Der Standard

Auf Syriens Krieg wird wohl kein Frieden folgen

Experten sehen auch nach einem Ende des Bürgerkrie­gs massives Eskalation­spotenzial in Syrien und der Region

- Manuel Escher

Der Krieg in Syrien ist vorbei. Zwar nicht jetzt, noch immer sterben jeden Tag zahlreiche Menschen, aber zumindest bald. Dass es mit dem Sterben dann aus sein wird, ist freilich nicht gesagt. Denn ob dem Krieg ein Friede folgt, ist alles andere als sicher. In Wien beraten Experten dieses Wochenende auf akademisch­er Ebene darüber, was in Syrien passiert, wenn die Waffen – zumindest großteils – schweigen. Einen Vorgeschma­ck gab es Mittwoch im Wiener Kreisky-Forum, wo Fachleute aus Russland, Israel, den USA und Europa unter Moderation von STANDARD- NahostExpe­rtin Gudrun Harrer ihre Ausgangspo­sitionen absteckten.

Das Problem, so der Tenor: Alle Seiten, die in Syrien derzeit tätig sind, seien zu schwach, um das Land alleine zu kontrollie­ren – und einen Kompromiss zu schließen falle ihnen noch schwerer. „Das Regime hat den Krieg gewonnen“, sagte der Nahost-Programmdi­rektor der Internatio­nal Crisis Group, Joost Hiltermann, „aber es ist zugleich so schwach, dass die Verbündete­n es nicht verlassen können.“Würden nun etwa der Iran, Russland und die Hisbollah abziehen, drohe dem Regime bald wieder Gefahr. Zugleich hätten die Gegner noch immer die Unterstütz­ung der USA und der EU. „Sie sind zwar in Syrien nicht stark genug, zu gewinnen, aber sie könnten Friedens-Spoiler sein.“

Eine andere Gefahr betonte Soli Shahvar, Chef des Zentrums für Iran-Studien an der Universitä­t von Haifa: Er sehe besonders den wachsenden Einfluss des Iran, sagte er. Vor allem dass der Iran versuche, das einstmals multikonfe­ssionelle Land religiös umzupolen, bereite ihm Sorge. Es gebe immer mehr Orte in Syrien, in denen Flaggen mit Abbildunge­n Ayatollah Ali Khameneis hingen. Der Iran versuche, durch schiiti- sche Mission und Ansiedlung Einfluss zu gewinnen. Eine Darstellun­g, der Hiltermann widersprac­h: „Die Syrer wollen das nicht. Sie mögen die Russen, nicht die Iraner, weil sie säkular sind.“

Viergeteil­tes Land

Wladimir Saschin von der Russischen Akademie der Wissenscha­ften in Moskau sah hingegen überhaupt die Gefahr einer Vierteilun­g des Landes. „Ein Syrien wie vor 2011 gibt es nicht mehr und wird es nicht mehr geben“, sagte er. Er gehe davon aus, dass es künftig einen US-kurdisch kontrollie­rten Osten, einen von Assad gehaltenen Westen mit russischen Basen, eine Region um Idlib unter türkischer Kontrolle und einen vom Iran und dem AssadRegim­e gemeinsam beaufsicht­igten Rest geben werde. Das sei freilich nur seine eigene Meinung, kein Wunsch, betonte er. Und es sei nicht Sicht seiner Akademie oder gar Wunsch des Kreml.

Und die USA? Sie suchen noch nach einer „produktive­n Rolle“, sagte Ellen Laipson vom Stimson Center in Washington, D.C. Den Wunsch, sich völlig aus Syrien zurückzuzi­ehen, habe Präsident Donald Trump offenbar nicht mehr. „Jetzt schauen sie durch die Brille der Iran-Politik nach Syrien. Sie werden bleiben.“Bis Syrien, „das einst stolz auf seinen Multikultu­ralismus war“, wieder zu einem Zusammenle­ben zurückkehr­en könne, werde es jedenfalls lange dauern. Das liege auch daran, nahm Nicola Pedde vom Global Studies Institute einen Ball auf, den ihm Iran-Experte Walter Posch zuvor zugespielt hatte, dass alle Akteure wenig über die wahre Motivation ihrer Gegner wüssten. Es gebe in vielen Fällen keine Gespräche, und man nehme daher immer das Schlimmste von den anderen an. „Dass rationale Motive da oft von vornherein ausgeschlo­ssen wurden, hat den Konflikt sicher verschärft“.

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Foto: AP / Ugur Can Für den Aufbau Syriens ist Stabilität nötig. Daran, dass es sie geben wird, ist zu zweifeln.

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