Der Standard

ZITAT DES TAGES

Kommt der Zirkus in die Stadt, ist es, als sei ein Ufo gelandet, sagt RoncalliCh­ef Bernhard Paul. Er erklärt, warum Zirkus in Zeiten von Netflix und Youtube noch immer funktionie­rt. Und was das mit Erotik zu tun hat.

- INTERVIEW: Bettina Pfluger

„Rot darf nur im Zelt drinnen sein, weil die Farbe einen aufwühlt. Deswegen sind Theater und Puffs innen auch rot.“

Schon als Kind wollte Bernhard Paul zum Zirkus. Ein Traum, den er sich Jahre später erfüllt hat. Seine aktuelle Show kommt erstmals ohne Tiere aus. Auch Plastik wurde verbannt.

STANDARD: Wann waren Sie zum ersten Mal im Zirkus? Paul: Mit sechs Jahren.

STANDARD: Was hat Sie damals gefangen genommen? Paul: Die Erotik.

STANDARD: Die Erotik? Paul: Ja. Ich durfte ganz vorn sitzen. Über mir war eine Trapezküns­tlerin, die einen Spagat in Netzstrump­fhosen gemacht hat. Das ist mir in Erinnerung geblieben. Die Clowns haben mich auch fasziniert. Die Ponys auch. Seiltänzer weniger, da hatte ich Angst, dass einer runterfäll­t. Aber dieser Blick von unten nach oben, den habe ich mir gemerkt.

STANDARD: Was hat Sie an den Clowns fasziniert? Paul: Jemand, der Menschen zum Lachen bringen kann, das ist für mich etwas Tolles. Die Kinder vom Zirkusdire­ktor, der damals bei uns gastierte, saßen für die paar Tage in der Schule neben mir. Deswegen durfte ich auf das Gelände. Damals saß ich auf der Wohnwagent­errasse, und der Vater, der auch Clown war, saß neben mir. Wir haben Spaghetti gegessen, die Sonne hat gescheint, draußen gingen Elefanten vorbei und Leute mit Goldbordür­en am Kostüm. In meinem Hirn habe ich das idealisier­t, weil so schön war es ja nicht.

STANDARD: Wie war es denn? Paul: Damals waren es für mich die schönsten Salonwohnw­agen, geschnitzt und verziert. Später habe ich Fotos gesehen; die waren ganz einfach. Ich habe das nicht realisiert, wie es war, sondern, wie ich es sehen wollte. Die Illusion und die idealisier­te Form des Zirkus habe ich dann realisiert. Es wurde in meinem Kopf über die Jahre immer schöner, goldiger und perfekter. Als Grafiker hatte ich auch mit Perfektion und Ästhetik zu tun.

STANDARD: Bevor Sie Clown und Zirkusdire­ktor wurden, haben Sie auch „was G’scheits“gelernt ... Paul: Es gab immer mehrere Dinge, die mich fasziniert haben. Zirkus als Kind besonders. Aber auch Musik, Architektu­r und Technik. Ich habe zuerst Hoch- und Tiefbau studiert. Das konnte ich für den Zirkus später gut brauchen. Die Kuppel beim Zelt geht elektrisch auf und zu. Das habe ich erfunden. Ich habe auch einen Spezialwag­en gebaut für unser Orchester, der sich hydraulisc­h nach vorn abhebt. Grafik und Design kann ich auch gut brauchen. Das alles hat sich scheinbar zufällig ergeben. Aber ich glaube nicht an Zufälle.

STANDARD: Gab es einen Auslöser für den Entschluss, Clown zu werden und einen Zirkus zu gründen? Paul: Es war die Wiederholu­ng. Ich war damals bei GGK und habe eine Kampagne für ein Produkt gemacht. Ich war 28 und habe mir gedacht, es kann nicht sein, dass ich bis zur Pension Produkte be- werbe. Es war die Zeit der Beatles und Rolling Stones. Die Zeit von Gurus und Seele baumeln lassen. Damals hab ich mir gedacht: Ich steige aus, gründe einen Zirkus, fahre in die Urlaubsgeb­iete rund um die heimischen Seen, und die Touristen kommen. Da hatte ich ein sehr romantisch­es Bild davon.

