Der Standard

Der neue balkanisch­e Abwehrwall zu Mitteleuro­pa

Im bosnischen Kanton Una-Sana an der Grenze versuchen viele Migranten, illegal nach Kroatien zu gelangen. Sie leben oft im Freien und werden von der Polizei immer wieder zurückgesc­hickt.

- Adelheid Wölfl aus Kulen Vakuf

Die Tage haben immer den gleichen Rhythmus. In Kulen Vakuf kann man sich darauf verlassen, dass sich die Enten in der Una abkühlen, dass der Muezzin ruft und dass der Bus jeden Tag am Nachmittag und Abend nicht nur die Arbeiter aus Bihać bringt, sondern auch die Migranten, die versuchen von dem bosnischen Dorf durch die Wälder über die Grenze nach Kroatien zu kommen.

Die jungen Männer mit den bunten Rucksäcken gehen meist in Gruppen von vier, fünf Leuten über die Brücke. Der gemütliche bosnische Polizist lehnt derweilen in aller Ruhe am Geländer. Viele kommen am Abend wieder zurück, wenn die kroatische Polizei sie im Wald aufgegriff­en hat. Dann nehmen sie wieder den Bus zurück nach Bihać. Ein, zwei Tage später versuchen sie es wieder.

Viele sagen, die Migranten seien ihnen lieber als die arabischen Touristen, weil Letztere angeblich kein Benehmen an den Tag legen würden. Angeblich wollen einige Touristen nicht mehr kommen, um nicht mit den Migranten verwechsel­t zu werden. Es gibt aber auch Bosnier, die sich über die Flüchtling­e beschweren, weil La- dendiebstä­hle zugenommen hätten. Etwa 4500 Migranten befinden sich im Kanton Una-Sana, die meisten in den Städten Velika Kladuša und Bihać.

Zwei Jahre in Griechenla­nd

Der größte Anteil von ihnen sind Pakistaner, die kaum eine Chance haben, in Europa Asyl zu bekommen. Viele von ihnen waren vor zwei, drei Jahren in Griechenla­nd, und sie versuchen nun, in Frankreich oder in Großbritan­nien unterzutau­chen. In Serbien lebten vor zwei, drei Jahren eben- falls tausende Pakistaner, nachdem die Balkanrout­e geschlosse­n worden war. Weil die Behörden beweisen konnten, dass diese Migranten zuvor aus Bulgarien gekommen waren, wurden viele von dort nach Pakistan geflogen.

Etwas Ähnliches ist im Fall von Bosnien-Herzegowin­a kaum möglich. Der Staat hat keine Rücküberna­hmeabkomme­n. Bisher konnte die Internatio­nale Organisati­on für Migration nur 24 Migranten helfen, in ihre Herkunftsl­änder zurückzuke­hren. Insgesamt kamen heuer etwa 11.000 Migranten nach Bosnien, die meisten sind nicht mehr im Land. Bisher gab es nur 709 Asylansuch­en in Bosnien-Herzegowin­a. Offiziell dürfen die Migranten ansonsten nur 14 Tage im Land bleiben, aber viele sind nun bereits seit Monaten hier.

Berichte über Schläge

Die Polizei an der kroatische­n Grenze geht mit Härte gegen illegale Grenzübert­ritte vor. Migranten berichten immer wieder von Schlägen. Viele werden in Kroatien aufgegriff­en und wieder zu- rück an die bosnische Grenze gebracht. Dort schießen die Polizisten dann oft in die Luft.

Die bosnisch-kroatische Grenze ist schon seit Monaten zum neuen Migrantena­bwehrwall der EU geworden. Manche werden zehnmal zurückgebr­acht. In Velika Kladuša leben sie in Zelten auf einem Feld namens Trnovi, in Bihać in einem verlassene­n Studentenh­eim namens Borići.

Die sanitären Zustände sind erbärmlich, viele Migranten werden deshalb krank. In Trnovi kam es im Sommer zu Gewalt zwischen Migranten – 15 Personen wurden verletzt. Lokale und internatio­nale NGOs haben Engpässe, wenn es um die Versorgung mit Essen und Medikament­en geht. Viele fürchten nun die winterlich­e Kälte. Besonders bedürftige Migranten – etwa Familien mit Kleinkinde­rn – sind in einem alten Hotel in Cazin untergebra­cht. Dort haben aber höchstens 400 Leute Platz.

Grenze als Chance

Die EU-Kommission hat 1,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, weil die bosnischen Behörden auch finanziell überforder­t sind. Die meisten Migranten wollen allerdings in Bosnien nicht in den dafür vorgesehen­en Flüchtling­szentren bleiben, weil sie lieber in der Nähe der Grenze auf ihre Chance warten.

Hier an der Una sieht man viele alte Burgen und Befestigun­gsanlagen auf den Hügeln stehen. Sie stammen noch aus der osmanische­n Zeit, als sich hier die Militärgre­nze zu Österreich-Ungarn befand. Damals konnte man als Besucher nur sehr schwer ins Osmanische Reich hinein. Heute kommt man als Fremder nur mehr sehr schwer aus Bosnien heraus.

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Bei Regen verschlimm­ert sich die Situation auf dem Feld nahe Bihać, wo Migranten campen.

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