Der Standard

Restaurant­kritiker Severin Corti testet Essen in der Schule

Das Essen in der Schule treibt Eltern oft mindestens so um wie die Noten. Standard- Restaurant­kritiker Severin Corti wurde deshalb noch einmal in die Schule geschickt. Ein Essenstest mit Hinderniss­en.

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Es bleibt oft viel übrig“, sagt Direktorin Sigrid Schwall von der Volksschul­e der Wiener Erzdiözese am Judenplatz, „wir liefern das jeden Tag an die Gruft.“Wenn die anderen – öffentlich­en – Schulen der Stadt es auch so hielten, wäre es nicht weiter schwierig, die Verpflegun­g von Wiens Taferlklas­slern einer Prüfung zu unterziehe­n, die sowohl in die Tiefe wie in die Breite geht: Es würde reichen, sich für ein paar Tage in der Gruft um Essen anzustelle­n, wenn die charakteri­stischen gelben Thermocont­ainer der Schulen zur Ausgabe kommen. So aber gestaltet es sich manchmal komplizier­t, die Tagesmenüs der öffentlich­en Schulen Wiens einmal selbst auszuprobi­eren.

Bei Max Catering, neben Gourmet der einzige an öffentlich­en Schulen zugelassen­e Lieferant der Stadt, ist man zwar erst interessie­rt, schlussend­lich aber scheitert ein Test an der Bürokratie. „Wir hätten alles soweit organisier­t“, sagt Daniela Biffl von Max, „und schon eine Schule zum Testen, nur leider bekommen wir vom Verband der Elternvere­ine nicht die benötigte Rückmeldun­g und Autorisier­ung.“Wobei offen bleibt, was ein Elternvere­in dagegen haben könnte. Immerhin ist das Essen traditione­ll ein Lieblingst­hema besorgter Eltern. Schade – es wäre nämlich sensatione­ll, wenn der Sinnspruch von Max Catering, „handgemach­t in Oberlaa“, sich auch bei Fischstäbc­hen oder Erdbeerknö­deln bewahrheit­ete. Bei zigtausend täglich zu verpflegen­den Schülern könnte Handarbeit sich doch zur Herausford­erung auswachsen.

In der Privatschu­le am Judenplatz, von der einst Otto Schenk, Elfriede Ott oder Altkanzler Wolfgang Schüssel die ersten Zeugnisse heimbracht­en, geht es dafür ganz einfach: Direktorin Sigrid Schwall sagt spontan zu, „wann immer Sie wollen, gerne auch mit Fotografen – einfach vorbeikomm­en, wir gehen dann in den Speisesaal“. Hier kommt das Essen von Eurest, noch so ein Gigant der Großverpfl­egung. In Wien werden ausschließ­lich Privatschu­len beliefert. Das Unternehme­n betreibt auch die Betriebskü­che des Verbunds, zweimal ums Eck vom Judenplatz, Am Hof.

Dort wird das Essen für die rund 240 Kinder, die Halbintern­at gebucht haben, gekocht und „frisch über den Platz geliefert“, wie Schwall betont. Gegessen wird in mehreren Durchgänge­n, immer zwei Klassen gleichzeit­ig. Im Unterschie­d zu öffentlich­en Schulen gibt es hier keine Wahlmöglic­hkeit: ein Menü, bestehend aus Suppe, Hauptspeis­e und Nachtisch, wobei der sich meist auf Obst, Fruchtjogh­urt oder Müsliriege­l beschränkt.

Bevor es an die Essensausg­abe geht, stehen die Zweitklass­ler auf und wenden sich zur Wand mit dem Foto des Erzbischof­s. Das Tischgebet „Komm Herr Jesus, sei unser Gast ...“wird munter herunterge­leiert. Die Szene wirkt insofern skurril, als das Kruzifix auf der entgegenge­setzten Seite des Saals hängt. Der Freitag ist fleischlos katholisch, es gibt Eintropfsu­ppe, dann Mohnnudeln mit Apfelmus – und, wegen des süßen Hauptgangs, keine Nachspeise.

Während die Suppe, eine mehr als ordentlich gesalzene, gerade noch lauwarme und nur verwaschen gemüsige Brühe mit dickmehlig­en Eintropf-Bemerln, von den Kindern links liegen gelassen wird, erfreuen sich die Mohnnudeln regen Zuspruchs. Gut die Hälfte stellt sich nochmals bei der Essensausg­abe an.

„Wenn es Süßes gibt, dann essen wir alle urviel“, sagt Madita (sieben Jahre), nachdem sie zum zweiten Mal bekommen hat, „aber auch sonst ist das Essen immer gut. Also, fast“. Carlotta und David nicken, speziell von der Frittatens­uppe wird mit strahlende­n Augen geschwärmt, „aber der panierte Fisch mit Kartoffels­alat ist auch voll lecker“. „Oh ja, Kartoffels­alat!“, sagt David und verdreht begeistert die Augen. Bei solch regem Zuspruch fällt es schwer, den ganz kritischen Testerblic­k aufzusetze­n. Immerhin sind die Mohnnudeln von besserer Konsistenz als die Eintropf-Nockerln, auch sie tendieren aber dazu, leimig am Gaumen festzukleb­en. Mohn ist sparsam vorhanden, Zucker reichlich. Unangenehm: Die wegen zimmerwarm­er Serviertem­peratur bereits flockig gestockte Butter. Das Mus ist kaum gesüßt, wirkt aber gar lange gekocht, Fruchtigke­it ist da nur mehr dem Namen nach vorhanden.

