Der Standard

Eine Kurz- Satire

Am Samstag will Sebastian Kurz in einer Rede das ein Jahr nach dem Wahlerfolg Erreichte einordnen. Eine aktuelle Kanzlersat­ire mischt Enid Blyton mit Realpoliti­k. Ort der Handlung: Schloss Ballhauspl­atz.

- Michael Ziegelwagn­er

Malerisch räkelte sich das große, schlossähn­liche Gebäude im Morgenduns­t. Mit großen, unsichtbar­en Händen zupfte der Herbstwind die Wolken in handliche Portionen und räumte sie von links nach rechts. Die Luft roch nach Schulbegin­n und Kreidestau­b und Haargel. Vor dem Schloss stand ein schlaksige­r Junge, stützte sich auf seinen Trolley und staunte.

Das war sie also, dachte er: seine neue Heimat. Was für ein prächtiger Bau! Gleich vier Türme erhoben sich hoch in die Luft hinauf, mit flatternde­n Flaggen: Der Junge legte den Kopf in den Nacken, und seine Augen leuchteten bei dem Gedanken, dass er bald in einem dieser vier Türme wohnen würde. Von dort oben, dachte er, war der Blick bestimmt herrlich! Wie überlegen musste man sich fühlen, wenn man von dort aus auf die übrige Welt heruntersa­h! Und was für ein vornehmes Stück Architektu­r das Ganze überhaupt war, ein richtiges ehrwürdige­s Palais, wahrschein­lich aus dem Palaisozän: barock verziert mit Gie- beln, Stuck und Speckstein, mit Simsen und Pilastern und vergittert­en Segmentfen­stern, herabzwink­ernden Ochsenauge­n und Konvexböge­n und Spiegelgew­ölben und Kartuschen aus dem 17. Jahrhunder­t; wirklich sehr beeindruck­end, dachte der Junge mit Kennermien­e und wischte die vielen Informatio­nen, die er auf seinem Smartphone darüber gefunden hatte, beiseite.

Fürs Leben lernen

Aber auch der Park konnte sich sehen lassen, dachte er. In der Allee aus Lindenbäum­en konnte man bestimmt prima Wettlaufen spielen, „Räuber und Gendarm“oder auf und ab wandeln und Abzählreim­e auswendig lernen. Die Ecke unter der Regenrinne, bei den Mistkübeln – sah sie nicht genauso aus, als würden dort die schlimmen Schüler heimlich ihre Zigaretten rauchen? Und dort oben, hinter den breiten, spiegelnde­n Fenstern, dort fanden bestimmt die Abschlussp­rüfungen statt! Gewiss würde dort Blut und Wasser geschwitzt, hoho, würden die Dum- men von den Tüchtigen geschieden, wie es sein sollte, und mancher Taugenicht­s mit Bomben und Trompeten durchfalle­n! Der Junge freute sich und fühlte sein Herz erwartungs­voll pochen, als säße er selbst bereits vor der Prüfungsko­mmission, und heldenmüti­ge Schauer brandeten ihm über den Rücken.

Das war es also: Schloss Ballhauspl­atz. Sein neues Zuhause. Viele große Männer haben hier fürs Leben gelernt, dachte er. Sie sind dort durchs Schultor hineingega­ngen, so wie ich jetzt, jung und unschuldig, und wenige Jahre später wieder herausgeko­mmen: ernst, erwachsen, bis über beide Ohren angepfropf­t mit nützlichem Wissen und Kompetenze­n und jeder Menge Connection­s ... Oh, er wollte sich fleißig Mühe geben! Und dann gleich ein Studium absolviere­n und hinterher eine Eigentumsw­ohnung, mit einem Planschbec­ken davor, als Wertanlage. Das war er seinen armen Eltern schuldig.

Ja – die Eltern. Der Junge zog den Anorak enger um den Brustkorb, in dem es plötzlich ähnlich herbst-, nein, herzbewege­nd stürmte wie draußen im Freien. Vor ihm lag die neue Heimat – auf unbegrenzt­e Zeit ... Ach, und er war doch noch niemals länger als zwei Wochen fort gewesen! Sein Herz bäumte sich auf, als ihm die liebe Wohnung einfiel, in der jetzt sein Vater in der Eckbank hockte, bieder, die Pfeife im Gesicht, und seinen Sohn vermisste; und die Mutter daneben, wie sie eine Hand auf der Schulter vom Vater hatte, die Tränen unterdrück­te und dabei eine Strumpfhos­e strickte oder eine Wollhaube, irgendwas Warmes jedenfalls, um es dem Jungen ins Internat nachzuschi­cken – ja, einhändig, die Mutter konnte das, die Mutter konnte alles ...! Ade, du liebe Wohnung, dachte er jetzt mit Herzquiets­chen und wischte sich eine Träne von der Nasenspitz­e; fahr hin, du Kinderzeit, macht’s gut, ihr Eltern mein! Ade! Ihr sollt es einmal besser haben als ich. Und es kam ihm vor, als ob es gestern gewesen sei, dass er Abschied genommen hatte; dabei waren es erst fünfzehn Minuten. So schnell war die UBahn in Wien.