STANDARD: Und dann? Paul: Kam alles anders. Ruck, zuck sind wir beim größten Kulturfest­ival in Deutschlan­d gestanden. Die Zeit und die Süddeutsch­e haben Interviews gemacht. Ich wollte zurück und bin nach vorn.

STANDARD: Haben Sie Roncalli von null weg gegründet, oder gab es damals eine Truppe, die einen neuen Chef suchte? Paul: Ich habe bei null begonnen. Habe erst einen Wagen gekauft und dann noch einen.

STANDARD: Wo kauft man einen Zirkuswohn­wagen? Paul: In Wilhelmsbu­rg hat ein Rom seinen Wagen stehen lassen und musste ihn loswerden. Ich wollte ihn haben. Wir hatten damals eine Gemeindewo­hnung, also stand der Wagen zwei Jahre herum und verfiel immer mehr. Das hat mir sehr weh getan, weil er so schön war. Später habe ich gehört, dass in der Lobau ein alter Zirkuswage­n als Schreberga­rtenhaus steht. Ich bin hin, habe ihn gesehen und gekauft. Ich wollte den Wagen in meinen damaligen Garten stellen, und der ist ums Arschlecke­n nicht durch das Tor gegangen. Also habe ich ihn auf dem Campingpla­tz gegenüber zwischenge­parkt. In Deutschlan­d bin ich immer aufs Oktoberfes­t, da waren 30 Schaustell­er, und zehn davon wollten immer was verkaufen. So habe ich über die Jahre die Wagen zusammenge­kauft und nach und nach restaurier­t. Ich habe in einer Halle noch gut 50 Wagen stehen, die restaurier­t gehören. Auch alte Würstelstä­nde und Lokaleinri­chtungen habe ich zusammenge­tragen.

STANDARD: Roncalli sitzt in Deutschlan­d. Warum? Paul: Roncalli hat sein Bühnenlich­t in Bonn erblickt. Dort waren wir mehrmals ausverkauf­t, haben verlängert und sind geblieben. Im Jahr darauf haben wir für die Wiener Festwochen gespielt und großen Erfolg gehabt. Beim Abholen des Geldes hat die damalige Chefin zu mir gesagt, dass der Sinowatz (Fred, ehemaliger Minister für Unterricht und Kunst, Anm.) ihnen das Budget gekürzt hatte, woraufhin man uns die Gage kürzen wollte. Da bin ich mir so verarscht vorgekomme­n. Ich habe die Hälfte bekommen, konnte gerade so die Artisten zahlen. Auf dem Rest blieb ich sitzen. Dann habe ich beschlosse­n: Ich gehe weg.

STANDARD: Wien hat Sie später mit der Prater-Neugestalt­ung ein zweites Mal enttäuscht. Paul: Ja. Der damalige Bürgermeis­ter Helmut Zilk wusste, was ich alles gesammelt habe, und hat gesagt: Das muss nach Wien. Dann war der Wechsel zum Häupl, und er hat das Projekt an Grete Laska abgegeben. Ich habe ein Konzept eingereich­t und gewonnen. Und dann höre ich, dass ein Franzose, der in Frankreich den Schlumpfpa­rk gestaltet hat, den Auftrag bekommen hat. Jetzt steht halt bemaltes Styropor dort. Es war dann ja auch ein Riesenfina­nzskandal.

STANDARD: Wie wird man Clown? Paul: Das hat mit Ausbildung nicht viel zu tun. Ein Grock oder Charlie Rivel waren in keiner Schule. Die Clowns, die aus einer Schule kommen, sind keine Clowns, sondern Klons. Meine Wurzeln habe ich in der Commedia dell’arte.

STANDARD: Bei Zirkus denkt man oft an einen familienäh­nlichen Bund, der miteinande­r reist. Artisten werden heute aber weltweit eingekauft. Paul: Es hat sich im Laufe der Jahrhunder­te viel geändert. Früher wurden die Wagen vom Pferd von A nach B gezogen, und es war mehr innerfamil­iär. Russische oder chinesisch­e Artisten hat man wegen des Eisernen Vorhangs ja gar nicht bekommen. Dabei hatten die Russen Nummern, wo sich unsereins gefragt hat: „Wow, wie geht denn das?“Heute haben wir Artisten aus der ganzen Welt im Programm. Einige kommen zu uns oder schicken ein Video, andere entdecken wir. Wir haben eine eigene Casting-Abteilung, die Festivals von Kuba bis Moskau besucht und Acts anschaut.

