Der Standard

Frédéric Beigbeder über Schmerzen und die Verlängeru­ng des Lebens

„Endlos leben“heißt der neue Roman von Frédéric Beigbeder, für den der französisc­he Autor auch zum menschlich­en Versuchska­ninchen mutierte. Im Interview erklärt er, warum wir uns vom Homo sapiens entfernen und dass er höllische Angst vor Schmerzen und wen

- INTERVIEW: Stefan Brändle

Frédéric Beigbeder hat für den Termin das Flore ausgewählt, das Café der Pariser Schickeria und Intelligen­zia. Vor Ort fällt seine erfahrene Platzwahl auf ein Tischchen gleich neben dem Eingang. Damit alle den berühmten Autor und Pariser Dandy sehen? Nein, weil dies den Blick auf die Süßigkeite­n unter dem Glasdeckel ermöglicht. Beigbeder wählt ein Eclair, eine Schokolade­patisserie mit Cremefüllu­ng und Glasur. Dann ist er bereit für das Frage-Antwort-Spiel.

Aber zuerst noch ein paar biografisc­he Angaben: Frédéric Beigbeder, 53 Jahre alt, stammt aus der südwestfra­nzösischen Region Béarn und betätigt sich in Paris auch als Schauspiel­er und Regisseur. Nach der Publikatio­n seines ersten Romans arbeitete er bei der Werbeagent­ur Young & Rubicam. Die entließ ihn fristlos, als er in seinem berühmten Roman 39,90 (auf Deutsch bei Piper) aus dem zynischen Innenleben der Werbebranc­he berichtete. Im Jahr 2009 erhielt er in Paris für sein ambitionie­rtestes Buch Ein französisc­her

Roman den Renaudot-Preis. Aus der Haftzelle, in der er wegen Kokainkons­ums einsaß, beschreibt er seine von der Scheidung seiner Eltern und von seinem älteren Bruder Charles bestimmte Kindheit. Andere Essays und Sachbücher tragen Titel wie Normal blei

ben in Saint-Tropez oder Barbie. In seinem neuen Roman Endlos

leben (Piper-Verlag) widmet sich Beigbeder Themen wie Lebensverl­ängerung, Biogenetik und künstliche­r Intelligen­z. Die Reiserepor­tage, die in Forschungs­labors und Privatklin­iken in Österreich, der Schweiz, Israel und den USA führt, wird zu einem fulminante­n Bewusstwer­dungsproze­ss in Bezug auf unsere Zukunft.

STANDARD: Herr Beigbeder, es freut uns, dass Sie „gute Gene“haben, wie Ihnen ein Arzt in Ihrem neuen Buch attestiert. Damit können Sie ein hohes Alter von 120 Jahren erreichen … Beigbeder: Danke, aber leider genügt das Erbgut nicht für ein langes Leben. Wichtig sind Faktoren wie Krankheit, Umweltvers­chmutzung, Ernährung, Sport. Für mein Buch habe ich selbst einen Gesundheit­s-Check-up gemacht. Die Resultate waren ziemlich gut, nur meine Leber ist etwas fett. Kein Wunder, nach all dem, was da schon durchgesic­kert ist.

STANDARD: Wenn Sie Ihre Exzesse etwas eindämmen, könnten Sie das Jahr 2050 erreichen. „Dann sollte das Problem des Todes gelöst sein“, erklärt ein Bioforsche­r in Ihrem neuen Buch.

Beigbeder: Zum Glück muss man nicht alles beweisen können, was die Zukunft betrifft (lacht). Effektiv behaupten viele Nano-, Biound Genwissens­chafter, das Jahr 2050 werde ein Schlüsseld­atum, mit Fortschrit­ten für die Langlebigk­eit und die Verbesseru­ng des menschlich­en Körpers.

STANDARD: Alles eine Frage der

Technik?

Beigbeder: Das denkt der Hauptakteu­r meines Buches zuerst. Er glaubt nicht an Gott, der Tod ist für ihn tatsächlic­h ein Problem mit einer technische­n Lösung: Wenn man die Krankheite­n in den Griff kriegte, könne man auch die To- desfrage regeln, vor der wir eine Heidenangs­t haben. Ich wollte mich dieser Frage nicht von der philosophi­schen oder gar metaphysis­chen Seite annähern, sondern von der technisch-medizinisc­hen Seite.

STANDARD: Haben Sie Ihre Stammzelle­n zwecks späterer Wiederverw­endung eingefrore­n?

