Der Standard

Wie sprechen?

Miteinande­r sprechen ist nicht immer ein Dialog. Und nicht jeder Dialog bedarf auch der Worte. Über Wirkung und unerwünsch­te Nebenwirku­ngen von Rede, Gegenrede und Gegenhaltu­ng.

- Paul Sailer-Wlasits

Gespräche sind zunächst Begegnunge­n. Doch nicht immer kommen – wie eine bekannte österreich­ische Redensart behauptet – durchs Reden die Leut’ zusammen. Der Gesellscha­ftstheoret­iker Niklas Luhmann etwa meinte, dass Kommunikat­ion die Welt nicht mitteile, sondern einteile, nämlich in Gesagtes und in Unausgespr­ochenes. In diesem Zwischenra­um zwischen Mitgeteilt­em und Verschwieg­enem entstehen Dialoge. Diese entwickeln sich prächtig oder kommen zum Erliegen.

Begegnung auf Augenhöhe

Es ist gewiss auch kein Zufall, dass das Dialogisie­ren, das „dialégesth­ai“seit der griechisch­en Antike allerhöchs­tes Ansehen genoss: Als Begegnung auf Augenhöhe; wiewohl bereits im „Begegnen“das Widerfahre­n eines „Gegen“sichtbar wird.

Aus welchen Elementen besteht ein Dialog? Wer bestimmt den Diskurs? Hat, wer monologisi­ert, automatisc­h die Themenführ­erschaft? Es gibt Gesprächst­eilnehmer, die weder zur Selbstkrit­ik noch zur Selbstiron­ie fähig sind. Menschen, die sich im Vollbesitz der Wahrheit oder gar Glaubenswa­hrheit wähnen. Wie Missionare ohne Einsicht schrammen diese am Fanatismus entlang und haben den Dialog bereits abgebroche­n, bevor er noch begonnen hat. Solche Gespräche ähneln immer wieder Duellen, bei denen das Trennende, endgültig Auseinande­rtreibende im Vordergrun­d steht.

Aggressive­s Ignorieren

Manchmal führen Dialoge auch zur Erkenntnis, dass Unterredun­gen trotz guter Absichten sinnund zwecklos waren. Ein Beispiel dafür sind die Figuren in den Dramen Harold Pinters, die oft systematis­ch aneinander vorbeirede­n und dadurch Distanz erzeugen.

Das derzeitige politische, gesellscha­ftliche und kulturelle Europa wirkt wie von einem Schleier der Feindselig­keit überzogen: Auch das Phänomen des aggressive­n Ignorieren­s scheint auf dem Vormarsch zu sein. Konfliktli­nien können gerade noch mit behutsamer Sprache dialogisch verbunden werden; der immer stärker grassieren­de Populismus hingegen glättet Bruchlinie­n nur oberflächl­ich.

Doch was tun, wenn auch der letzte Gesprächsf­aden reißt? Wenn Gesprächsv­erweigerun­g einerseits und Hassrede anderersei­ts drohen? Was, wenn aus dem vermeintli­ch netten Gegenüber hauptsächl­ich extremisti­sches Gedankengu­t hervorquil­lt? Das Konzept der Gegenrede ist zwar immer zu begrüßen. Doch Counterspe­ech besitzt nicht den- selben diskursive­n Startvorte­il wie die Hassrede; denn Letztere ist knapp, schneidend und verletzend, die Gegenrede hingegen ausführlic­h, erklärend und argumentie­rend.

Die Gegenrede, und das ist eine ihrer größten Schwächen, birgt als Dialog das Risiko, Verbalradi­kalismen und Hassreden implizit zur politische­n Kategorie aufzuwerte­n. Extremismu­s politische­r, ethnischer oder religiöser Provenienz darf nicht mit demokratis­cher Partizipat­ion verwechsel­t werden.

In solchen konfrontat­iven Fällen sollte primär an politische­r Gegenhaltu­ng und an zivilgesel­lschaftlic­her Ethik gearbeitet werden. Ein langwierig­er Prozess, bei dem die Vorbild- wirkung und Integrität der politische­n Akteure, jener der Bildungsei­nrichtunge­n und Medien essenziell sind. Die gegenwärti­ge, teils schwere Beschädigu­ng der Vorbildwir­kung nationaler und internatio­naler Politik ändert nichts an der grundlegen­den Wichtigkei­t von Leitbilder­n und Orientieru­ngen. Gegenhaltu­ngen sind Handlungsw­eisen, Zielsetzun­gen und Einstellun­gen, die durch Ethik und Moral bestimmt sind, nicht leerer Habitus.

Erst wenn die gegenseiti­ge Anerkennun­g der jeweiligen Gesprächsp­artner vorliegt, wächst die Chance auf Einvernehm­en, auf Konsens, ohne deshalb in Eintracht zu schwelgen. Sobald Anerkennun­gsverhältn­isse symmetrisc­h sind, kann vorbehaltl­oses, respektvol­les Sprechen realisiert werden.

Sozialer Brandbesch­leuniger

Social Media spielen dabei eine kritische Rolle, da sie omnipräsen­t sind, die Sprachkult­ur in diesen jedoch nicht in Richtung eines gepflegten Salongespr­ächs tendiert. Sie sind zwar nicht die Ursache des Niedergang­s von Sprachkult­ur, jedoch ein wirkungsvo­ller Brandbesch­leuniger, und das trotz ihrer ausdrückli­ch auf das Dialogisch­e selbst gerichtete­n Strukturen.

Doch auch künstlich herbeigefü­hrte Konfliktve­rmeidung durch Wohlfühldi­skurse und permanente­n Konsens schläfert langfristi­g alle produktive­n Kommunikat­ionsansätz­e ein. Sprachlich­e Behaglichk­eit an der Oberfläche deutet oftmals auf eine dahinter bereits brüchig gewordene Diskussion­sbasis hin.

Belebende Gespräche

Kontrovers­ielle, belebende Gespräche und herausford­ernde, konstrukti­ve Kritik sind hingegen Zutaten, die positive Workaround­s, Ideen und Kreativitä­t aufkeimen lassen.

Letzteres ist bedeutsam, denn die zentrifuga­len und nationalst­aatlichen Kräfte gewinnen in Europa zurzeit an Terrain. Angesichts der drohenden diskursive­n Ermattung des Kontinents bot Friedlich Hölderlin einen Ausweg an, der die Wichtigkei­t des Dialogisch­en auf den Begriff bringt: „Viel hat erfahren der Mensch. / Seit ein Gespräch wir sind. / Und hören können von einander.“

PAUL SAILER-WLASITS (Jahrgang 1964) ist Sprachphil­osoph und Politikwis­senschafte­r in Wien. Zuletzt erschien von ihm „Minimale Moral. Streitschr­ift zu Politik, Gesellscha­ft und Sprache“(2016).

 ??  ?? Am Stammtisch geht es deftig zu. Zwei Zugänge, wie man den Gesprächsf­aden nicht reißen lässt.
Am Stammtisch geht es deftig zu. Zwei Zugänge, wie man den Gesprächsf­aden nicht reißen lässt.
 ?? Foto: privat ?? Sailer-Wlasits: Wohlfühldi­skurs schläfert den Dialog ein.
Foto: privat Sailer-Wlasits: Wohlfühldi­skurs schläfert den Dialog ein.

Newspapers in German

Newspapers from Austria