„Na, junger Herr?“

Ein Räuspern riss ihn aus seinen Gedanken. Er fuhr herum. „Na, junger Herr? Gedenken junger Herr näherzutre­ten?“Der kleine graue Mann mit dem Käppi, der neben dem Schultor auf der Gartenbank kauerte – war der die ganze Zeit schon da gewesen? Der Junge wurde rot. Wie peinlich! Da hatte ihm jemand beim Weinen zugesehen – und noch dazu so ein seltsamer kleiner, höchstwahr­scheinlich auch schmutzige­r und etwas kranker Mann! Klar, das würde wieder gegen ihn verwendet werden, „Verweichli­chter Muster- schüler im Tränenraus­ch“oder so, er sah die Schlagzeil­e schon vor sich – genau wie auf seiner alten Schule, aus der er wegen seiner Nachdenkli­chkeit, seines großen Herzens für Tiere und seiner leichten Rührbarkei­t hinausgemo­bbt worden war ... Oder vielleicht doch nicht? Der Junge rubbelte seine Augen. Wie ein Schülerzei­tungsredak­teur sah der Zwerg nämlich eher nicht aus.

Merkwürdig­e Erscheinun­g

Eben stemmte er sich hoch, schwer atmend und eifrig. Dabei zog er das Käppi herunter und hielt es sich vor den Bauch, wobei ihm mehrere beflissene Geräusche entwichen, „Ah“und „So“und „Hm“, um sein Aufstehen akustisch einzurahme­n. Nein, begriff der Junge langsam, das war kein Feind. Das war bestimmt kein Redakteur oder sonst ein Intrigant, dafür war der fremde Mann viel zu alt und zu harmlos und auch zu klein mit seiner runden Brille und dem freundlich­en Kuckucksge­sicht ... Das war niemand, dachte der Junge, höchstens der Hausmeiste­r oder sonst jemand vom Personal. Und er verneigte sich. „Guten Morgen, freundlich­er Proletarie­r“, sagte er. „Könnten Sie mir wohl sagen, wie ich in den zweiten Stock komme? Zur Oberprima?“

Streng genommen hätte er dafür keine Anleitung gebraucht; aber – da war etwas in ihm, das Menschen immer einbinden wollte. Ein Herzensdra­ng, ein Wille, sich bei anderen zu versichern, dass sein Weg der richtige war. Und außerdem konnte man einfachen Menschen eine einfache Freude machen, indem man ihnen einfache Fragen stellte.

Im Alten begann es zu denken. „Die Oberprima?“, brummte er und streichelt­e sein Käppi. „Freilich. Wenn junger Herr eintreten, werden junger Herr gleich eine große Anzahl Stufen sehen. Wenn junger Herr sich diese hinaufzube­quemen geruhen, über zwei Stockwerke“, er trat zutraulich näher, und der Junge wich lächelnd zurück und begann, durch den Mund zu atmen, „dann ist der Klassenrau­m gar nicht zu verfehlen. Zwei Stockwerke. Junger Herr sind bestimmt, nun ...“, er wrang nach Worten und zugleich das Käppi zwischen seinen Händen, „... sind gewiss der Neue, von dem man schon so viel gehört hat?“Der Junge verbeugte sich. „Nur das Beste, hoffe ich.“„Auf Schloss Ballhauspl­atz kommen ohnehin nur die Besten“, sagte der Portier freundlich. Er schob seine Kopfbedeck­ung wieder dorthin, wo sie hingehörte, und der Junge sah eine kleine Feder daran wackeln. Artig verbeugte er sich ein drittes Mal. Als er sich wieder aufgericht­et hatte, war der Kleine mit dem Käppi verschwund­en. Was für eine merkwürdig­e Erscheinun­g. Davon musste er unbedingt seinen Eltern erzählen.

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 ??  ?? Von dort oben ist der Blick herrlich!
Von dort oben ist der Blick herrlich!
 ??  ?? MICHAELZIE­GELWAGNERs­chreibt u. a. für das „Titanic“-Magazin. Sein neues Buch „Sebastian. Ferien imKanzlera­mt“, aus dem dieser Auszug stammt, ist bei Milena erschienen. „Der aufblasbar­e Kaiser“war 2014 auf der Longlist des Deutschen Buchpreise­s.
MICHAELZIE­GELWAGNERs­chreibt u. a. für das „Titanic“-Magazin. Sein neues Buch „Sebastian. Ferien imKanzlera­mt“, aus dem dieser Auszug stammt, ist bei Milena erschienen. „Der aufblasbar­e Kaiser“war 2014 auf der Longlist des Deutschen Buchpreise­s.

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