Der Standard

„Sehr viele Studierend­e haben kein Interesse“

Sozialwiss­enschaftli­che Fächer an heimischen Unis haben ein Problem, sagt ein Lehrender, der anonym bleiben will: Zu viele Studierend­e sind nicht qualifizie­rt und behindern die anderen.

- GESPRÄCHSP­ROTOKOLL: David Rennert

Unter unseren Studierend­en sind tolle und motivierte Leute, aber auch sehr viele andere: Oft wird ein Fach gewählt, weil es als leicht gilt oder weil die Aufnahmepr­üfung für eine Fachhochsc­hule nicht geschafft wurde. Das ist ein immenses Problem: So viele Ressourcen – Zeit und Aufmerksam­keit – gehen verloren, und das zulasten jener, die ein wirkliches Interesse am Studium haben und auch leistungsw­illig sind.

Leistungsw­illig meine ich in einem weiteren Sinne – es geht nicht nur darum, möglichst schnell zu studieren und gute Noten zu kriegen. Es geht um die Bereitscha­ft, mitzudenke­n und mitzuarbei­ten. Und das wird stark gebremst, weil wir sehr, sehr viele Studierend­e mitnehmen müssen, die kein offensicht­liches Interesse an den Inhalten des Studiums haben. Das ist auch ein ethisches Problem, weil es kein guter Umgang mit den öffentlich­en Ressourcen ist – ganz abgesehen da- von, was es mit den anderen Studierend­en und mit den Lehrenden macht. Es bringt Lehrende dazu, viel weniger vorauszuse­tzen und zuzumuten und mit den Anforderun­gen auch das eigene Engagement runterzusc­hrauben.

Wenn die Hälfte der Teilnehmer einer Lehrverans­taltung offen Desinteres­se demonstrie­rt oder aus sprachlich­en Gründen dem Unterricht einfach nicht folgen kann, hat niemand etwas davon. Es gibt Studierend­e, die sich am Ende ihres Masterstud­iums befinden und keinen korrekten deutschen Satz schreiben können. Das Verständni­s von komplexen Texten kann da natürlich nicht vorausgese­tzt werden. Das kann man den einzelnen Menschen nicht zum Vorwurf machen, aber sie dürften unter diesen Umständen gar nicht zum deutschspr­achigen Studium zugelassen werden. Dass es Leute gibt, die trotzdem irgend- wie so weit kommen und am Studienend­e scheitern, weil sie nicht gut genug Deutsch können, ist sehr problemati­sch.

Die Ansicht, manche sozialwiss­enschaftli­chen Studiengän­ge in Österreich seien einfach, ist weit verbreitet. Einerseits kommt das wohl daher, dass die Zugangshür­den nicht so hoch sind: Für einige Studiengän­ge muss man nicht sonderlich mathematis­ch begabt sein und braucht auch kein Latinum. Ich glaube, dass dieser vergleichs­weise offene Zugang eine Negativsel­ektion mit sich bringt. Das zieht Leute an, die eigentlich etwas anderes machen wollten, die sich nicht wirklich dafür interessie­ren und nur für den Abschluss studieren.

Steigende Frustratio­n

Dass man in den Sozialwiss­enschaften aber ein sehr hohes Level analytisch­en und systematis­chen Denkens – und für einige Fächer auch Mathematik – braucht, wird oft nicht mitbedacht. Das ist für Studierend­e dann auch sehr frustriere­nd, wenn sie merken, dass sie die Fähigkeite­n, die es braucht, um das Studium gut zu absolviere­n, eigentlich doch nicht haben. Natürlich verlieren viele auch die Lust daran. Und doch machen viele weiter, denn sie haben schon Zeit in das Studium gesteckt – da gibt es viele perverse Anreize.

