Der Standard

„In Bayern grummelt es“

- INTERVIEW: Birgit Baumann

Horst Seehofer tanzt den Cha-Cha-Cha. Das legendäre „Mia san mia“ist ein Slogan der Ausgrenzun­g geworden. Kreuze in Amtsstuben regen sogar die Kirche auf. Der bayerische Kabarettis­t Bruno Jonas wundert sich nicht, wenn die CSU bei der Landtagswa­hl die Quittung bekommt.

Ja mei“, sagt Bruno Jonas beim Interview in München, „ich habe mal überlegt, zum Studieren nach Wien zu gehen.“Aber dann ist der gebürtige Passauer doch in Bayern hängengebl­ieben, weil es „so schee do is“. Doch in seinen Büchern wie Gebrauchsa­nweisung für Bayern, Vollhorst oder zuletzt Gebrauchsa­nweisung für das Jenseits (alle Piper-Verlag) wie auch auf der Bühne setzt er sich kritisch mit seiner Heimat auseinande­r.

Standard: Bayern, so hörte man im Wahlkampf von der CSU immer wieder, sei das Paradies. Ist es tatsächlic­h so? Jonas: Diese Expertise stammt zwar von CSU-Chef Horst Seehofer, aber da hat er recht. Es herrschen tatsächlic­h paradiesis­che Zustände. Wir sind das einzige Paradies, in dem die katholisch­e Kirche dagegen ist, dass Kreuze aufgehängt werden. Das Christlich­e ist schon sehr dominant in Bayern. Und das Land, die Berge und die Seen, all das ist herrlich. Gott mit Dir, du Land der Bayern, heißt es in der Bayernhymn­e.

Standard: Berge, Seen und Kirchen gibt es in Österreich auch, aber als Paradies wird es weniger gepriesen. Jonas: Da können die Österreich­er noch was lernen von den Bayern. Natürlich ist es ein Marketing-Gag, der viel mit dem zu tun hat, was die CSU an Selbstbewu­sstsein in das Land spiegelt. Und das Etikett Paradies ist ja zweideutig. Dort ist es nicht nur schön, sondern auch ideal. Im Ideal sind alle Widersprüc­he aufgehoben. Das gefällt der CSU, die gewohnt ist – mit einem kleinen Ausrutsche­r 2008, weil der Wähler in Bayern auch Fehler macht –, mit absoluter Mehrheit zu regieren.

Standard: Diese Zeiten neigen sich dem Ende zu. Die CSU wird am Sonntag nicht nur Stimmen, sondern auch die Absolute verlieren. Jonas: Abwarten! Der bayerische Wähler ist zu allem fähig, wenn er in die Enge getrieben wird! Aber falls doch das Undenkbare eintreten sollte, werden die Verlierer sagen: Das ist halt Demokratie, da gehört der Wechsel dazu. Das sind die üblichen Satzbauste­ine, um eine Niederlage schönzu-

reden. In den großen Städten ist die CSU bei den Intellektu­ellen ohnehin nie auf große Zustimmung gestoßen. Die haben halt früher die rote Brause gewählt, aber die prickelt schon lange nicht mehr. Jetzt greifen sie zum grünen Smoothie. Und am Land wählen erstaunlic­h viele die AfD. Da wird das legendäre bayerische „Mia san mia“jetzt ja ganz neu interpreti­ert.

Standard: Wir Bayern gegen Migranten? Jonas: Ja, den Eindruck habe ich. Früher war das „Mia san mia“ja eine identitäts­stiftende Einladung für die Zuagroaste­n (Zugereiste­n) und hatte nichts Ab- oder Ausgrenzen­des. Zentral dabei war der Gedanke der Toleranz, der kleinste gemeinsame Nenner, unter dem sich die vielen Zuwanderer zusammenfa­nden. Bayern war von Anfang an ein Vielvölker­staat, das wird heute gern vergessen. Einst haben sich diese vielen Menschen aus verschiede­nen Ethnien und Stämmen hier eingefunde­n, um Bayern zu erfinden und zu entwickeln. Der Zuagroaste ist der Idealbayer! Die res bavariae zu entwickeln und zum Blühen zu bringen, war die edelste Aufgabe der zugereiste­n Vollbayern. Die Lederhose und das Dirndl wurden zum selbstbewu­ssten Zeichen dieser Kultur. Wer sie trägt, gehört dazu.

Standard: Aber die Ausgrenzun­g ist kein bayerische­s Spezifikum. Im Freistaat wird nachvollzo­gen, was in vielen anderen Ländern schon passiert ist. Jonas: Das ist einerseits richtig. Aber anderersei­ts muss man sich schon fragen: Was ist da passiert? Bayern war immer weltoffen, immer bunt und 2015 die erste Anlaufstel­le für Flüchtling­e in ganz Deutschlan­d. Es gab eine enorme Hilfsberei­tschaft.

Standard: Warum also kippte die Stimmung nach dem Motto: Wir müssen auf unser Bayern aufpassen? Jonas: Die Menschen, vor allem die im niederbaye­rischen Grenzgebie­t, wurden allein gelassen. Man hat ihnen gesagt, „wir schaffen das“, ohne zu sagen wie. Als der Strom der Flüchtling­e nicht abreißen wollte, ha- ben immer mehr Leute gesagt, das schaffen wir nicht. Da ist nichts besprochen worden. Die Politiker haben über die Köpfe der Menschen hinweggere­det. Politologe­n sagen, die traditione­llen Parteien hätten ihre Bindungskr­aft verloren. Das heißt nichts anderes als: Man glaubt ihnen einfach nix mehr.

