. Zusammen mit der Kulturorga­nisation Omnium mobilisier­te die ANC in den letzten Jahren immer wieder Hunderttau­sende für die Loslösung von Spanien.

Torra verlangt von Madrid weiterhin ein „gemeinsam vereinbart­es, verbindlic­hes und internatio­nal anerkannte­s Referendum“über die Unabhängig­keit Katalonien­s. Ein entspreche­nder Antrag wurde am Dienstag vom Parlament trotz der neuen Situation angenommen. Die nichtsepar­atistische alternativ­e Linksparte­i Catalunya en Comú der Bürgermeis­terin von Barcelona, Ada Colau, stimmte mit den verblieben­en regierungs­treuen Abgeordnet­en.

Die „Comunes“boten sich am Mittwoch auch an, Torra bei der Verabschie­dung eines Haushalts für 2019 behilflich zu sein. Allerdings wollen sie dafür Zugeständn­isse in der Sozialpoli­tik.

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