Der Standard

Haiders Erbe – die Mitte rückt nach rechts

In der Nacht auf den 11. Oktober 2008 kam Jörg Haider bei einem Unfall mit seinem Dienstwage­n ums Leben. Seine Politik hat bis heute Auswirkung­en auf den innenpolit­ischen Diskurs.

- Brigitte Bailer

Das Jahr 1986 markiert einen doppelten Wendepunkt der österreich­ischen Innenpolit­ik: Die Waldheim-Debatte wurde nach zahlreiche­n Konflikten letztlich zum Auslöser eines Umdenkens über Österreich­s NSVergange­nheit – Eingeständ­nisse einer Mitverantw­ortung an den NS-Verbrechen folgten.

Die Wahl Jörg Haiders zum Obmann der FPÖ, betrieben und durchgeset­zt vom rechten/rechtsextr­emen Flügel der Partei rund um die beziehungs­weise gemeinsam mit den Burschensc­haften, läutete einen politische­n Rechtstren­d ein, dessen Ausmaß sich Beobachter damals noch gar nicht vorstellen konnten. Der Putsch zugunsten Haiders sowie die sofort folgenden Aufrufe des gesamten rechtsextr­emen, ja selbst neonazisti­schen Lagers, Haiders Flügel bei den durch die Kündigung der SPÖ-FPÖ-Koalition durch Kanzler Franz Vranitzky notwendig gewordenen Nationalra­tswahlen zu stärken und weiters die bereits teilweise bekannten ideologisc­hen Positionen des neuen Obmanns, lösten im In- wie im Ausland besorgte Kommentare und Kritik aus. Nicht zuletzt aus diesem Grund erfolgte der Ausschluss der FPÖ aus der Liberalen Internatio­nale, der sie bis dahin angehört hatte.

Doch die Stimmen der österreich­ischen Rechtsextr­emen konnten nicht ausreichen, den nun folgenden raschen Aufstieg der FPÖ zu einer bald den innenpolit­ischen Diskurs dominieren­den Kraft zu erklären.

Agitation gegen Migranten

Haider kam vor allem die internatio­nale Entwicklun­g zu Hilfe. Die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Ostöffnung verbundene­n Veränderun­gen, vor allem die nun zahlreich einreisend­en Bürger der ehemaligen Oststaaten, riefen bei vielen Menschen auch medial geschürte Verunsiche­rung hervor.

Hatte schon Anfang der 1980erJahr­e ein kurzfristi­ger Anstieg der Arbeitslos­igkeit zu einem gleichzeit­igen Anstieg an Fremdenfei­ndlichkeit gegenüber den Arbeitsmig­ranten geführt, gewann diese Ablehnung nun neuen Antrieb. Doch die gegen Migranten gerichtete Agitation blieb ab sofort eines der zentralen Themen der Freiheitli­chen. Diese verwies unter anderem auf angeblich unüberwind­liche kulturelle Differenze­n zwischen den Österreich­ern und den Migranten, heute verkürzt auf den angebliche­n Gegensatz der Österreich­er zu „dem“Islam, und fokussiert­e auf angeblich aus der Zuwanderun­g resultiere­nde wirtschaft­liche Schwierigk­eiten. Auf Plakaten wurden die Arbeitslos­en gegen „Ausländer“aufgerechn­et.

„Kulturelle Hegemonie“

Stellt man diese politische Agitation der realen damaligen Arbeitsmar­ktsituatio­n gegenüber, ergibt sich das paradoxe Bild gesteigert­er ausländerf­eindlicher Propaganda bei gleichzeit­ig sinkender beziehungs­weise geringer Arbeitslos­igkeit – ein Grundmuste­r, das heute im Kontext als notwendig behauptete­r Maßnahmen gegen den Sozialstaa­t vorgeblich ausnützend­e Asylwerber wieder zu beobachten ist. Heute wie damals benutzt die FPÖ herbeigere­dete angebliche Tatsachen, meist zum Bereich der „Fake-News“zu rechnen, zur Steigerung der Verunsiche­rung der Bevölkerun­g, um diese „Ängste, die ernst zu nehmen sind“, dann erfolgreic­h ohne reale Bedrohungs­situation für sich ausbeuten zu können.

