Der Standard

Der unbequeme Heilige aus El Salvador

Das mittelamer­ikanische El Salvador ist 38 Jahre nach dem Mord an Erzbischof Romero noch immer geprägt von Gewalt und Armut. Romeros Heiligspre­chung ist vor allem für die Jugend eine Art Hoffnungss­chimmer.

- Sandra Weiss

El Salvador scheint bestens vorbereite­t auf seinen neuen Heiligen: Am Flughafen Monseñor Óscar Arnulfo Romero y Galdámez wird der Reisende von einem überlebens­großen Wandbild des 1980 auf dem Höhepunkt des Bürgerkrie­gs ermordeten Erzbischof­s begrüßt. Und das nicht ohne Grund. Denn „Erzbischof Romero“, wie er hier von allen genannt wird, wird am 14. Oktober heiliggesp­rochen.

Souvenirsh­ops verkaufen Bücher, T-Shirts und Schlüssela­nhänger mit seinem Antlitz. Doch es herrscht keine ungetrübte Feierstimm­ung. Auch 38 Jahre nach Romeros Tod sind die Wunden des Bürgerkrie­gs längst nicht vernarbt, ist das Land polarisier­t und versinkt in Gewalt. Selbst die Kirche stand nicht immer geschlosse­n hinter Romero – weshalb dieser zuerst vollkommen abseits der Kirchenhie­rarchie zum Volksheili­gen avanciert war.

Um kirchenrec­htlich heiliggesp­rochen zu werden, verlangt der Vatikan den Nachweis heroischer Tugenden einschließ­lich vollbracht­er Wunder oder das Märtyrertu­m, also den Tod für den Glauben. Anforderun­gen, denen Romero durchaus gerecht wird, schließlic­h hat er sich zu Lebzeiten auf die Seite der Armen gestellt und vehement ein Ende der Repression durch das Militär gefordert. Schlussend­lich wurde er von einem Auftragsmö­rder während einer Messe am Altar erschossen. Trotzdem fand er keine Gnade vor den Augen von Papst Johannes Paul II., der sonst mit Heilig- (482) und Seligsprec­hungen (1345) nicht gerade zurückhalt­end war. Erst unter dem ersten Latino-Papst Franziskus kam das Dossier Romero im Vatikan in Schwung.

Politische­r Unwille

Auch in seiner Heimat dauerte es, bis dem Geistliche­n offizielle Würden zuteilwurd­en. Vermutlich auch deshalb, weil der Auftraggeb­er des Mordes, Roberto D’Aubuisson, nicht nur Chef der Todesschwa­dronen, sondern gleichzeit­ig auch der Gründer der stramm antikommun­istischen, erzkatholi­schen Partei Republikan­isch-Nationalis­tische Allianz (Arena) war, die bis 2009 die Regierung stellte und ein wichtiger Gönner der Kirche war.

Erst 2010, nach dem Sieg der linken Befreiungs­front Farabundo Martí (FMLN), räumte der damalige Präsident Mauricio Funes eine staatliche Mitschuld an dem Mord ein. 2014 benannte er den Flughafen San Salvador nach ihm. „Die rechten Regierunge­n davor sprachen immer schlecht von Romero“, sagt Kardinal Gregorio Rosa Chávez, ein Weggefährt­e Romeros. „Als Romero starb, feierten die Reichen in den Villenvier­teln den Tod des ‚Kommuniste­n‘. Es gab damals sogar Autoaufkle­ber mit der Aufschrift ‚Mach dich verdient ums Vaterland, töte einen Priester‘“, erzählt der Kardinal. Romero stand in den Augen der Elite den progressiv­en Jesuiten und den linken Befreiungs­theologen zu nahe; manche sahen in ihm in Zeiten des Kalten Krieges sogar einen kommunisti­schen Abweichler und fürchteten später, eine Selig- oder gar Heiligspre­chung würde von Linken zu Propaganda­zwecken ausgenützt.