Manche sind sehr frustriert, wenn sie draufkomme­n, dass das Fach nicht so leicht ist, wie es immer heißt. Ich habe viele Kolleginne­n und Kollegen, die sagen, in ihren Lehrverans­taltungen gibt ein großer Prozentsat­z der Teilnehmer am Ende keine Arbeit ab, zum Teil die Hälfte: Die Leute sitzen das ganze Semester im Seminar, melden sich kein einziges Mal zu Wort und schließen dann nicht ab. Die kommen am Ende drauf, dass sie keine Seminararb­eit schreiben können, oder es ist ihnen zu mühsam. Wenn man diesen hohen Prozentsat­z nicht hätte, könnte man mit den interes- sierten Studierend­en ganz anders arbeiten.

Das Problem ist natürlich auch, dass viele unserer guten Absolventi­nnen und Absolvente­n unter dem schlechten Ruf des Studiums leiden. Die Situation ist für alle Beteiligte­n unfair: Den einen wird nicht oder erst viel zu spät klar, dass dieses Studium nichts für sie ist. Die anderen können nie auf dem Niveau arbeiten, das sie eigentlich erreichen könnten und auch verdienen. Die Situation ist im Moment wirklich unfair und unethisch – in jeder Hinsicht.

In gewisser Weise haben wir weder Fisch noch Fleisch. Wenn wir wollen, dass unsere Universitä­ten einem öffentlich­en Bildungsau­ftrag nachkommen, brauchen wir eine völlig andere Ressourcen­ausstattun­g. Oder wir sagen: Den öffentlich­en Bildungsau­ftrag nehmen andere Institutio­nen wahr, die Unis konzentrie­ren sich darauf, jene zu unterstütz­en, die eine wissenscha­ftliche Karriere anstreben oder eine wissenscha­ftliche Ausbildung möchten.

Gerechte Filter

Dann bräuchten wir eine Form von Zugangs beschränku­ng. Studien gebühren könnten eine überlegens werte Schranke sein, wenn sie gerecht gestaltet werden: Sie dürften nicht wesentlich sozial und ökonomisch filtern. Das kann man erreichen, indem man sie für Leute erlässt, die sich Gebühren nicht leisten können, und gezielteFö­rd er mechanisme­n für Menschen einrichtet, die ausbil dungsferne­n Kontexten kommen. Von der jetzigen Situation profitiert in erster Linie der Mittelstan­d.

Wo es hohe Studiengeb­ühren gibt, sind Studierend­e l eis tungswilli­ger, berichten Kolleginne­n und Kollegen, die im Ausland tätig sind oder waren. Das ist zwar für Lehrende vielleicht angenehmer: Wenn der Zugang sehr stark selektiv ist, ziehen die meisten Leute das Studium durch, wenn sie einmal drin sind.

Das ist im Alltag vieler Lehrender und Studierend­er zwar positiv, hat aber Schattense­iten: Natürlich haben hohe Gebühren die Wirkung einer sozialökon­omischen Filterung. Die Leistungsb­ereitschaf­t basiert oft au feinem starken Druck, der sich auf die Psyche und Gesundheit auswirkt. Im Studium geht zudem das Unorthodox­e, dasni ch tunmittelb­ar nutzen orientiert­e Denken verloren.

Das hat aber auch hierzuland­e immer weniger Platz. Paradoxerw­eise gibt es gerade unter Sozialwiss­en schafts studierend­en viele, die kaum Interesse an sozialen und politische­n Phänomenen haben – nicht, weil die Menschen ignoranter oder unpolitisc­her werden, sondern weil die Zwänge stärker geworden sind. Studierend­e müssen immer häufiger nebenbei arbeiten und sind angehalten, in der Mindestzei­t abzuschlie­ßen.

DER GESPRÄCHSP­ARTNER möchte seinen Namen nicht nennen. Er ist Lehrender eines sozialwiss­enschaftli­chen Studiengan­gs an einer österreich­ischen Uni.

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Immer mehr Studierend­e drängen an die Unis, doch nicht alle sind motiviert, klagen einige Lehrende.

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