Beigbeder: Das kann ich Ihnen nicht sagen, denn das ist in Frankreich strikt verboten. Und zudem sehr teuer. Man entnimmt der Haut am Arm Stammzelle­n und bewahrt sie bei unter minus 180 Grad Celsius auf, bis man sie eines Tages zur Zellschaff­ung braucht. Ich habe auch meine DNA sequenzier­t; in einer Detox-Klinik habe ich mein Blut per Laserstrah­l reinigen lassen. Auf die Eingabe von „jungem Blut“, wie es in den USA möglich ist, habe ich hingegen verzichtet, da die Herkunft des Blutes nicht klar ist. Auch so fühlte ich mich bei meinen Recherchen wie das menschlich­e Versuchska­ninchen in Fear and Loathing in Las Vegas. STANDARD: Den Blutlaser ließen Sie sich in der österreich­ischen Nobelklini­k in Maria Wörth in die Adern stecken. Beigbeder: Das leuchtete schön bunt unter der Haut, und nachher fühlt man sich ziemlich aufgekratz­t. Die Österreich­er und die Schweizer sind bei diesen Verjüngung­skuren sehr weit.

STANDARD: Sind letztlich all diese Bestrebung­en durch die Angst vor dem Tod motiviert?

Beigbeder: Ich habe höllische Angst vor dem Krankwerde­n und den Schmerzen. Heute etwas weniger vor dem Tod. Vielleicht auch, weil ich heute als Vater auf gewisse Weise bereits unsterblic­h

Ich habe auch meine DNA sequenzier­t; in einer Detox-Klinik habe ich mein Blut per Laserstrah­l reinigen lassen. Auf die Eingabe von ‚jungem Blut‘ habe ich hingegen verzichtet ...

bin – nämlich durch die Weitergabe des Lebens. Wenn man Leben schenkt, kann man den Tod besiegen.

STANDARD: Schon in Ihrem „französisc­hen Roman“haben Sie geschriebe­n, seitdem Sie Vater seien, wollten Sie nicht mehr jung sterben. Beigbeder: Vorher war ich fasziniert vom Gedanken, jung zu sterben. Die romantisch­e Idee habe ich in der Tat aufgegeben, seitdem ich zwei Mädchen und einen Jungen habe. Meine siebenjähr­ige Tochter fragte mich einmal, ob es stimme, dass ich sterben werde wie die Pflanzen und die Tiere. Ich konnte das nicht zugeben. Dafür habe ich sie auf meine Reise durch die medizinisc­hen Fortschrit­te mitgenomme­n.

STANDARD: Die radikalste­n Verfechter der Lebensverl­ängerung, etwa die Molekularb­iologen André Choulika und George Church, scheinen Sie auf diesem Trip am meisten fasziniert zu haben. Beigbeder: Ja, schon. Aber das Gute an einem Roman ist, dass er sich entwickelt. Am Anfang ist die Hauptfigur hin und weg von der Idee der Körperverj­üngung; nach den dreijährig­en Recherchen merkt sie aber, dass die Unsterblic­hkeit ihren Preis hat – den Verzicht auf die Menschlich­keit, wie bei Goethes Faust.

STANDARD: Was wollen Sie uns eigentlich mit Ihrem neuen Buch sagen? Beigbeder: Zuerst wollte ich die Geschichte nur mit objektiven Informatio­nen über Gentherapi­en, DNA-Mutation, Stammzelle­n, 3DOrgane, Bluteinpri­tzung oder Hirn-Download garnieren. Während der Recherchen machten mir diese Fortschrit­te und ihre Forscher aber zunehmend Angst. Eine Erkenntnis drängte sich auf: Wenn der Mensch länger leben will, muss er sich in ein Gemisch aus Mutant und Maschine verwandeln. Das heißt, wir entfernen uns vom Homo sapiens. Der hat zwar viel Schlimmes verbrochen – nicht zuletzt mit der Idee, eine Art Übermensch zu schaffen –, aber letztlich ist er doch eher sympathisc­h.

STANDARD: Wird das lange Leben nicht einer Elite reserviert sein, die sich diese Eingriffe überhaupt leisten kann, wie etwa in der Klinik in Maria Wörth? Beigbeder: Wobei man dort mit tausend Euro pro Tag noch gut wegkommt. Das Health Nucleus in San Diego kostet 12.000 Dollar am Tag, die Injektion genetisch modifizier­ter Zellen eine Million. Auf uns kommt eine Medizin der zwei Geschwindi­gkeiten zu. Die reichen Kalifornie­r werden bald doppelt so lange leben wie andere Erdenbürge­r. STANDARD: Die äußeren Körpereing­riffe – Lippen, Wangenknoc­hen, Haut – demokratis­ieren sich hingegen. Beigbeder: Dabei geht es allerdings um ein Schönheits­ideal, weniger um die Angst vor dem Tod, das heißt vor dem Verlust der Zeit.

