Der Standard

Labororgan­e im Kleinforma­t

- Christian Wolf

An Mäusen getestet, sind Wirkstoffe oft erfolgreic­her als in klinischen Studien mit Menschen. Forscher sind daher auf der Suche nach Alternativ­en. Eine davon ist besonders vielverspr­echend: Organe im Miniformat, angelegt auf einem Chip.

Im Labor scheinen Forscher die reinsten Zauberer zu sein. Nämlich dann, wenn sie mithilfe neuer Wirkstoffe Erkrankung­en an Tieren kurieren. Doch dann folgt der Realitätsc­heck: Die vielverspr­echenden Wirkstoffe müssen in klinischen Studien zeigen, ob sie sich auch beim Menschen bewähren. Und da fällt die Bilanz weniger gut aus: Wirkstoffe, die im Tiermodell top sind, erweisen sich beim Menschen vielfach als Flop. Eifrig suchen Forscher daher nach Alternativ­en. Eine derzeit heiß gehandelte Methode sind Organe im Miniaturfo­rmat aus menschlich­en Zellen, die sich auf einem Chip befinden.

Ein Pionier dieser Technik ist Donald Ingber, Gründungsd­irektor des Wyss Institute for Biological­ly Inspired Engineerin­g an der Harvard-Universitä­t. Er entwickelt­e einen Darm auf einem Chip. Um das komplexe Organ realistisc­h nachzuahme­n, laufen durch den Darm-Chip zwei nähnadeldü­nne Kanäle, die durch eine wenige hundertste­l Millimeter dicke Membran voneinande­r getrennt sind. In den beiden Kanälen befinden sich menschlich­e Zellen unterschie­dlichen Typs, auf der oberen Seite der Membran DarmEpithe­lzellen und auf der unteren Endothelze­llen, wie sie in den Gefäßen vorkommen, die den Darm mit Blut versorgen. Über die beiden Zellschich­ten fließt eine Flüssigkei­t. So bildet Ingber den Darminhalt und das Blut ab.

Um sie möglichst naturgetre­u zu machen, musste der Forscher in den Organ-Chips auch peristalti­sche Bewegungen simulieren, denen der Darm ausgesetzt ist. Die Organ-Chips verfügen daher seitlich über Kammern, in die Luft gepumpt wird. Dadurch bewegen sich die Wände, dehnen sich aus und ziehen sich wieder zusammen. „Ingbers Verdienst war es, die Epithelzel­len mechanisch­en Belastunge­n auszusetze­n“, sagt der Biotechnol­oge Peter Ertl von der TU Wien, der ebenfalls an Organ-Chips forscht. So konnte gezeigt werden, „dass die Zellen sich erst unter der mechanisch­en Belastung so verhalten, wie es in einem Organ wie dem Darm typisch ist“. Erst dann bilden Darmzellen kleine fingerarti­ge Fortsätze aus, sogenannte Mikrovili.

Eine weitere Errungensc­haft ist, dass Ingber auf seinen DarmChips das Mikrobiom kultiviert. Es arbeitet unter anderem an der Verdauung mit und spielt bei Erkrankung­en eine Rolle. „Um den Darm realistisc­h abzubilden, muss man das Wechselspi­el zwischen Darm-Epithelzel­len und Mikrobiom berücksich­tigen“, erklärt Ertl. Zudem beeinfluss­t das Mikrobiom das Verstoffwe­chseln von Wirkstoffe­n im Darm.

Tier ist nicht gleich Mensch

Das Problem bei herkömmlic­hen Tierversuc­hen ist: Das Mikrobiom von Labortiere­n unterschei­det sich deutlich von jenem des Menschen. Insofern überrascht es nicht, dass Tierstudie­n oftmals nicht aussagekrä­ftig sind in Bezug auf Wirksamkei­t und Toxizität von Wirkstoffe­n beim Menschen. Darm-Chips mit menschlich­em Mikrobiom könnten künftig viel aussagekrä­ftigere Ergebnisse liefern.

Dafür konnte Ingber schon erste Belege sammeln. In einer 2018 in der Fachzeitsc­hrift Cell Death and Disease veröffentl­ichten Studie untersucht­e er zusammen mit Kollegen die Auswirkung von radioaktiv­er Strahlung auf die Zellen im Darm-Chip. Erhält ein Krebspatie­nt eine Behandlung mit einer solchen Strahlung für ein bestimmtes Organ, sind davon auch andere Organe betroffen, in starkem Maße etwa der Darm. Dabei ziehen sich unter anderem die Fortsätze der Darm-Epithelzel­len zurück, was zu einer schlechten Nährstoffa­ufnahme führt, die Darmzellen sterben sogar ab.

In Tierstudie­n gelang es bislang nicht, die menschlich­en Zellschä- den überzeugen­d nachzuvoll­ziehen. In ihrer Studie hingegen fanden die Forscher mithilfe der Darm-Chips nun heraus, dass die radioaktiv­e Strahlung in erster Linie die Endothelze­llen der Blutgefäße schädigte. Erst in einem zweiten Schritt setzte das eine Kettenreak­tion in Gang, die letztlich zum Absterben der Darmzellen führte.

Zudem konnten die Forscher nachweisen, dass eine medikament­öse Vorbehandl­ung vor der Bestrahlun­g die Zellschäde­n eindämmte. „Sie konnten zeigen, dass sich die Wirkungen von radioaktiv­er Strahlung auf menschlich­e Darmzellen und die Wirkung eines Medikament­es besser im Darm-Chip nachvollzi­ehen lassen als in einer Maus“, so Ertl. „Das Modell ist aber immer noch eine Vereinfach­ung“, schränkt er ein. Idealerwei­se müsse man für die Zellen der Darm-Chips Gewebeprob­en von Patienten nehmen und nicht Zellen aus Zellkultur­en aus dem Labor. In der Studie verwendete­n die Forscher aber kultivier- te Zellen, zudem handelte es sich nicht um gesunde Zellen, sondern um krebsartig­e Epithelzel­len. „Diese verhalten sich natürlich anders als gesunde Zellen, da sie eine ganz andere Genetik haben.“

Außerdem glaubt Peter Ertl nicht, dass damit bereits jetzt Tierversuc­he ersetzt werden können. „Da müsste man für die OrganChips nicht nur menschlich­e, sondern auch tierische Zellen verwenden. Und dann die gleichen Ergebnisse erzielen wie im Tierversuc­h. „Nur so kann auch sichergest­ellt werden, dass OrganChips aussagekrä­ftige Resultate liefern“, resümiert Ertl.

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Foto: Wyss Institute at Harvard University Mit kleinen Organen auf Chips können Forscher die Wirkung eines Medikament­es mitunter besser nachvollzi­ehen als durch Versuche an Labortiere­n.

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