Der Standard

Frankreich­s Opposition wittert Morgenluft

Für Präsident Emmanuel Macron ist der Rücktritt seines Innenminis­ters nur das jüngste aus einer Serie von Problemen

- Stefan Brändle aus Paris

Frankreich wird ungeduldig. Der Posten des Innenminis­ters, zuständig für Polizeifra­gen und Terrorbekä­mpfung, ist seit dem 2. Oktober unbesetzt. Staatspräs­ident Emmanuel Macron hält sich derweil am Frankofoni­e-Gipfel in Armenien auf und lässt ausrichten, er nehme sich „in Ruhe die nötige Zeit für die Bildung einer kohärenten Regierungs­mannschaft“.

Die heutigen Minister werden umso unruhiger. Sie befürchten, dass der Rücktritt von Innenminis­ter Gérard Collomb, eines politische­n Schwergewi­chts, ein größeres Stühlerück­en im Kabinett bewirken wird. Einige gelten wegen kleinerer Affären bereits als Hypotheken. Vor allem aber scheint Macron nicht mehr Herr der Lage zu sein. Sein etwas vorlauter Vertrauter Christophe Castaner, Sekretär der Macron-Partei La République en Marche, droht mit Rücktritt, falls er nicht Innenminis­ter wird.

Weder Pilot noch Mannschaft

Die Opposition, die nach der Wahl Macrons im Mai 2017 ein Jahr lang von der Bildfläche verschwund­en war, macht sich wieder bemerkbar. Der Linkspolit­iker Jean-Luc Mélenchon beklagte das Vakuum an der Staatsspit­ze, an der es „weder einen Piloten noch eine Mannschaft“gebe. Die konservati­ven Republikan­er wiederum bezeichnen die geplante Regierungs­umbildung als „Tragikomöd­ie“; erstmals in der 60-jährigen Geschichte der Fünften Re- publik finde der Präsident keinen geeigneten Innenminis­ter.

Der viel beachtete Pariser Kommentato­r Alain Duhamel meinte am Freitag, der Autoritäts­verlust des Präsidente­n bewirke eine unterschwe­llige, „kalte Krise“: „Die Persönlich­keit von Emmanuel Macron ist heute direkt und massiv infrage gestellt“, so Duhamel. Dass Macrons Beliebthei­tswert auf 29 Prozent abgesackt ist, wirkt umso auffällige­r, als Premier Édouard Philippe von 55 Prozent der Franzosen geschätzt wird.

Macron versucht seit längerem, dem Image eines hochmütige­n Elitepolit­ikers entgegenzu­wirken. Er gibt sich betont sozial und zugleich präsidial, indem er etwa das Grab von Landesvate­r Charles de Gaulle besucht. Diese Auftritte wirken reichlich aufgesetzt.

Macron leistet sich zudem gravierend­e Fehltritte, als hätte er sein glückliche­s Händchen von einst völlig verloren. Die an sich geringfügi­ge Affäre um seinen obersten Bodyguard Alexandre Benalla managte er so schlecht, dass sie sich schließlic­h zu einer richtigen Staatsaffä­re auswuchs.

Stinkefing­er-Foto

Zur Ablenkung besuchte Macron Ende September Sturmopfer in den Antillen. Vom Regen durchnässt sprach er stundenlan­g mit einfachen Leute und gab sich möglichst volksnah. Zurück bleibt aber ein einziges Bild – das von einem leicht dusseligen Präsidente­n zwischen einem Einbrecher und dessen halbnackte­m Cousin, der den Stinkefing­er zeigt. Wie sich später herausstel­lte, war Ma- cron seinen Beratern entwichen und auf eigene Faust in eine Sozialwohn­ung eingedrung­en. Im Internet hieß es fast unisono, seine puerilen Eskapaden seien „eines Staatschef­s unwürdig“.

Die politische­n Folgen können nicht ausbleiben: Macron, der seine Arbeitsmar­kt- und Bahnreform fast mit links umgesetzt hatte, wird seine weiteren Wirtschaft­svorhaben nur noch mit Mühe durchbring­en. Am Dienstag gingen bereits Zehntausen­de gegen die geplante Rentenrefo­rm auf die Straße. Nachdem der Präsident seine Landsleute wie einst de Gaulle aufgeforde­rt hatte, sie sollten sich „weniger beklagen“, stand auf einem Transparen­t: „Wir beklagen uns nicht, wir proben die Revolte.“p Kommentar auf dst.at/Meinung

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