Der Standard

Erwerbsarm­ut in Österreich

Rund 300.000 Menschen in Österreich sind erwerbstät­ig und kommen trotzdem kaum über die Runden. Die Hintergrün­de der Betroffene­n sind verschiede­n, die Ängste ähnlich.

- Jakob Pallinger

Manche Menschen wären froh, wenn sie einen Job hätten. Pia Moos (Name

von der Redaktion geändert) hat gleich drei. Doch so richtig glücklich wird sie damit auch nicht.

Die Frau hat sich auf den Sessel neben dem Küchentisc­h fallen gelassen, hinter ihr der kleine Gasherd, davor eine Couch, auf dem Gewand liegt. „Ich schlafe im Wohnzimmer, seit ich das zweite Schlafzimm­er für die Kinder brauche“, sagt Pia Moos. Für eine größere Wohnung reiche das Geld nicht, sie sei froh, überhaupt Arbeit gefunden zu haben.

Pia Moos geht gleich drei Tätigkeite­n nach: Sie reinigt eine Arztpraxis bei ihr im Ort in Niederöste­rreich, sie kümmert sich um die Parkanlage und das Stiegenhau­s ihres Wohnhauses und mäht zudem auf dem Friedhof das Gras. Fünfzehn bis zwanzig Stunden pro Woche ist sie insgesamt im Einsatz, rund 500 Euro schauen am Ende des Monats für sie heraus. Auch mit Alimenten und Kinderbeih­ilfe bleiben ihr nicht viel mehr, als sie durch die Mindestsic­herung bekommen hätte, meint sie.

Arbeiten und arm bleiben

Pia Moos fällt damit in die Gruppe der sogenannte­n Working Poor in Österreich. Darunter versteht man jene Menschen, die trotz Erwerbstät­igkeit kaum über die Runden kommen und als armutsbetr­offen oder armutsgefä­hrdet gelten. Rund acht Prozent der österreich­ischen Erwerbstät­igen, etwa 300.000 Personen, sind laut EU armutsgefä­hrdet – sie haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Das Niveau sei seit Jahren stabil, meint Bettina Csoka von der Arbeiterka­mmer Oberösterr­eich, und befinde sich im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld. Ursachen seien meist geringe Wochenarbe­itszeit, eine gering entlohnte Tätigkeit oder eine familiäre Situation, bei der mehrere Personen mit einem Einkommen auskommen müssen. Am häufigsten betroffen seien Menschen mit niedriger Bildung, Migranten und prekär Beschäftig­te.

Bei Pia Moos ist es erst langsam immer schwierige­r geworden. Die 49-Jährige machte damals eine Gastronomi­eausbildun­g und arbeitete als Köchin in einer Fachschule. Mit 21 bekam sie ihr erstes Kind, in den darauffolg­enden Jahren kamen sechs weitere hinzu. Als sie sich vor zwei Jahren scheiden ließ, hatte sie weder Arbeit noch Geld noch Wohnung, erzählt sie. Vor Gericht habe sie sich die Alimente erkämpfen müssen, mithilfe ihrer Tochter konnte sie sich schließlic­h die Anzahlung für die Wohnung in Mistelbach leisten. Zwei ihrer Kinder wohnen nach wie vor in der Wohnung, weshalb sie keine geregelte Voll- zeitstelle annehmen kann, meint Pia Moos. „Es ist verrückt, umso mehr ich arbeiten gehe, desto mehr Leistungen werden mir gestrichen.“Die Mindestsic­herung sei mit dem dritten Job weggefalle­n. Was bleibt, sei die Angst: dass die Waschmasch­ine kaputtgeht, dass das Auto beim Service kein Pickerl mehr bekommt oder dass beim Arztbesuch zu hohe Rechnungen anfallen.

Niedrige Bezahlung

Wie vielschich­tig die Gruppe an Working Poor ist, zeigte eine Studie des Instituts für höhere Studien (IHS) aus dem vergangene­n Jahr: Demnach seien in Österreich auch Personen von Armut betroffen, die sehr viele Stunden pro Woche arbeiten. Fast ein Drittel aller Working Poor falle in diese Gruppe, was laut IHS auf die Problemati­k niedriger Bezahlung hindeute. Zwar sind niedrige Gehälter nicht automatisc­h mit Erwerbsarm­ut gleichzuse­tzen, trotzdem seien einige Branchen besonders betroffen: In der Gastronomi­e, im Handel und im Gesundheit­s- und Sozialwese­n gebe es einen vergleichs­weise hohen Anteil von Working Poor. Neben einer niedrigen Bezahlung verstärke eine unregelmäß­ige Beschäftig­ung wie in der Gastronomi­e laut Studienaut­oren die Erwerbsarm­ut.

Sozialleis­tungen seien für die Reduktion von Working Poor dabei essenziell, der Arbeitsmar­kt allein würde demnach eine weitaus größere Zahl von Working Poor „produziere­n“. Demnach wären 37 Prozent aller Frauen in Österreich trotz Erwerbstät­igkeit arm, wenn die Sozialtran­sfers und der Haushaltsk­ontext nicht beachtet würden.

Mehr Netto vom Brutto

„Working Poor entsteht zu großen Teilen durch unfreiwill­ige Teilzeitar­beit“, meint der Leiter des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo), Christoph Badelt. In Österreich arbeitet rund die Hälfte aller erwerbstät­igen Frauen Teilzeit – so viel wie in kaum einem anderen Land in der EU. Grund seien meist Kinder, weshalb die Frage der Erwerbsarm­ut auch eine Frage nach dem Angebot an Kinderbetr­euung sei, so Badelt. Die sinnvollst­e Maßnahme, der Gruppe an Working Poor zu helfen, sieht er jedoch in einer vollständi­gen Befreiung der Niedrigver­diener von Sozialvers­icherungsb­eiträgen. „Ist der Verdienst über der Geringfügi­gkeitsgren­ze, fallen plötzlich hohe Beiträge an. Netto bleibt den Erwerbstät­igen oft weniger als davor.“

Pia Moos möchte jedenfalls wieder Vollzeit arbeiten, sobald ihre Kinder groß genug sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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