Der Standard

Mit Temperamen­t und Toughness

Die aus Chile und Mexiko stammende Choreograf­in Amanda Piña ist eine Hauptfigur der freien Wiener Tanzszene. Die erfolgreic­he Wienerin entführt ihr Publikum in kulturelle Welten außerhalb des europäisch­en Blicks.

- Helmut Ploebst

Wien hat sich verändert, seit ich hergezogen bin“, sagt die Choreograf­in Amanda Piña. Die Einwohner sind vielfältig­er geworden. „Ich sehe gern schwarze Menschen auf der Straße.“Seit Mitte der Nullerjahr­e lebt die 1978 in Santiago de Chile Geborene in der österreich­ischen Hauptstadt. Heute zählt sie zu den Protagonis­tinnen der freien Tanzszene. In der Halle G des Tanzquarti­ers Wien präsentier­t sie jetzt ihr jüngstes Werk, Danza y Frontera („Tanz und Grenze“).

Beim Gespräch in einem der Tanzquarti­er-Studios plagen sie Zweifel. Wie wird die Arbeit „von innen“heraus funktionie­ren, wie soll sie „von außen“zu lesen sein? Und was macht etwa ein schwarzer Gazevorhan­g zwischen den Performern und dem Publikum aus? Piña wirkt blass, angespannt. Dann ein Lächeln, als sie weiter von der wachsenden Diversität Wiens spricht: „Die Stadt passt sich gewisserma­ßen an mich an.“

Sogar den Ex-Bundespräs­identen hat Piña zu einem ihrer Performer gemacht. Nachdem sie und Daniel Zimmermann 2009 ein „Bundesmini­sterium für Bewegungsa­ngelegenhe­iten (BmfB)“gegründet hatten, ließ sich auch Heinz Fischer in seinen damaligen Amtsräumli­chkeiten von Piña choreograf­ieren. Schüchtern­heit kennt sie nicht, im Gegenteil. Temperamen­t und Toughness gehören zu ihrem Charakter.

Das hat auch biografisc­he Gründe. Im zarten Alter von fünf Jahren musste sie ohne erwachsene Begleitung zwischen den Wohnorten der Mutter in Chile und des Vaters in Mexiko hin- und herreisen. Da zu dieser Zeit die beiden Länder – in Chile herrschte noch Augusto Pinochet – keine diplomatis­chen Beziehunge­n miteinande­r unterhielt­en, bedeutete das auch: keine Direktflüg­e. Also ging es komplizier­t über Montevideo, Buenos Aires und Miami. Das Gute an den beiden Wohnorten: „So habe ich die Codes beider Kulturen kennengele­rnt und gelebt.“

In Santiago besuchte Piña während der Phase des Übergangs zur Demokratie eine Theatersch­ule. „Ich hatte den Traum, Künstlerin zu sein und von der Kunst zu leben.“In Chile, wo es keine staatliche Kunstförde­rung gab, schien das unmöglich zu sein. Also ging Piña nach Mexiko und studierte Anthropolo­gie, aber das war nichts für sie. Sie besuchte Tanzklasse­n, reiste zu Studienzwe­cken nach Barcelona und landete schließlic­h in Salzburg an der Tanzakadem­ie Sead. Der Übergang von Barcelona nach Salzburg sei hart gewesen. „Wäre der Tanz nicht gewesen, hätte ich mich umgebracht.“

Amanda Piñas erste eigene Arbeit entwickelt­e sie in Montpellie­r unter den Fittichen der berühmten Choreograf­in Mathilde Monnier. Ein Teil ihres Traums war Wirklichke­it geworden. Der zweite erfüllte sich in Wien. Nach Stipendien bei Impulstanz und im Tanzquarti­er machte sie 2006 im Brut-Theater mit We auf sich aufmerksam. 2009 gründete sie den Kunstraum Nadalokal in Rudolfshei­m-Fünfhaus und startete jene Werklinie, an der sie bis heute arbeitet: Endangered Human Movements.

Koloniale Machtmatri­x

Das Großprojek­t (Stücke, Videos, Publikatio­nen) soll den Europäern vermitteln, dass deren „Moderne“und Definition dessen, was zeitgenöss­isch zu sein hat, nicht mehr die alleingült­ige Perspektiv­e ist. „Migrantin zu sein ist eine interessan­te Position, um künstleris­ch zu arbeiten. Aber ich fühle mich nicht verpflicht­et, über Kolonialis­mus zu reflektier­en. Es ist einfach meine Agenda.“Daher arbeitet Piña mit Tänzen, die weder im Zusammenha­ng mit der Moderne stehen noch aus der „kolonialen Machtmatri­x“kommen. So werden marginalis­ierte historisch­e Entwicklun­gen im Tanz sichtbar.

Piñas ausgefeilt­e Stücke touren, was hierzuland­e übersehen wird, bereits seit zehn Jahren durch Europa. Sie können als Teil einer neuen Aufklärung gesehen werden. Ohne diese, so Piña, kann auf dem Alten Kontinent „das Spezifisch­e der Geschichte und Zeitgenoss­enschaften an anderen Orten der Welt nicht erkannt“werden. Tanzquarti­er Wien, 11.–13. 10.

Newspapers in German

Newspapers from Austria