Der Standard

Mit Debatten und Teigtasche­n gegen Gebühren

Steigende Mieten und Studiengeb­ühren bringen viele portugiesi­sche Studierend­e in finanziell­e Bedrängnis. Ein studentisc­hes Kollektiv in Lissabon organisier­t nun regelmäßig Debatten zu Bildungsko­sten.

- Alicia Prager aus Lissabon

Mário reicht eine frittierte Teigtasche aus einer Kiste, die er vor sich durch die Pink Street in Lissabon herträgt – „Pink“, weil der Asphalt rosa eingefärbt ist. Ein Club reiht sich hier an den nächsten, und das hungrige Partyvolk freut sich über die selbstgema­chten Snacks. So verdient sich Mário in der Nacht seinen Lebensunte­rhalt. Untertags studiert er Jus an der Universitä­t Lissabon, seinen Nachnamen will er im Zusammenha­ng mit dem nächtliche­n Snackverka­uf nicht in der Zeitung lesen. Es ist drei Uhr morgens, Mário hat noch eine ganze Kiste zum Verkauf.

Für Studierend­e wird es immer schwerer, sich ein Studium in Lissabon zu finanziere­n. Die Mieten steigen rasant, und die finanziell­e Situation vieler portugiesi­scher Familien hat sich seit den Krisenjahr­en zwar verbessert, doch mit einem Durchschni­ttsgehalt von 1107 Euro – oder gar einem Mindestgeh­alt von 580 Euro – im Monat kann man sich das Leben in Lissabon nur schwer leisten.

Studiengeb­ühren gibt es in Portugal seit 1991. Damals betrugen sie nur 6,50 Euro im Jahr und waren als Zuschuss gedacht. 1992 wurden sie auf 250 Euro erhöht. Sie sollten angesichts der stark steigenden Zahl der Studierend­en einen Beitrag zum Unibudget leisten. Seitdem stiegen die Gebühren rasant. Heute betragen sie bis zu 1073 Euro im Jahr – abhängig von Universitä­t und Studiengan­g. Das klingt nicht viel, doch verglichen mit dem Einkommen und den Preisen in Lissabon fallen sie stark ins Gewicht, sagt Beatriz Ribeiro (21), die an der Universida­de Nova de Lisboa Politikwis­senschaft studiert.

Besuche an Schulen und Unis

„Einige meiner Freunde mussten ihr Studium abbrechen, weil sie es sich nicht mehr leisten konnten. Andere konnten gar nicht erst anfangen“, sagt Ribeiro. Um auf das Problem aufmerksam zu machen, gründete sie im Oktober 2017 die Bewegung Cancela a Propina. Jeden Monat organisier­en die Studierend­en ein bis zwei Debatten an den Universitä­ten, besuchen Schulen und organisier­en Demonstrat­ionen, um ihre Argumente gegen Studiengeb­ühren zu verbreiten. Hundert Studierend­e engagieren sich derzeit bei der Organisati­on, sagt Ribeiro – eine feste Mitglieder­liste gibt es nicht.

„Das Recht auf Bildung für alle und gleiche Chancen beim Universitä­tszugang sind in der Verfassung verankert“, sagt Ribeiro. Die Gebühren würden diesem Prinzip widersprec­hen und den Zugang zu Bildung vom Einkommen abhängig machen.

Während die portugiesi­sche Wirtschaft seit der Schuldenkr­ise große Fortschrit­te gemacht hat, mangelt es weiterhin an qualifizie­rten Arbeitskrä­ften. Das führt unter anderem zu relativ niedrigen Produktivi­tätsraten, heißt es in einem Länderberi­cht der Europäisch­en Kommission von 2018.

Auch die portugiesi­sche Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, an dem Problem zu arbeiten und Innovation und Produktivi­tät zu fördern. Das steht im Regierungs­programm 2015–2019. Davon solle die gesamte Bevölkerun­g profitiere­n. Von der Umsetzung solcher Versprechu­ngen sei nicht viel zu spüren, sagt Rita Dias (22), die am ISCTE-Universitä­tsinstitut Lissabon öffentlich­e Administra­tion studiert. Ihre Mutter habe als Lehrerin ein gutes Einkommen und könne sie finanziell unterstütz­en. „Sonst könnte ich nicht in Lissabon studieren“, sagt sie.

Familien tragen Kosten

Die Kosten werden hauptsächl­ich von den Familien getragen, sagt Joaquim Ramos Silva, Professor an der Fakultät für Wirtschaft und Management an der Universitä­t Lissabon. Studienkre­dite aufzunehme­n sei nicht üblich.

Der Staat investiert unterdesse­n proportion­al weniger in die Universitä­ten, kritisiert João Rodriguez, Präsident der Universitä­tsorganisa­tion Federação Académica de Lisboa. Die Studiengeb­ühren würden als Substituti­on für das Budget, das früher vom Staat kam, verwendet. Die Zahl der Studierend­en ist bis 2003 schnell gestiegen und ist seitdem auf einem ähnlichen Niveau. Laut der Statistikd­atenbank Pordata lag sie 2012 bei 311.574 und ging 2017 auf 302.596 zurück. „Das hängt damit zusammen, wie viel ein Studium kostet“, sagt Rodriguez. Zudem würden viele nicht mehr glauben, dass sich ein Studium finanziell lohne. Etwa gäbe es Master-Absolvente­n mit einem Einkommen von rund 750 Euro. „Familien sehen Unis als etwas Teures, in das sie nicht investiere­n wollen, weil es keinen Profit bringt“, sagt er. Von 100 Menschen, die die Schule abschließe­n, würden 40 an die Uni gehen. Davon würde knapp die Hälfte den Bachelor abschließe­n.

Während Portugal vergleichs­weise sehr viele Stipendien vergibt – fast 20 Prozent der Studierend­en erhalten laut Pordata finanziell­e Unterstütz­ung –, beschweren sich viele über große administra­tive Probleme im Zusammenha­ng mit den Zahlungen. In einem Bericht des Informatio­nsnetzwerk­es Eurydice heißt es zudem, hohe Stipendien sollten nicht isoliert betrachtet werden und richten sich zudem nur an eine Minderheit der Studierend­en, während im Vergleich dazu in nordischen System alle von Förderunge­n profitiere­n.

Studierend­e kritisiere­n währenddes­sen, dass zu wenig Geld für die Universitä­ten ausgegeben wird. „Die Regierung sagt, sie hat kein Geld. Aber es ist einfach eine Frage der Prioritäte­n“, sagt Ribeiro. Vor allem angesichts des Preisansti­egs in Lissabon und Porto müsse die Finanzieru­ng der Universitä­ten neu überdacht werden.

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