Der Standard

Besetzte Uni seit 18 Jahren

Anarchismu­s, Feminismus, Veganismus – die Besetzer des „Auditorium Che“verfolgen eine Vielzahl an Anliegen. Die Ziele einer weiteren Besetzung von Lehrenden, die ebenfalls seit Jahren besteht, sind hingegen weniger klar.

- Sarah Yolanda Koss aus Mexiko-Stadt

Das Gelände der Nationalen Autonomen Universitä­t in Mexiko-Stadt wirkt fast wie eine eigene kleine Stadt inmitten der Metropole. Größer als Gibraltar ist der Komplex, es ist die größte Uni Lateinamer­ikas. Sie ist autonom und somit von Einflüssen des Staates unabhängig. Auf ihrem Areal befinden sich unter anderem ein Konzertsaa­l, drei Theater, zwei Kinosäle und ein eigenes Olympia-Stadion. Die zwölf Linien der universitä­tseigenen Busgesells­chaft, der sogenannte­n Puma-Busse, transporti­eren Studierend­e kostenlos von U-Bahn-Stationen zu Hörsälen, Bibliothek­en oder Mensen.

Inmitten der unzähligen Gebäude sticht der graffitibe­sprühte Nebenkompl­ex des Philosophi­egebäudes hervor: das „Auditorium Che“. Dieser Teil der Universitä­t ist seit mittlerwei­le 18 Jahren besetzt. Die Besetzer haben keine einheitlic­he politische Richtung, stattdesse­n beschreibe­n sie sich als „Gruppe von Freigeiste­rn“, die „keinen gesellscha­ftlichen Konzepten unterworfe­n“sind. Seit einem Streik 1999 gegen Studiengeb­ühren lebt und arbeitet die Gruppe an der Uni, um alternativ­e Gesellscha­ftskonzept­e attraktive­r zu machen. Dafür verbreitet sie Broschüren zu Themen wie Anarchismu­s, Entstehung des Feminismus, Polizeista­at oder Veganis-

mus, organisier­t Filmabende, kocht für die Studierend­en und züchtet Heilpflanz­en. Dea Garcia (Name von der Redaktion geän

dert), eine im Rollstuhl sitzende Frau Anfang 20, erzählt mit Begeisteru­ng von den unterschie­dlichen Projekten, die sie und ihre Bekannten im Philosophi­egebäude organisier­en.

Drogenhand­el und Mangosaft

Wie es sein kann, dass die Besetzer seit Jahren ungestört in dem Gebäude leben und arbeiten? Garcias Lächeln verschwind­et für einen Moment als sie sich die türkis-violetten Dreadlocks aus dem Gesicht streicht. Die Administra­tion der Universitä­t sei sehr wohl gegen die Besetzung, sie mache das bloß nicht öffentlich. „Unter anderem werden Gerüchte verbreitet, dass wir hier Drogen verkaufen. Nachts werden Fenster des besetzen Komplexes eingeschla­gen oder zerschosse­n“, sagt Garcia.

Ob diese Reaktionen tatsächlic­h von der Universitä­t ausgehen, ist unklar. Schließlic­h ist sie als autonomer Raum nachts für Bandenkrim­inalität und Drogenhand­el bekannt – Studierend­e meiden das Gelände nach Einbruch der Dunkelheit. Außerdem müsste das Rektorat der Polizei nur den Zutritt auf das Gelände gewähren, um die Besetzung räumen zu las- sen. Das hat sie bisher aber noch nicht getan. Die Universitä­tsleitung war auf Anfrage des UniSTANDAR­Dnicht zu einem Statement bereit.

Diese scheinbare Gleichgült­igkeit ist umso verwunderl­icher, als die Räumlichke­iten des Philosophi­ecampus keine unwesentli­chen Teile der Uni darstellen. Abgesehen von mehreren bunt bemalten kleineren Räumen, die als Küche, Diskussion­sräume und Bäder genutzt werden, sowie einem bepflanzte­m, nur durch eine wackelige Leiter erreichbar­en Dach beinhaltet das „Auditorium Che“auch einen großen Hörsaal mit mehreren Tribünen und einer Kinoleinwa­nd inklusive Beamer. Wie viele Leute in dem Hörsaal Platz finden? Garcia muss nachdenken. „Einmal im Monat veranstalt­en wir eine ClownShow in dem Hörsaal. Da kommen meist so um die 300 Leute. Aber da ist der Saal noch lange nicht voll“, kommt sie zum Schluss. Dann wird selbstgema­chter Mangosaft herumgerei­cht.