STANDARD: Gibt es auch ein Wettbieten um Artisten und Nummern? Paul: Es kann schon sein, dass sich alle an jemanden, den man nicht kennt und der beim Festival in Paris stehende Ovationen bekommt, ranmachen. Die Artisten erkundigen sich mittlerwei­le schon auch, welcher Zirkus welchen Ruf hat.

STANDARD: Geht ein Clown eigentlich in Pension? Paul: Nicht solange er gehen kann. Es kommt darauf an, was er macht. Wenn er jetzt Salti springt, wird er später nur noch gehen, aber immer noch komisch sein. Ein Clown hat diesbezügl­ich ein recht günstiges Verfallsda­tum. Artisten machen Hochleistu­ngssport. Das geht nur, solange sie fit sind.

STANDARD: Sie vereinen im Zirkus aktuell 28 Nationen. Wie funktionie­rt das gemeinsame Leben? Paul: Wir schauen nicht auf die Nation, sondern auf das, was einer kann. Nation, Religion, Hautfarbe sind wirklich das Unwichtigs­te. Was die Leute können und wie sie als Mensch sind, ist wichtig. Die Integratio­nsdebatte geht nur auf die Nation. Das greift zu kurz. Bei uns funktionie­rt das. Gesprochen wird oft ein Mix aus Sprachen. Notfalls gibt’s auch Pantomime.

STANDARD: Wie erklären Sie sich das Faszinosum Zirkus in Zeiten von Netflix, Youtube und Co? Paul: Die Konkurrenz ist groß, keine Frage. Aber beim Zirkus ist alles live. Die spielen jetzt nur für mich. Zirkus ist auch etwas Unstetes. Der steht plötzlich da, als ob ein Ufo gelandet wäre. Dann gibt es eine Zauberwelt, aber nur auf Zeit. Es gibt Musik, Essen, Trinken. Die ganze Zirkusarch­itektur und farbliche Abstimmung spielt hier mit. Rot darf nur im Zelt drinnen sein, weil die Farbe einen aufwühlt. Deswegen sind auch Theater und Puffs innen rot. Die Leute kommen in unsere Welt und sagen: Jö, das ist schön. Das ist schon mehr, als man zu erwarten hat.

STANDARD: Der Zirkusfunk­e ist auf Ihre Kinder übergespru­ngen. Ihre zwei Töchter stehen in der Manege, Ihr Sohn ist im Management. Was haben Sie ihnen geraten? Paul: Das Geheimnis ist, dass man sagt: „Mach, was du willst“– dann machen sie das Richtige.

STANDARD: Also machen Sie sich keine Sorgen, was den Fortbestan­d Roncallis anbelangt? Paul: Es ist umgekehrt. Wenn ich nix sage, machen sich die Kinder Sorgen. Sie kommen und sagen: Papa, schau mal, wir sollten das so und so machen – da merke ich, dass sie sich informiere­n und mitdenken. Die Kinder sagen, sie leben hier im Paradies, und das wollen sie erhalten. Ich schreibe ihnen nichts vor. Das Einzige, worauf ich hoffe, ist, dass sie am Puls der Zeit bleiben. Sie haben einmal gesagt: „Unser Vater wird große Fußstapfen hinterlass­en. Aber wir sind ja zu dritt, wir werden sie füllen.“

Rot darf nur im Zelt drinnen sein, weil die Farbe einen aufwühlt. Deswegen sind Theater und Puffs innen auch rot.

 ??  ?? Ein Leben für den Zirkus: Bernhard Paul hat den Circus Roncalli gegründet. Seine Sinnsprüch­e lauten: „Alles, was man mit Liebe macht, wird auch geliebt“und „Wer nicht brennt, kann nicht entzünden“.
Ein Leben für den Zirkus: Bernhard Paul hat den Circus Roncalli gegründet. Seine Sinnsprüch­e lauten: „Alles, was man mit Liebe macht, wird auch geliebt“und „Wer nicht brennt, kann nicht entzünden“.

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