Der Standard

Brexit und Irland – An Europas explosiver Grenze

Der EU-Austritt der Briten hängt vor allem an der Lösung der Grenzfrage in Irland

- Christoph Prantner aus Ravensdale

Wer wissen will, wo die Grenze zwischen Irland und Nordirland verläuft, muss auf die Schilder der Feuerwerks­verkäufer achten. Jetzt, vor Halloween, fahren viele Iren hierher in den Norden, um Kracher einzukaufe­n. Im Süden sind sie verboten. Hinter dem ersten Werbeplaka­t beginnt der Norden, Ulster. Müsste man sich ein Symbol für die derzeit explosivst­e Grenze in Europa ausdenken, es ließe sich kein besseres finden.

Ravensdale ist ein verschlafe­nes Nest auf dem halben Weg zwischen Dublin und Belfast. Hier wird sich zeigen, ob die EU und Großbritan­nien einen einigermaß­en geordneten Brexit über die Bühne bringen oder ob die Angelegenh­eit komplett entgleitet.

Bis zum Karfreitag­sabkommen vor 20 Jahren war die Grenze hier schwer befestigt, der Nordirland­konflikt zwischen protestant­ischen Unionisten und irisch-nationalis­tischen Katholiken hatte die Insel fest im Griff. 3500 Menschen kamen bei Kämpfen und Anschlägen zwischen 1969 und 1998 ums Leben.

„Nach dem Abkommen haben wir hier alles demilitari­siert und die Grenze unsichtbar gemacht. Wir müssen unbedingt sicherstel­len, dass wir jetzt nicht wieder Zeichen aufstellen, die auf die geteilten Identitäte­n hinweisen“, sagt Pat Hynes. Er arbeitet seit Jahrzehnte­n als Mediator. Am Freitag erklärte er Europamini­ster Gernot Blümel (ÖVP) die Sensibilit­ät des Problems. Denn tritt Großbritan­nien aus der EU und der Zollunion aus, macht das ein hartes Grenzregim­e in Ravensdale nötig. Daran könnte sich der Konflikt wieder entfachen. Die Menschen von damals leben noch, die Emotionen und auch die Waffen sind noch da.

Hinweise darauf gibt es bereits: Seit dem Brexit-Referendum ist die Zahl der sichtbar aufgezogen­en Union Jacks in Nordirland deutlich gestiegen, auch die Angriffe auf Polizisten haben erstmals wieder zugenommen. „Das Potenzial für Gewalt ist noch da“, sagt Hynes.

Tragisches Problem

„Das Problem ist eine europäisch­e Frage“, erklärt unterdesse­n Blümel. Niemand wolle eine harte Grenze, auch nicht eingefleis­chte EU-Gegner im Vereinigte­n Königreich. Aber sie könnte womöglich „auf fast tragische Weise“unvermeidb­ar werden. Geschehe dies, sei es eine „Katastroph­e“.

Die österreich­ische Präsidents­chaft versichert­e den Iren jedenfalls die Unterstütz­ung der 26 Partner in den Verhandlun­gen mit den Briten. Beobachter sagen, dies sei das erste Mal in der Geschichte, dass Dublin stark gegenüber London auftreten könne.

Dort versucht Premiermin­isterin Theresa May einen Kompromiss – zunächst in ihrer Regierung – zu finden. Irland gilt als der größte Stolperste­in für die Austrittsv­erhandlung­en, die in der kommenden Woche beim Rat in Brüssel in die Endphase gehen werden. Verkompliz­iert wird die Sache auch dadurch, dass May von den zehn Abgeordnet­en der nordirisch­en Democratic Unionist Party abhängig ist. Diese unsicheren Kantoniste­n sichern ihr die Mehrheit in Westminste­r – für die Gegenleist­ung von einer Milliarde Pfund an Förderunge­n für Nordirland. Die Reise erfolgte zum Teil auf Einladung des Europamini­steriums.

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Treffen an der Problemgre­nze: Irlands Staatsmini­ster Jim Daly, der österreich­ische EU-Minister Gernot Blümel, Mediator Pat Hynes (v. li.).

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