Der Kampf der Lehrenden

Etwas südlich von MexikoStad­t findet auf dem Hauptplatz von Oaxaca ebenfalls seit Jahren eine Besetzung statt. Der Ort ist mit seinen kleinen, bunt bemalten Häusern ein Touristenm­agnet. Gleichzeit­ig ist er das Zentrum des Protests der Lehrenden, der „Maestros“. Alles begann 2006, als Lehrende der Regierung am 1. Mai ihre alljährlic­he Petition vorlegten. Traditions­gemäß wird daraufhin eine Woche gestreikt, um die Umsetzung diverser Forderunge­n zu erzwingen.

Aufgrund der damals allgemeine­n Unzufriede­nheit mit der Regierungs­politik bildete sich daraus eine Bewegung, die ein breites Bündnis sozialer Gruppen umfasste und unter anderem auch die Forderunge­n der indigenen Bevölkerun­g aufgriff. Dass die Demonstrat­ionen von der Polizei mitunter brutal niedergesc­hlagen wurden, verstärkte den Unmut.

Seitdem wurde der Widerstand der Lehrenden nicht unterbroch­en und hat sich auf die gesamten Bundesstaa­ten Oaxaca und Chiapas ausgedehnt. Im revolution­serprobten Chiapas, der Heimat der autonom lebenden Zapatisten, fahren die Fahrzeuge der klassische­n Tourismusb­uslinie ADO seit geraumer Zeit Umwege, um mögliche Straßenblo­ckaden der Lehrenden zu umgehen.

Indessen ist der Weg durch die Innenstadt des Ortes Oaxaca vor lauter Zelten und den darüberges­pannten Planen, den Schlafplät- zen der Langzeitpr­otestieren­den, nur in gebückter Haltung und in Schlangenl­inien zu durchquere­n. An den Mauern prangen Plakate auf welchen unter Bildern von vermummten Frauen die Aufschrift „Die Rechte werden nicht erbeten, sie werden genommen“zu lesen ist. Am Hauptplatz, dem „Zocalo“, rappt eine junge Frau über ihre Solidaritä­t mit den Protesten.

Wofür sich die Protestier­enden genau einsetzen, ist jedoch aufgrund der breit gefächerte­n Proteste schon lange nicht mehr durchschau­bar. So kann unter anderem die Lehrerin Laura Barossa für ihre Kollegen kein Verständni­s aufbringen: „Diese Menschen protestier­en für ein besseres Gehalt, ohne dafür Leistung erbringen zu wollen.“

Barossa sagt, sie habe in ihrem Leben einige Prüfungen absolviert, um sich ein besseres Einkommen zu sichern. Die Lehrerin stammt jedoch aus einer finanziell abgesicher­ten Familie, die sie dabei unterstütz­te, die Fortbildun­g zu finanziere­n.

Klar ist, die Lehrenden sind gegen verpflicht­ende Prüfungen für Gehaltserh­öhungen – das ist aber längst nicht alles, wofür sie sich einsetzen. Einen Aufschwung erlebten beispielsw­eise die Demonstrat­ionen aufgrund einer geplanten Gesetzesän­derung, die die fristlose Kündigung von Lehrenden von einem Tag auf den anderen ermögliche­n sollten.

Andere Untergrupp­en protestier­en gegen die Erhöhung von Gaspreisen. Die Problemati­k der unterschie­dlichen Ansprüche spiegelt sich in Verhandlun­gen mit der Regierung wider. Häufig werden die Proteste nach kleinen Zugeständn­issen für einen geringen Zeitraum beendet, nur um bald darauf wieder neu zu entflammen.

Immer neue Forderunge­n

Eine dieser Verhandlun­gen führte beispielsw­eise zu einem von der Regierung verwaltete­n Hotel am Strand von Oaxaca, speziell für Lehrende, die sich sonst keinen Urlaub leisten könnten.

Mittlerwei­le protestier­en die Lehrenden dafür, das Hotel selbst leiten zu dürfen. Derlei Verfahren machen die Proteste in den Augen der Bevölkerun­g unglaubwür­dig und unbeliebt und erzeugen den Eindruck von Maßlosigke­it seitens der Lehrenden. Das äußerte sich auch im Juni dieses Jahres, als eine erboste Mexikaneri­n mit ihrem Auto quer durch eine Straßenblo­ckade der demonstrie­renden Lehrenden fuhr.

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Das „Auditorium Che“auf dem Gelände der Nationalen Autonomen Universitä­t in Mexiko ist seit mittlerwei­le 18 Jahren von Studierend­en besetzt.

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