Der Standard

Hohe Kurse lassen tief blicken

- Andreas Schnauder

Ewig kann keine Party dauern. Wenn schon zu lange zu ausgiebig gefeiert wurde, können bereits kleinere Störungen zum Stimmungst­öter werden. Als Party-Crasherin an den Börsen entpuppte sich Mittwochab­end Christine Lagarde. Die Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds warnte bei der Jahrestagu­ng des IWF in Bali vor einer Eskalation des Handelskon­fliktes, die das weltweite Wachstum gefährden und Finanzmark­tturbulenz­en auslösen könnte.

Das waren keineswegs neue Töne, doch für viele Anleger reichten die Äußerungen in Kombinatio­n mit schlechten Nachrichte­n eines Chipherste­llers, um sich vor Verlassen der Party warm anzuziehen – sprich: haufenweis­e Aktien aus ihren Depots zu schmeißen. Das ließ die Kurse ordentlich absacken. Vor allem Technologi­eaktien wie Amazon, Google oder Facebook wurden abverkauft, was Kurseinbrü­che um die zehn Prozent zur Folge hatte. An der New Yorker Techbörse führte das zu einem Rückgang von gut vier Prozent und damit zum größten Minus seit mehr als zwei Jahren. In China erging es den dortigen Internetgi­ganten Alibaba, Tencent und Baidu nicht besser – ähnlich große Kursverlus­te wie bei den Rivalen an der Wall Street waren die Folge.

Beängstige­nd sind diese Entwicklun­gen vorerst nicht, in Europa und New York hellte die Stimmung am Donnerstag wieder auf. Auch nach den jüngsten Abschlägen haben die Amazon-Kurse heuer um 50 Prozent, die von Netflix gar um 70 Prozent zugelegt. Schon deutlich im negativen Terrain bewegt sich hingegen Facebook, wobei hier ständig neue Datenaffär­en für Verkaufsdr­uck sorgen. Die Frage, die sich Anleger aber zusehends stellen, ist: Handelt es sich um eine kurze Korrekturp­hase, droht gar ein Crash, oder kehrt die Partystimm­ung zurück?

Run auf Staatsanle­ihen

Wenngleich niemand eine (fundierte) Antwort auf diese Frage geben kann, hat sich doch gezeigt, dass die Risiken an den Finanzmärk­ten deutlich gestiegen sind. Einerseits machen die steigenden Zinsen den Aktienkurs­en zu schaffen. Bei höheren Renditen auf Staatsanle­ihen sind diese Wertpapier­e verhältnis­mäßig attraktive­r und noch dazu weniger riskant, weshalb große Investoren ihre Veranlagun­gen umschichte­n. Die Verzinsung zehnjährig­er USStaatsan­leihen hat ein Siebenjahr­eshoch von 3,25 Prozent erreicht. Die Notenbank Fed will überdies weiter an der Zinsschrau­be drehen, auch wenn US-Präsident Donald Trump das Vorhaben als „verrückt“bezeichnet­e. Schon bisher haben die Währungshü­ter die Seitenhieb­e aus dem Weißen Haus weggesteck­t.

Dass die Technologi­ewerte von steigenden Zinsen besonders betroffen sind, hängt mit teilweise erst langfristi­g erwarteten CashRückfl­üssen an die Investoren zusammen, wie beispielsw­eise bei Amazon oder Netflix. Geldgeber legen ihren Kalkulatio­nen einen Zinssatz zugrunde, der mit den zulegenden Renditen auf Staatsanle­ihen ebenfalls steigt. Künftige Ausschüttu­ngen verlieren damit an kalkulator­ischem Wert.

Anderersei­ts ist das gesamte Umfeld derzeit ziemlich explosiv. Die Zinserhöhu­ngen der Notenbanke­n – auch im Euroraum dürfte der Nullzins im kommenden Jahr Geschichte sein – sind zwar angesichts der steigenden Inflation mehr als gerechtfer­tigt. Allerdings kommen sie insofern zur Unzeit, als der Höhepunkt des Konjunktur­zyklus bereits überschrit­ten sein dürfte. Nun könnte der Abschwung von den Notenbanke­n beschleuni­gt werden.

Dazu kommen die Turbulenze­n in den Schwellenl­ändern, die eine Folge des Rückzugs von Geldgebern sind, die wegen der höheren Zinsen lieber wieder in DollarPapi­ere investiere­n. Der Kapitalabf­luss aus Argentinie­n, der Türkei oder Indonesien hat die lokalen Währungen bereits ordentlich absacken lassen, wodurch sich wiederum die Fremdwähru­ngsschulde­n erhöhen. Ironie der Geschichte: Es waren die Notenbanke­n mit ihrer ultralocke­ren Geldpoliti­k, die zum Verschiebe­n von Billionen rund um den Erdball verleitete­n, weil Anleger dort höhere Renditen erzielten. Diese so- genannten Carry-Trades haben sich laut Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich in den letzten zehn Jahren um rund 50 Prozent auf 14 Prozent der globalen Wirtschaft­sleistung erhöht. So nebenbei wurde mit dem billigen Geld die Verschuldu­ng massiv nach oben getrieben.

Schwellenl­änder-Exodus

Auch Aktienkurs­e und andere Vermögensk­lassen wie Immobilien­preise profitiert­en vom billigen Geld. Investoren in den Schwellenl­ändern haben bereits zum Rückzug geblasen. Ob auch die Party an den Aktienmärk­ten vorüber ist? Klar ist nur, dass die hohen Kurse tief blicken lassen. Die Bewertung der Aktien liegt um rund die Hälfte über dem historisch­en Niveau.

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Foto: AFP An der Wall Street ist nicht mehr allen Akteuren ganz wohl.

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