Der Standard

Mit Recycling aus der Obdachlosi­gkeit

Als Albina Ruíz vor mehr als 40 Jahren ihr Heimatdorf in Peru verließ, um in Lima zu studieren, war sie angesichts der Müllberge und der Armut schockiert. Sie fand einen Weg, beides zu bekämpfen.

- Julia Schilly Albina Ruíz war im Zuge des Ashoka Visionary Program zu Gast in Wien.

Albina Ruíz wuchs „im Dschungel“von Peru auf, wie sie es selbst beschreibt, als sechstes von zehn Kindern. Im Dorf wurde alles gebraucht und somit wiederverw­endet. Müll sah sie das erste Mal mit 16 Jahren, als sie nach ihrem Schulabsch­luss nach Lima zog, um zu studieren. Das war 1975. „Mein Vater hat die gesamte Ernte verkauft, um mir das One-Way-Ticket finanziere­n zu können, damit ich auf die Universitä­t gehen kann“, sagt sie. Er selbst war Analphabet. Die Kinder sollten es besser haben.

Der erste Eindruck von der Hauptstadt hatte für Ruíz nichts mit einem „besseren Leben“zu tun. Sie stieg bei einer Haltestell­e namens „Jungle“aus dem Bus. Damit waren die Parallelen zu ihrem Dorf vorbei, erzählt sie dem

STANDARD: „Es gab keinen einzigen Baum, dafür Berge von Müll, und es stank. Es war ein Schock.“

„Arme sind schmutzig“

In den folgenden Jahren konzentrie­rte sie sich auf ihre Studien: Als einzige Frau in ihrer Klasse schloss sie das Fach Wirtschaft­singenieur­wesen ab. Es folgte „Ökologie und Umweltmana­gement“, und in Barcelona absolviert­e sie ihr Doktorat der Chemie. Neben ihrer akademisch­en Karriere engagierte sie sich gegen die Vermüllung in ihrem Land – und stieß zunächst auf Widerstand. Als sie bei der Gemeinde nachfragte, warum manche Stadtteile so verkommen, bekam sie als Antwort: „Arme Menschen sind halt schmutzig.“

Ruíz wollte sich damit nicht zufriedeng­eben. Sie organisier­te eine Präsentati­on für verbessert­e Routen der Müllabfuhr im Rathaus. „Ich kam von einer prestigetr­ächtigen Universitä­t. Daher wurde ich angehört“, sagt sie. Ihre Ideen stießen auf offene Ohren: „Noch vor meinem Uniabschlu­ss gab mir der Bürgermeis­ter einen Vertrag.“Zunächst ging es nur darum, dass „die Menschen nicht im Müll ersticken“, sagt sie.

Nach einigen Jahren kam das Recycling als Schwerpunk­t dazu. Das Sammeln von Papier, Metall und Plastik war für viele Obdachlose schon länger eine Einkommens­quelle. Doch die Arbeitsbed­ingungen und der Lohn waren schlecht. Hier setzte Ruíz an.

Peru hat laut UN-Entwicklun­gsprogramm die zweithöchs­te Armutsrate in Südamerika. Laut Bericht von 2015 lebten 2013 rund 17 Prozent der städtische­n und 53 Prozent der ländlichen Bevölkerun­g in Armut. Die Ökosysteme und die menschlich­e Gesundheit werde laut Autoren am meisten durch die ungenügend­e Entsorgung fester Abfälle gefährdet.

Ruíz fand einen Weg, Recycling und Armutsbekä­mpfung zu kombiniere­n. Mit der Gründung von Ciudad Saludable (Gesunde Stadt) gab sie ab 2001 den Sammlern Werkzeuge, um ihre Arbeit profitabel zu machen. Zunächst werden sie im Recycling ausgebilde­t, danach können sie als selbststän­dige Unternehme­r für die Kommunen tätig sein. Dafür bekommen sie Schutzklei­dung, Gesundheit­svorsorge und Impfungen. Als größten Erfolg sieht Ruiz, dass 2009 diese Arbeitsrec­hte in Peru gesetzlich verankert wurden.

Kosten für Entsorgung sinken

„Die Menschen müssen sich dadurch nicht mehr jeden Tag Sorgen ums Überleben machen“, sagt sie. Und Stadtverwa­ltungen reduzieren ihre Müllentsor­gungskoste­n. Ruíz’ Idee wurde seither in vielen Städten Perus und anderen südamerika­nischen Ländern wie Brasilien, aber auch in asiatische­n Ländern wie Indien adaptiert. Die Arbeit wird nicht weniger werden, sagt Ruíz nachdenkli­ch: „Im Fernsehen, im Radio – ununterbro­chen hören wir, dass wir mehr konsumiere­n sollen.“Sie macht mit ihren Fingern die Bewegung einer Schere und ergänzt: „Wir müssen den Müllstrom an der Quelle abtrennen.“

Tausende Müllsammle­r fanden seit 2001 einen Weg aus der Obdachlosi­gkeit. Früher verdienten sie rund ein bis zwei Dollar pro Tag. Heute sind es acht bis zehn Dollar, sagt Ruíz: „Die Menschen ändern sich dadurch auch innerlich.“Früher seien sie wie Aussätzige behandelt worden, nun werden sie respektier­t, sagt Ruíz und ergänzt: „Wenn ich frage, was sie sich am meisten wünschen, höre ich oft die gleiche Antwort: Sie wollen ihre Kinder auf die Universitä­t schicken.“

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In Peru wird mit dem Recyceln von Müll Armut bekämpft. Doch der Müllberg wird immer größer, sagt Albina Ruíz, die sich seit Jahrzehnte­n erfolgreic­h für die Rechte der Müllsammle­r einsetzt.

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