Inzwischen sind viele Jahre ins Land gegangen, ist der Kalte Krieg Geschichte, und in El Salvador ist längst Frieden geschlosse­n. FMLN und Arena koexistier­en seit 1992 demokratis­ch. Doch eine Aufarbeitu­ng der Vergangenh­eit hat nur sehr zögerlich stattgefun­den. Zwar hat die von der Uno im Rahmen des Friedenspr­ozesses eingericht­ete Wahrheitsk­ommission umfangreic­he Untersuchu­ngen durchgefüh­rt. Doch weder wurde ihr Abschlussb­ericht in Bildungspl­äne aufgenomme­n, noch wurden die Empfehlung­en der Kommission umgesetzt.

Vor allem Arena spielt die Verantwort­ung für die Massaker des Bürgerkrie­gs noch immer herunter. Erst kürzlich erklärte Präsidents­chaftskand­idat Carlos Callejas, es sei ja nur eine Spekulatio­n, dass D’Aubuisson hinter dem Mord an Romero stecke. Eine Be- hauptung, die den Erkenntnis­sen der Wahrheitsk­ommission entgegenst­eht. Sogar D’Aubuissons Schwester Marisa bestätigt, dass ihr Bruder, der an der berüchtigt­en US-Folterakad­emie School of Americas ausgebilde­t wurde und 1992 an Krebs starb, Romero gehasst und mit Komplizen den Mord geplant habe: „Er hatte eine Liste, und wer darauf stand, wurde umgebracht.“Marisa ist Katholikin und gehört der Romero-Stiftung an. Ihr Bruder hielt sie bis zu seinem Tod für eine „Guerillera“.

„Jeder, der damals auf der Seite der Armen stand und Gerechtigk­eit forderte, war für Leute wie meinen Bruder ein Kommunist“, erzählt sie. Vereinnahm­ungen von links gebe es dementspre­chend ebenfalls zahlreiche. „Wir haben immer wieder betont, dass Romeros Einsatz für die Armen der christlich­en Nächstenli­ebe entspringt, nicht einer marxistisc­hen Doktrin“, sagt Kardinal Gregorio Rosa Chávez.

Repression und Gewalt

Die Kirche hofft, Romero zu einer Integratio­nsfigur zu machen in einem Staat, der nach dem Bürgerkrie­g nie wirklich zur Ruhe kam: Derzeit sind mehrere Expräsiden­ten wegen Korruption angeklagt, kriminelle Banden terrorisie­ren das Land, das zu den gewalttäti­gsten der Welt gehört, und jedes Jahr flüchten 100.000 Salva- dorianer vor Gewalt und Armut ins Ausland. Rosa Chávez ist trotzdem optimistis­ch: „Gerade die Jugend sieht in Romero einen Leuchtturm, jemanden mit moralische­r Autorität, authentisc­h und glaubwürdi­g.“

„Romero hat sich für soziale Gerechtigk­eit eingesetzt und uns beigebrach­t, für unsere Rechte zu kämpfen, die heute noch immer mit Füßen getreten werden“, bestätigt die 18-jährige Gregoria Acevedo. Sie ist Teil der Nachkriegs­generation, die von vielen als „verloren“bezeichnet wird. Denn seit Ende des Krieges werden die jungen Leute zwischen kriminelle­n Jugendband­en und einem repressive­n Staat aufgeriebe­n. Für die einen sind sie leichte Beute, für den anderen potenziell­e Verbrecher. Die Kirche ist eine der wenigen Institutio­nen, die zu vermitteln versuchen. Es ist ein steiniger Weg. Vor ein paar Jahren scheiterte eine Art Waffenstil­lstand zwischen dem Staat und zwei der größten Banden; präventive Projekte werden immer wieder vom populistis­chen Ruf nach einer harten Hand zunichtege­macht.

Romeros Heiligspre­chung, so die Hoffnung der Kirche, könnte die Gesellscha­ft aufrütteln. „Er ist auch ein ethisches Vorbild“, sagt Rosa Chávez. „Unserer Gesellscha­ft fehlt es an Brüderlich­keit und Solidaritä­t. Es gibt zu viele, die Geld und Macht vergöttern.“

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Am Sonntag wird Óscar Romero heiliggesp­rochen. Immer noch fordern Menschen Sühne für seine Ermordung.

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