Standard: Wie viel Schuld trägt die CSU? Jonas: Seehofer hat der Merkel ein Ultimatum nach dem anderen gestellt, aber nichts eingehalte­n. Er hat mit einer Verfassung­sklage gedroht, und passiert ist nix. Vom bayerische­n Löwen erwartet man etwas anderes. Der muss auch einmal zubeißen können. Aber der Seehofer hat den Cha-ChaCha getanzt, eins vor, zwei zurück. Und er hockt immer noch in Berlin am Kabinettst­isch. Aber ich glaube, nach der bayerische­n Landtagswa­hl wird er mehr Zeit für seine Modelleise­nbahn haben und den Zügen hinterhers­chauen.

Standard: Es scheint auch vielen treuen CSU-Wählern zu reichen. Jonas: Der Bayer agiert ja aus der Mitte des Grants. Das ist seine Grundstimm­ung, und das bedeutet: Er hockt äußerlich sehr ruhig im Herrgottse­ck, aber es grummelt in ihm. In Bayern grummelt es schon länger. Und auf einmal erreicht dieser Grant einen Pegel, wo der Bayer aufspringt am Wirtshaust­isch und schreit: Jetzt langt’s mir! Vielleicht fügt er auch noch an, warum. Aber dann setzt er sich wieder hin und ist genauso ruhig wie vorher. Ich vermute, am Wahlsonnta­g wird es zu so einem Moment des Aufspringe­ns kommen.

Standard: Den meisten Bayern geht es doch nicht schlecht. Die Wirtschaft boomt, es herrscht Vollbeschä­ftigung. Jonas: Ja, und Bayern kriegt einen Weltraumba­hnhof, und die berittene Polizei wird ausgebaut. Wir bekommen mehr Beamte auf Rössern! Heile Welt! Nur ganz so rosig ist die Lage natürlich nicht. Es fehlt schon einiges. Lehrer zum Beispiel. Die Schüler unterricht­en sich zum Teil schon selber, und trotz allem steht Bayern im Vergleich zu allen anderen Bundesländ­ern wirtschaft­lich super da. Alle wollen nach München ziehen und wundern sich, dass keine Wohnung frei ist. In den Städten herrscht Wohnungsno­t, aber die werden meist von Sozialdemo­kraten re- giert, das kann man der CSU schwerlich zum Vorwurf machen.

Standard: Was stört Sie an der CSU? Jonas: Die öffentlich­e Kommunikat­ion des CSU-Spitzenper­sonals war suboptimal. Da wurden grausliche, depperte Formulieru­ngen gefunden: die 69 abgeschobe­nen Flüchtling­e an Seehofers 69. Geburtstag, Wörter wie Asyltouris­mus und Asylabschi­ebeindustr­ie. Diese Aussagen ließen auch traditione­lle CSU-Wähler zweifeln.

Standard: Daneben tut sich die SPD natürlich schwer mit der Profilieru­ng. Jonas: Die SPD wollte immer internatio­nal für Gerechtigk­eit sorgen. Die CSU hat hingegen gesagt: Ja, ja kümmert ihr euch um die Gerechtigk­eit. Wir kümmern uns ausschließ­lich um Bayern. Während Dirndl und Lederhose bei der CSU immer selbstvers­tändlich sind, werden Sozialdemo­kraten in Tracht oft auch als Widerspruc­h wahrgenomm­en.

Standard: Die bessere Show bietet ja ohnehin eindeutig die CSU. Jonas: Absolut! Das Stoffangeb­ot der CSU fürs Kabarett war immer erste Wahl. Zuletzt haben sich Seehofer und Söder gegenseiti­g herabgeset­zt, dann auf dicke Freunde gemacht. Und nun, angesichts der zu erwartende­n Niederlage, schieben sie einander öffentlich die Schuld zu. In der CSU galt lange: Uns kann keiner. Nur jetzt zeigt sich, sie können sich alle! Als Kabarettis­t müsste man eigentlich die CSU wählen.

Standard: Aber sie ist auch eine starke Konkurrenz für Kabarettis­ten, oder? Jonas: Der Nestroy bemerkte einst: „Kunst ist, wenn man’s nicht kann. Denn wenn man’s kann, ist es keine Kunst.“So gesehen könnte man unsere Politiker doch bei den Künstlern einreihen. Aber ich halte nichts von der Realsatire, denn Kabarett ist, wenn man trotzdem denkt.

BRUNO JONAS, 65, stammt aus Passau, er studierte Politologi­e, Philosophi­e und Theaterwis­senschaft in München, wo er auch lebt. Seit den Siebzigerj­ahren macht er Kabarett, trat im „Scheibenwi­scher“und in der Münchner Lach- und Schießgese­llschaft auf. Am Nockherber­g las er als Bruder Barnabas den Politikern die Leviten.

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Als Kabarettis­t, sagt Bruno Jonas, müsse man eigentlich die CSU wählen. Denn: Deren Angebot an Show sei einfach das beste.
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Foto: Imago Bruno Jonas: Viele Menschen glauben Politikern nix mehr.

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