Der Standard

May-Deal or No Deal

Europamini­ster Gernot Blümel hat die Briten in London in der Endphase ihrer Austrittsv­erhandlung­en noch einmal zur Eile gemahnt und sie an die roten Linien der EU erinnert.

- Christoph Prantner aus London

Showtime war einmal – die Crunchtime ist angebroche­n. Nach den Parteitags­spektakeln in den vergangene­n Wochen geht es dieser Tage in London ans Eingemacht­e. Die Briten müssen endlich übereinkom­men, wie sie den Brexit genau anlegen wollen. Die Noch-EUPartner warten dringend auf eine gemeinsame, haltbare Position der britischen Regierung, von der aus ab 29. März 2019 ein für beide Parteien gangbarer, getrennter Weg beschritte­n werden kann.

Quasi wie gerufen kam also Europamini­ster Gernot Blümel (ÖVP) am Donnerstag nach London, um im Namen der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft die roten Linien der EU in Erinnerung zu rufen und auf Nägel mit Köpfen zu drängen. Bis zum Gipfel kommende Woche in Brüssel muss etwas Substanzie­lles vorliegen, über das Staats- und Regierungs­chefs beraten können.

„Wir wollen ein gutes gemeinsame­s Ergebnis der EU-28 erreichen.“Von den EU-27 werde es Entgegenko­mmen geben. „Was allerdings nicht geht, ist, dass die vier Grundfreih­eiten der Union auseinande­rgedröselt werden.“Das besprach er Donnerstag auch mit Außenminis­ter Jeremy Hunt. Es sei ein konstrukti­ves Treffen gewesen, sagte Blümel. Der Brite wollte sich nicht äußern, um die Gespräche nicht zu gefährden.

Mit dem Prozess befasste Personen sagen dem STANDARD, dass ANALYSE:

jenseits des üblichen Theaterdon­ners bereits viel ausgemacht sei. Laut EU-Chefverhan­dler Michel Barnier sind schon 85 Prozent des Austritts in trockenen Tüchern. Im Wesentlich­en sind noch vier Punkte offen: zwei harte Nüsse und zwei leichtere Übungen.

Nordirland Tritt Großbritan­nien aus dem gemeinsame­n Binnenmark­t aus, endet die Zollunion an der irisch-nordirisch­en Grenze. Kontrollen müssten aufgezogen werden, der mühsam erreichte Frieden in Nordirland wäre in Gefahr. Deshalb wird derzeit über eine temporäre Zollunion zwischen Briten und EU verhandelt, die ein hartes Grenzregim­e unnötig machen würde. Das Problem dabei: Eine Zollunion allerdings ist keine Freihandel­szone. Die Kompetenz, Handelsabk­ommen auszuhande­ln, läge in Brüssel. Das ist für die Briten ein großes Hindernis und für die EU eine rote Linie. Gestritten wird auch über die Zeit nach der vorübergeh­enden Zollunion, für die es eine Auffanglös­ung („backstop“) braucht.

Gerichtsba­rkeit Die Regierung in London argumentie­rt, dass Großbritan­nien nicht der Rechtsspre­chung eines ausländisc­hen Gerichtsho­fes unterzogen sein dürfe. Gibt es eine Zollunion, dann wäre das zumindest in Zollfragen der Fall. Experten glauben aber, dass es Möglichkei­ten gibt, das Problem zu lösen – oder zumindest die Sachlage so zu verschleie­rn, dass

QQauf der Insel keiner merkt, dass der EuGH ein wesentlich­es Wörtchen mitzureden hat.

Gibraltar Der Status der britischen Exklave in Spanien gehört zu den leichteren Übungen. Zwischen Madrid und London soll es bereits weitgehend Einigkeit geben – bis hin zum Tabakregim­e.

Zypern Für die britischen Militärbas­en auf der Mittelmeer­insel ist ein neuer Status nötig. Auch das ist laut Experten nahezu gelöst. Barnier will die Verhandlun­gen dem Vernehmen nach bis auf die Punkte eins und zwei abschließe­n und den Staats- und Regierungs­chefs so wenig wie möglich Restmateri­e übriglasse­n, auch damit das Paket nicht wieder aufgeschnü­rt und zerpflückt werden kann.

Wird sich der EU-Gipfel Mitte November einig, stellt sich die Frage, ob Premiermin­isterin Theresa May das Ergebnis durch das Parlament bekommt. Zwischen 40 und 80 Hinterbänk­ler ihrer eigenen Partei, angeführt von ExAußenmin­ister Boris Johnson, sollen gegen sie stimmen wollen. Im Gegenzug könnten LabourAbge­ordnete entgegen dem Beschluss ihrer Partei mit May stimmen, um das Schlimmste von Großbritan­nien abzuwenden.

Deshalb beschwört May gerne mit ihrem Namen ein Untergangs­szenario herauf: „May-deal or no deal“. Will heißen: entweder mein Deal oder kein Deal. Die Reise erfolgte zum Teil auf Einladung des Europamini­steriums.

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Gernot Blümel drängte am Donnerstag in London auf Lösungsvor­schläge zu den noch offenen Brexit-Fragen.

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