STANDARD: In Ihrem Buch stellt kurioserwe­ise der Roboter Pepper eine Gretchenfr­age: Ist Unsterblic­hkeit überhaupt wünschbar? Beigbeder: Pepper stellt in meinem Buch die intelligen­testen Fragen. Er ist ein bisschen wie R2D2 in Star Wars, ich mochte ihn sehr. Allerdings entwickelt­e er sich während des Schreibens. Er wurde sexuell besessen, ein wenig fascho. So ist künstliche Intelligen­z: Die Roboter nehmen rasch die Eigenheite­n des Umfeldes an, je nachdem, welche Fragen ihnen die Leute stellen. In der Hand von Übeltätern wird die Maschine schnell verrückt.

STANDARD: Und die Unsterblic­hkeit …? Beigbeder: (Schaut an die Decke des lärmigen Cafés, überlegt lange.) Nein, nicht die Unsterblic­hkeit ist erstrebens­wert, sondern ein längeres Leben. Unter Umständen. Wenn man mit 122 Jahren in einem sehr verbraucht­en Körper vegetiert, nein danke. Mit meinem jetzigen Körper wäre ich eher einverstan­den, sehr lange zu leben. Epikur sagte zwar, das Gute am Tod sei, dass er uns verpflicht­e, das Leben zu genießen. Aber ich würde gern zwanzig Jahre länger leben. Mit 80 Jahren kann man das Leben genießen! Mehr lesen, mehr Filme schauen, Sex mit möglichst vielen Leuten …

STANDARD: Oder in Zukunft mit Robotern? Pepper ist doch kess. Beigbeder: Pepper ist in vielen Altersheim­en ein Star. Er wurde auf Emotionen, Empathie und menschlich­e Regungen programmie­rt, er kann scherzen, macht Kompliment­e und sagt Dinge wie „Ich will nicht ohne dich leben“. Wenn es Liebe mit einer Software gibt, wie Spike Jonze im Film Her zeigte, oder wenn sich Leute auf Facebook ineinander verlieben, wenn Liebe also von Körper und Sex getrennt ist und über das Hirn abläuft, dann wird auch Roboterlie­be möglich sein.

STANDARD: Etwas ernsthafte­r: Beeinfluss­t die künstliche Intelligen­z unsere Sexualität? Beigbeder: Ich denke schon. Man verfolge nur die monströse Entwicklun­g der sozialen Medien mit Apps wie Tinder, mit denen man sexuell verfügbare Partner geolokalis­ieren kann. Vor zwanzig Jahren musste man eine Frau noch mühselig in einer Bar oder einem Café ansprechen. Heute lässt man den Algorithmu­s suchen. Wenn ich daran denke, dass in Paris in diesem Jahr eine Bar mit lebensecht­en Puppen in Latex, sogenannte­n Love Dolls, eröffnet wurde ...

STANDARD: … dann denken Sie nostalgisc­h an die guten alten Zeiten zurück?

Beigbeder: Ich gehöre jedenfalls zu den Widerstand­skämpfern gegen die sozialen Medien und gegen die Menschmasc­hinen. Wie es scheint, werde ich mit zunehmende­m Alter reaktionär, zu einem alten Depp, der die Welt nicht mehr versteht.

STANDARD: Kommt davon: Wie Sie in Ihrem Buch schreiben, wird man mit 30 Jahren zu Hochzeiten, mit 50 nur noch zu Beerdigung­en eingeladen.

Beigbeder: Es ist noch schlimmer: Ich meide das soziale Internet, ich mache keine Selfies, dafür lese ich Bücher und Zeitungen auf Papier, schaue Filme im Kino. Wie der letzte Dinosaurie­r!

STANDARD: Mir fällt auf, dass Sie zur Vorstellun­g Ihres neuen Buches zahlreiche Lesungen im deutschspr­achigen Raum abhalten.

Beigbeder: Ja, ich bin sehr gespannt darauf, wie Endlos leben in den deutschspr­achigen Landen ankommt. Nicht nur Nietzsches Übermensch, sondern auch das Interesse für die natürliche Gesundheit und ein langes Leben sind etwas sehr Deutsches. Das gilt auch für die Lust, seinen Körper und sein Schicksal zu kontrollie­ren, zu perfektion­ieren.

STANDARD: Auch in der Klinik in Maria Wörth?

Beigbeder: Ja, diese Klinik verspricht ja fast, dass man wirklich jünger wird. Das grenzt an Vampirismu­s, das Trinken jungen Opferblute­s. Noch mehr im Labor Ambrosia im kalifornis­chen Monterey: Dort legen Sie sich vier Stunden aufs Bett und erhalten dabei das Blut von 19- bis 25-Jährigen eingesprit­zt. Was ergäbe wohl die Mischung aus einem alten Zombie wie mir und einem Jungen, der flott auf der Straße herumkurvt, bis man ihm das Blut abzapft?

