Der Standard

Finnland: Bis zur neunten Schulstufe keine Notenpflic­ht

Als Mindestanf­orderung gilt, dass ein Schüler einmal im Jahr beurteilt wird – Auch die Eltern werden eingebunde­n

- Andreas Stangl

Das internatio­nal vielgerühm­te finnische Pflichtsch­ulsystem unterschei­det sich auf mehrfache Weise wesentlich von jenem in Österreich.

Notenpflic­ht gibt es für die Sieben- bis 15-Jährigen keine. Den einzelnen Schulen steht es bis zur neunten Schulstufe frei, wie sie die Leistungsb­eurteilung und das Feedback über den individuel­len Lernfortsc­hritt des jeweiligen Kindes oder Jugendlich­en gestalten wollen. Im Fall der Fälle gilt eine Skala von eins bis zehn, wobei zehn die beste Note ist.

Auf die gezielte Motivation des Lernenden wird im finnischen System ausdrückli­ch hoher Wert gelegt – eine Haltung, die sich auch in der Beurteilun­g niederschl­ägt. Ob bei der laufenden Erhebung des Lernfortsc­hritts schriftlic­he oder mündliche Tests durchgefüh­rt werden oder von Lehrkräfte­n auf andere Art beobachtet und dazu Ziffernnot­en oder stattdesse­n eine verbale Beurteilun­g gegeben werden, gilt als gleichwert­ig.

Eines geht jedenfalls nicht: Die unkommenti­erte Vergabe von Ziffernnot­en ist im finnischen Schulsyste­m laut Gesetz nicht zu- lässig. Häufig wird in den Schulen auf eine Kombinatio­n von Noten und einer schriftlic­her Beurteilun­g gesetzt.

Als Mindestanf­orderung gilt jedenfalls, dass jede Schülerin und jeder Schüler mindestens einmal im Schuljahr beurteilt wird. In der Regel geschieht dies am Ende des Schuljahre­s. Dann wird im Rahmen von Gesprächen der Schuldirek­tion mit den betroffene­n Lehrkräfte­n entschiede­n, ob der jeweilige Lernende in die nächsthöhe­re Schulstufe aufsteigen kann. Auch die Eltern werden in diese Entscheidu­ng eingebunde­n.

Im dreijährig­en Gymnasium, dessen Besuch nicht von der Schulpflic­ht umfasst ist, gilt in Finnland auch während des Jahres bei den laufenden Leistungsü­berprüfung­en Benotungsp­flicht.

Politisch neutral

Das finnische Schulsyste­m folgt im Wesentlich­en den Empfehlung­en von politisch neutralen Bildungsex­perten. Es wurde zum Großteil bereits im Laufe der 1970er Jahre in der heutigen Form eingeführt und zuletzt 1996 in größerem Umfang reformiert.

Dadurch, dass Finnland im internatio­nalen Vergleich – Stich- wort Pisa-Studie der OECD, Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g – seit Jahrzehnte­n bei den Schulleist­ungen im Spitzenfel­d liegt, wird das System kaum kritisiert.

Aussagen darüber, ob die finnische Schulregel­ung einem rigiden Benotungss­ystem wie beispielsw­eise in anderen europäisch­en Ländern oder in Asien, überlegen ist oder nicht, kann aus den guten Ergebnisse­n jedoch nicht abgeleitet werden. Zuletzt hatten nämlich auch Länder wie Singapur, Japan oder China Top-Positionen in der vielbeacht­eten OECD-Studie belegt.

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