1995 ergab sich für Haider mit der Volksabsti­mmung über den Beitritt Österreich­s zur Europäisch­en Union eine neue Bühne für Verunsiche­rungspropa­ganda, die EU-kritische Haltung hat die FPÖ bis heute beibehalte­n.

Sozialdema­gogie ergänzte den neuen Kurs der FPÖ – die Partei und vor allem Haider selbst präsentier­ten sich als Verteidige­r der „Fleißigen“und „Tüchtigen“, die ungerechtf­ertigt wirtschaft­liche Nachteile zu erdulden hätten. Gleichzeit­ig verfolgte die FPÖ damals wie heute ein wirtschaft­sliberales bis neoliberal­es und damit unternehme­rfreundlic­hes Programm.

Bereits in seinem 1993 erschienen­en Buch Die Freiheit, die ich meine proklamier­te Haider – in Übernahme eines Begriffs des italienisc­hen Kommuniste­n Antonio Gramsci – sein Ziel der Eroberung der „kulturelle­n Hegemonie“im Land. Ein Ziel, das die FPÖ zu einem guten Teil erreicht hat, und zwar unter tatkräftig­er Mithilfe politische­r Mitbewerbe­r, die dem wachsenden Druck der Freiheitli­chen und deren Wählerscha­ft zu Themen wie Fremdenges­etzgebung oder Sicherheit­sfragen nachgaben, zuallerers­t damals sozialdemo­kratische Innenminis­ter.

Mehrheitsf­ähige Ablehnung

Anstatt Wählerstim­men zurückzuge­winnen, spielten sie der FPÖ damit in die Hände. Deren Forderunge­n gewannen an Bedeutung, was wiederum einen neuen Zirkel von freiheitli­cher Agitation – Reaktion der Regierung – Zustimmung für die FPÖ in der Bevölkerun­g auslöste.

Niemand, auch nicht die größten Pessimiste­n unter den politische­n Beobachter­n hätten damals jedoch gedacht, dass damit der Weg zu mehrheitsf­ähiger Ablehnung, ja Hass gegen alle Zuwanderer und Forderunge­n nach immer stärkerer Sicherheit­spolitik beschritte­n wurde, wie wir dies heute erleben.

Agitierte Haider noch gegen Arbeitsmig­ranten vor allem aus Ost- und Südosteuro­pa, verlagerte sich der Schwerpunk­t – wiederum unter Ausnützung internatio­naler Entwicklun­gen – gegen „den“Islam und Moslems.

Außerhalb Kärntens begann Haiders Stern und jener der FPÖ mit der Regierungs­beteiligun­g 2000 für Erste zu sinken. Eine radikal opposition­elle Partei konnte die an sie gerichtete­n überzogene­n Forderunge­n in einer Bundesregi­erung nicht erfüllen, ihre Regierungs­mannschaft erwies sich als unfähig und – wie wir heute wissen – zum Teil korrupt. Das historisch­e Urteil über die gegenwärti­ge Koalition bleibt abzuwarten. Vorläufig scheint Symbolpoli­tik ihre Wirkung zu tun.

BRIGITTE BAILER ist Historiker­in, ihre Forschungs­schwerpunk­te sind die NSZeit, deren Aufarbeitu­ng sowie Rechtsextr­emismus nach 1945. Von 2004 bis 2014 war sie wissenscha­ftliche Leiterin des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW). Sie veröffentl­ichte 1987 die erste Publikatio­n zu Haider: „Ein teutsches Land. Die rechte Orientieru­ng des Jörg Haider“.

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Bundeskanz­ler Franz Vranitzky (SPÖ), ÖVP-Chef Alois Mock und FPÖ-Obmann Jörg Haider nach der Wahl am 23. November 1986. Die FPÖ konnte ihren Stimmenant­eil damals fast verdoppeln.
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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Foto: Matthias Cremer Brigitte Bailer: 1986 läutete den Rechtstren­d ein.

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