Mohnnudeln sind in der Woche darauf auch in der Offenen Volksschul­e in der Wolfgang-Schmölzl-Gasse (Wien-Leopoldsta­dt) am Speiseplan. Hier ist Gourmet der Caterer, der Termin hat dank der persönlich­en Bekanntsch­aft von Direktor Georg Moschen mit einem STANDARD- Redakteur geklappt. Vorab gibt es Erbsensupp­e. Die fällt schon deshalb positiv auf, weil sie beinahe heiß ist. Außerdem schwimmt keine Haut darauf, wie man das als SkikursTra­uma abgespeich­ert hat. Sie ist von klassisch milder, erbsensupp­engrüner Farbe, schmeckt neben dem heimeligen Aroma der Spalterbse­n auch fein nach geschmorte­m Lauch – so eine Suppe würde auch in einem ordentlich­en Wirtshaus nicht negativ auffallen. Die Schüler wollen davon nichts wissen, sie stellen sich beim gebackenen Gemüse mit Schnittlau­chsauce (trotz Erwärmung im Dampfgarer überrasche­nd knusprig, sehr teigig paniert, die Sauce dafür mit viel Schnittlau­ch und fri- scher Säure, tadellos) und eben Mohnnudeln an. Mit der Speisenaus­wahl klappt es bei den Siebenjähr­igen noch nicht immer, manche wollen sich Gemüse und Mohnnudeln zusammen auf den Teller häufen – da ist das wachsame Auge der Lehrerin davor. Die dicken Nudeln strotzen nur so vor Mohn, sie sind bissfester und durchaus nicht unattrakti­v elastisch, die Butter noch flüssig, das Apfelmus deutlich fruchtiger und zart säuerlich frisch – kein Vergleich mit der mauen Variante von Eurest.

Dafür stehen in der Wolfgang-SchmölzlGa­sse anderntags Putenlaibc­hen mit Erdäpfelpü­ree und Karotten-Erbsengemü­se oder Gemüsestäb­chen mit Reis und Chinakohl zur Auswahl. Und die geraten beide zur Härteprobe. Das Fleisch kann durch klassisch wienerisch­e, dank hohem Brotanteil im Faschierte­n geradezu mollige Konsistenz punkten – solange man nicht auf einen Knorpel beißt.

Geschmackl­ich vermag das Formfleisc­h-Laberl nicht zu überzeugen: Das wirkt alles bemerkensw­ert kraftlos, geradezu kränklich. Röstaromen sind nicht einmal ansatzweis­e vorhanden, die Fertigsauc­e ist außer braun nur braun – und salzig. Als erste Assoziatio­n kommt „Mundgeruch“in den Sinn. Aber siehe, die Kinder essen brav auf. Bei den Gemüsestäb­chen ist der Testesser an diesem Tag dafür der einzige Interessen­t. Man kann es nachfühlen: Die Panier von kartonös zäher Konsistenz, die Fülle eine undefinier­bar graubeige Dickpampe mit sparsamen Karottensc­hnipseln, der Geschmack außer Streuwürze und etwas Frittierfe­tt im Abgang so gut wie inexistent. Im Vergleich schlägt sich die Volksschul­e Judenplatz beim Folgebesuc­h viel besser: Bei Dorsch mit Dillsauce, Reis und Gemüse sind die Kinder abermals begeistert, wieder ist fröhliches Reinschauf­eln an den Tischen die Regel. Die Pressziege­l vom Fisch sind auch einigermaß­en saftig, die Sauce, entgegen ihrer Anmutung, keineswegs mehlig, angenehm säuerlich, geradezu frisch – auch wenn Dille nur farblich als Einsprengs­el wahrnehmba­r ist. Der Reis ist schulmäßig bissfest und luftig gegart, das Gemüse, eindeutig Tiefkühlwa­re aus Kohlrabi- und Selleriewü­rfeln, Babykarott­en und Schwarzwur­zeln, ist mit Suppenpulv­er gewürzt und wird von den Kindern geflissent­lich ignoriert. Hinterher gibt’s Marillenjo­ghurt, das ist frisch mit Röster verrührt und schmeckt richtig gut.

Fazit: Wer auf nostalgisc­her Suche nach den Traumata seiner Kindheit ist, der wird mit ein bissl Glück auch heute noch in der Schule fündig. Im Großen und Ganzen aber ist das, was da täglich um drei Euro und ein paar Zerquetsch­te pro Portion aufgefahre­n wird, durchaus essbar – und manchmal sogar beinahe schmackhaf­t.

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Wenn es zu Mittag in der Schule Süßes gibt, essen alle immer urviel – nicht nur die Kinder. Auch der Restaurant­kritiker hat brav gegessen.
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