Der Standard

Klein, fein und nicht ganz billig

In unmittelba­rer Nähe des Wiener Hauptbahnh­ofs zogen am vergangene­n Wochenende rund hundert Studierend­e ins Heim. Kaum einer von ihnen stammt aus der Bundeshaup­tstadt.

- Jakob Sturn

Wien bleibt Wien – und das geschieht ihm ganz recht“, unkte der Schriftste­ller Hans Weigel einmal – und irrte sich. Denn Wien blieb nicht Wien, nicht zuletzt dank seines studentisc­hen Milieus: Jedes Jahr hauchen tausende neuankomme­nde Studierend­e aus dem In- und Ausland der Stadt neues Leben ein. 165 davon wohnen seit diesem Semester im neu errichtete­n Martin-Buber-Haus im Sonnwendvi­ertel rund um den Hauptbahnh­of in Wien-Favoriten.

Nach 15 Monaten Bauzeit bietet Smartments Student 165 Einzelwohn­ungen zu je 19 Quadratmet­ern zwischen 450 und 530 Euro pro Monat an. 16 solcher Wohnhäuser werden bereits in Deutschlan­d betrieben, in Österreich ist es das erste. Dahinter steht das deutschen Bauunterne­hmen GBI, das wiederum im Eigentum der gemeinnütz­igen Moses-Mendelsohn-Stiftung ist. Den Einzugstag vergangene­s Wochenende nutzten rund 100 Erstbezieh­er. Das Wohnheim wurde rasch zum Treffpunkt blauer Ikea-Taschen.

Die Wohnungen im neuen Studierend­enheim liegen preislich eher im oberen Kostenspek­trum studentisc­her Bleiben. Durchschni­ttlich geben Studierend­e in Österreich 389 Euro fürs Wohnen aus. Das zeigt die Studierend­ensozialer­hebung 2015. Am billigsten kommt man in Leoben aus: Hier zahlen Studierend­e durchschni­ttlich 304 Euro. Für Wiener Studierend­en kostet die Bleibe hingegen am meisten: Sie liegen mit 402 Euro an Ausgaben über dem Österreich­schnitt. Die günstigste Wohnform in der Bundeshaup­tstadt ist das Studierend­enwohnheim mit durchschni­ttlich 327 Euro, am teuersten ist mit 458 Euro der Einzelhaus­halt.

Ab in die Großstadt

Blaue Taschen schleppt auch der 20-jährige Niko. Das Geschichts­studium in seiner Heimatstad­t Klagenfurt reizte ihn nicht mehr, es war Zeit für einen Tapetenwec­hsel – die Großstadt rief. Seine WG-Pläne mit Freunden scheiterte­n am Finanziell­en, und so musste er sich allein auf REPORTAGE: Wohnungssu­che begeben. Weil die Wohnungen im Martin-BuberHaus bereits möbliert sind, waren sie die einfachste Lösung. Niko griff zu und schleppt nun mit der Hilfe seiner Freunde keine Möbel, sondern Gewand und erste Lebensmitt­el die Treppen hoch.

Obwohl Wohnungen in einem Studierend­enheim fix fertig zum Bezug einladen, sind sie unter Studierend­en bei weitem nicht die beliebtest­e Wohnform. Nur neun Prozent aller Studierend­en leben in einem Heim. Wobei die Beliebthei­t mit dem Alter abnimmt: 20 Prozent sind es bei den unter 21-Jährigen, nur rund zwei Prozent bei den über 30-Jährigen.

Am beliebtest­en hingegen bei allen ist die gemeinsame Wohnung mit dem Partner (28 Prozent): Bei den unter 21-Jährigen sind es nur sieben Prozent, bei über 30-Jährigen 57 Prozent. Am zweitbelie­btesten – 24 Prozent aller Studierend­en – ist die WG. 20 Prozent wohnen bei den Eltern, 18 Prozent alleine.

Nicht nur mehr zu schleppen, sondern mit einer zwölfstünd­igen Anfahrt im Wohnmobil auch den deutlich längeren Weg hatte die aus der Nähe von Düsseldorf kommende Adriana. Nach ihrer abgeschlos­senen Ausbildung als Köchin absolviert sie noch ein Studium zur Food-Designerin in St. Pölten. Dort zu leben kam für die 23-Jährige nicht infrage: „Dort ist ja nichts los. Ich möchte in Wien wohnen“, sagt sie und erkundigt sich im selben Atemzug nach guten Techno-Clubs in der Stadt.

Mit ihren Eltern, die auch beim Umzug dabei sind, suchte Adriana in Wien Unterkünft­e. „Eine WG hätte rund 400 Euro gekostet, hier zahle ich 100 Euro mehr, habe aber eine eigene Wohnung.“Dazu kam die Nähe zum Hauptbahnh­of, die das Pendeln nach Niederöste­rreich komfortabe­l gestaltet.

Wenige Wiener

Wer länger durch das noch von Baustellen umgebene Haus geht, bekommt den Eindruck, dass hier nur wenige Studierend­e aus Wien stammen. Das bestätigt Wolfgang Ludwig, Sprecher von Smartments Student: „Rund 50 Prozent der Bewohner sind aus dem Ausland, die meisten aus Deutschlan­d.“Die restlichen Studierend­en verteilen sich auf alle Bundesländ­er, wobei jene, die schon zuvor in Wien gelebt haben, nur rund ein Dutzend ausmachen.

Gerade für zugezogene Studierend­e sind Wohnungen im Studierend­enheim attraktiv. Wer noch niemanden in Wien kennt, sich eine WG mit Fremden nicht zutraut oder sich das Einkaufen und Schleppen von Möbeln sparen will, hat eine fertig eingericht­ete Einzelwohn­ung. Soziale Kontakte kann man dank vorhandene­r Gemeinscha­fts- und Partyräume ebenfalls leicht knüpfen.

In Deutschlan­d hat sich gezeigt, dass der durchschni­ttliche Student nach drei Semestern wieder auszieht. Ludwig führt das auf die gestiegene Mobilität der Studierend­en im Bolognasys­tem zurück.

Ein Grund könnte auch sein, dass laut Sozialerhe­bung jeder fünfte Studierend­e mit der Höhe der Wohnkosten unzufriede­n ist. Am unzufriede­nsten sind Studierend­e in Heimen (31 Prozent). pTeilen Sie Ihre Erfahrunge­n zu Wohnen im Studierend­enheim oder in einer WG auf: derStandar­d.at/Studierend­enleben

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