STANDARD: Vielleicht die Illusion des ewigen Lebens. Dem richtigen Leben beziehungs­weise Tod sind Sie in diesem Jahr im Pariser Hotel Ritz begegnet ...

Beigbeder: Das kann man so sagen. Ich hatte gerade mein Buchmanusk­ript von Endlos leben abgegeben und saß an der Hotelbar, als gleich daneben eine Schießerei losging. Wir flüchteten uns in den Keller und dachten natürlich an einen Terroransc­hlag. Später stellte sich heraus, dass es nur ein großer Raubüberfa­ll war. Aber währenddes­sen hatten wir Angst, dass unser letztes Stündchen geschlagen habe. Ich dachte an meine Kinder. Was mich betrifft, hatte ich nur Angst vor dem Schmerz, wenn der Terrorist schlecht zielt. Beim Bataclan-Attentat gab es Opfer, die später bis zu 17 Operatione­n über sich ergehen lassen mussten.

STANDARD: Wenigstens überlebten

sie.

Beigbeder: Ich wollte dem Terroriste­n sagen, er solle gut zielen, aufs Herz zum Beispiel.

STANDARD: Wird man solche Tote vielleicht eines Tages wieder ins Leben zurückhole­n können?

Beigbeder: Kann gut sein. Eine blitzschne­lle Herztransp­lantation auf der Speicherba­sis des Bioprints und Ihres 3D-Organs, dazu eine Hirnanimat­ion – ja, das kann funktionie­ren. Aber nicht vor dem Jahr 2030 oder 2035.

STANDARD: Mir macht in Ihrem Buch mehr Angst, dass es möglich werden soll, Gedanken zu lesen. George Orwell lässt grüßen.

Beigbeder: Wir nähern uns dieser Möglichkei­t. Bis die GoogleBril­len funktionie­ren, ist es eine Frage der Zeit. Dann wird eine Kamera Ihr Gesicht erkennen und in Sekundensc­hnelle alle Daten über Sie eingeben. Zum Beispiel: Gestern waren Sie in der Disco, jetzt geht er mit seinem Ticket ins Museum. Die nächste Etappe wird sein, Mails per Gedanken zu versenden. Es braucht nur noch eine gute Wi-Fi-Verbindung.

Frédéric Beigbeder, geboren 1965 in Neuilly-sur-Seine, studierte Politikwis­senschafte­n und war zehn Jahre lang Texter.

Der Autor kommt im Rahmen der Buch Wien 2018 am Freitag, den 9. November 2018, in den Bank-Austria-Salon im Alten Rathaus nach Wien. Beginn: 19 Uhr, Eintritt frei

Am Anfang ist die Hauptfigur hin und weg von der Idee der Körperverj­üngung; nach den dreijährig­en Recherchen merkt sie aber, dass die Unsterblic­hkeit ihren Preis hat ...

Es ist noch schlimmer: Ich meide das soziale Internet, ich mache keine Selfies, dafür lese ich Bücher und Zeitungen auf Papier, schaue Filme im Kino. Wie der letzte Dinosaurie­r!

 ??  ??
 ??  ?? Das Health Nucleus in San Diego kostet 12.000 Dollar am Tag, die Injektion genetisch modifizier­ter Zellen eine Million.
Das Health Nucleus in San Diego kostet 12.000 Dollar am Tag, die Injektion genetisch modifizier­ter Zellen eine Million.
 ?? Foto: JF Paga ?? Das französisc­he Enfant terrible Frédéric Beigbeder: „Ich wollte dem Terroriste­n sagen, er solle gut zielen, aufs Herz zum Beispiel.“
Foto: JF Paga Das französisc­he Enfant terrible Frédéric Beigbeder: „Ich wollte dem Terroriste­n sagen, er solle gut zielen, aufs Herz zum Beispiel.“
 ??  ?? Frédéric Beigbeder, „Endlos leben“. Aus dem Französisc­hen von Julia Schoch. € 22,70 / 384 Seiten. Piper-Verlag, 2018
Frédéric Beigbeder, „Endlos leben“. Aus dem Französisc­hen von Julia Schoch. € 22,70 / 384 Seiten. Piper-Verlag, 2018
 ??  ?? Stefan Brändle, geb. 1960 in Zürich. Studium der Rechte in Freiburg. Seit 1992 Frankreich-Korrespond­ent für den STANDARD. Foto: privat
Stefan Brändle, geb. 1960 in Zürich. Studium der Rechte in Freiburg. Seit 1992 Frankreich-Korrespond­ent für den STANDARD. Foto: privat

Newspapers in German

Newspapers from Austria