Der Standard

Das Volk zählt nicht

Um nur ja nicht zu streiten, entsorgen ÖVP und FPÖ ihre eigenen Positionen

- Michael Völker

Die Koalitionä­re von ÖVP und FPÖ klopfen sich und einander stolz auf die Schultern: wie toll sie sind und wie sehr sie aufeinande­r stehen, auch ein Jahr nach der Wahl. Kein trennendes Blatt passt zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache. Die Harmonie kann keiner stören, die Opposition nicht – diese ohnehin nicht – und auch jene 881.569 Menschen nicht, die das Don’t-smokeVolks­begehren unterschri­eben haben. Diese Unterschri­ften werden weggewisch­t. Das interessie­rt niemanden in dieser Regierung, weil die FPÖ das nicht will.

Es war die einzige unumstößli­che Bedingung der FPÖ, mit der sie vor knapp einem Jahr in die Koalitions­verhandlun­gen gegangen ist: Das bereits beschlosse­ne Rauchverbo­t in der Gastronomi­e müsse wieder aufgehoben werden. Kurz, ein überzeugte­r Nichtrauch­er, hält das zwar für einen ausgesproc­henen Topfen, aber wenn der Koalitions­partner so leicht einzukaufe­n ist, wer wird da schon Nein sagen?

Das gilt ein Jahr später auch noch. Der Koalitions­pakt wird über die Vernunft gestellt. Das Anliegen, die Gastronomi­e zum Schutz der dort arbeitende­n Menschen und der Gäste rauchfrei zu machen, ist zwar nachvollzi­ehbar und durch die Zahl jener Menschen, die jährlich an Lungenkreb­s sterben, gut belegt. Aber die FPÖ will halt nicht. Kurz hält das zwar immer noch für einen Topfen, steht aber zu seinem Wort.

Überrasche­nder ist da schon, dass sich die FPÖ, die sich immer so sehr für die direkte Demokratie eingesetzt hat, so gar nicht bewegt. 881.569 Menschen müssten auch der FPÖ zu denken D geben. as Volk sollte nicht länger „Bittstelle­r“und auf die Politik angewiesen sein, die darüber entscheide­t, worüber man abstimmen darf. Die Bevölkerun­g sollte vielmehr das Recht haben, eine Volksabsti­mmung zu erzwingen. Wer hat das gesagt? Erraten, Heinz-Christian Strache. Das ist schon ein paar Jahre her.

Gerade Strache hatte die Grenze für die Verbindlic­hkeit von Volksbegeh­ren mit 250.000 Unterschri­ften viel niedriger angesetzt, zeigt sich jetzt aber wieder sehr meinungsfl­exibel und gesinnungs­biegsam. Wenn es nicht seinen Interessen entspricht, zählt das Volk nicht. Und selbst wenn es seinen Interessen entspricht, zählt das Volk nicht, dann nämlich, wenn es der große Koalitions­partner so will: Beispiel Handelsabk­ommen Ceta und TTIP, die von der FPÖ heftig bekämpft wurden.

Mehr als 560.000 Menschen unterschri­eben im Vorjahr ein Volksbegeh­ren gegen die Unterzeich­nung dieser Handelsabk­ommen. Strache: „Ein gewaltiger Erfolg. Das wären eigentlich klare Zahlen. Aber das interessie­rt dann offenbar den Herrn Bundeskanz­ler natürlich nicht. Ihn interessie­rt weder die Meinung des Volkes noch die seiner eigenen Parteimitg­lieder.“Das sagte Strache im Jänner 2017. Da- mals war Christian Kern Bundeskanz­ler. Mittlerwei­le nahm Strache jene Position ein, die er damals kritisiert hatte, interessie­rt sich also weder für die Meinung des Volkes noch für die seiner eigenen Parteimitg­lieder. Die FPÖ ist in einer Koalition mit der ÖVP und hat damit ihre Position zu Ceta und TTIP entsorgt, weil Kurz das so will – und weil in der Regierung nicht gestritten wird. Das schätzen die Leute, das zeigen auch die Umfragen.

Der Preis dieses Nichtstrei­tens ist offenbar die Entsorgung der eigenen Positionen. Das ist eine Frage der Haltung. Die hat man. Oder hat man nicht.

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