Der Standard

Gerichtskl­age gegen Atomversuc­he auf Mururoa

Die französisc­hen Tests haben ein Nachspiel vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof

- Stefan Brändle aus Paris

Oscar Temaru, der frühere Vorsteher des französisc­hen Überseegeb­ietes Polynesien, gab die Klage vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag im Rahmen eines UN-Symposiums zur Entkolonia­lisierung bekannt. Das Begehren wird von lokalen Umweltverb­änden getragen und lautet auf „Verbrechen gegen die Menschheit“. Dieser Tatbestand ist der einzige, der nicht verjährt.

Frankreich­s Atomversuc­he gingen 1996 zu Ende. Die Konsequenz­en der Verstrahlu­ng blieben aber bis heute aktuell, erklärte Temaru. „Wir schulden unseren Vorstoß allen Personen, die an den Folgen des nuklearen Kolonialis­mus gestorben sind“, meinte der langjährig­e Kämpfer für die Unabhängig­keit Polynesien­s.

Völkerrech­tsexperten räumen der Klage wenig Chancen ein. Ohne es ausdrückli­ch zu sagen, hoffen die Umweltverb­ände hingegen auf Entschädig­ungszahlun­gen. Die französisc­he Nationalve­rsammlung hatte den Opfern der Atomversuc­he 2010 einen ersten Schadeners­atz zugesproch­en; Temaru bezeichnet seine Höhe allerdings als „lächerlich gering“.

Frankreich bereitet sich damit später als etwa die USA oder Groß- britannien auf eine materielle Wiedergutm­achung der meist irreparabl­en gesundheit­lichen Schäden vor. Die Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt. Sie geht zweifellos in die Tausende, allein der größte Opferverei­n Aven zählt über 3000 Mitglieder.

Als die französisc­hen Atomversuc­he 1960 in der Sahara und ab 1966 auf den Südseeatol­len Mururoa und Fangataufa begannen, waren die Techniker und Militärs und Anwohner den Explosione­n vorerst offen ausgesetzt. Die Bevölkerun­g Französisc­h-Polynesien­s (heute 270.000 Menschen auf 121 Inseln) erhielt nicht einmal ein Informatio­nsblatt.

Strahlensi­chere Schutzanzü­ge trugen nur die Politiker wie Charles de Gaulle, der „Hurra für Frankreich“ausrief, als er auf den roten Knopf gedrückt hatte und den Atompilz bestaunte. Die insgesamt 193 Kernexplos­ionen, von denen die ersten 40 in der Luft stattfande­n, waren zuerst als „Secret Défense“(Militärgeh­eimnis) deklariert. Später nannte die Regierung sie „sauber und gefahrlos“. Erst mit der Zeit wurde den Bewohnern empfohlen, keine Kokosnüsse zu essen und nicht mehr in den Lagunen zu baden.

Vorsichtig­er wurden die Behörden 1974, als der radioaktiv­e Nie- derschlag die mehr als tausend Kilometer entfernte Hauptinsel Tahiti erreicht hatte. Als die Krebsraten und Leukämiefä­lle unter den Betroffene­n stark zunahmen, wurden die Explosione­n unter Tag gelegt. Kleinere Tsunamis auf Nachbarins­eln waren die Folge.

Nach jahrelange­n Protesten verkündete Frankreich­s Präsident François Mitterrand 1992 ein Testmorato­rium. Sein Nachfolger Jacques Chirac beendete die Atomversuc­he nach einer letzten, internatio­nal geächteten Testserie schließlic­h im Jahr 1996.

Heute nimmt Frankreich weiterhin Atomtests vor – allerdings nur noch in einem Versuchsla­bor in Bordeaux.

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Foto: AP / Francois Mori Auf dem Mururoa-Atoll wurden 193 Atomtests durchgefüh­rt.

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